Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
Reuters/Hannibal Hanschke
„Gebot der Humanität“

Merkel spricht sich für Seenotrettung aus

Nach der künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer bekannt. „Die Seenotrettung ist für uns nicht nur Verpflichtung, sondern sie ist ein Gebot der Humanität“, sagte Merkel am Freitag in Berlin und sprach sich für eine Reform des Dublin-Systems aus.

Nicht für jedes Schiff könnte „ad hoc eine Einzellösung“ gefunden werden, so Merkel. Sie teilte damit die Kritik von der Leyens, die ihre Parteikollegin ist. „Wir müssen Dublin reformieren, um mehr Fairness und Lastenverteilung zu erreichen“, sagte die künftige EU-Kommissionspräsidentin der „Bild“-Zeitung (Freitag-Ausgabe). Das Dublin-System sieht vor, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag jeweils in dem EU-Land stellen müssen, in dem sie als Erstes europäischen Boden betreten.

„Ich habe nie wirklich verstanden, warum Dublin mit der einfachen Gleichung begann: Wo ein Migrant zuerst europäischen Boden betritt, muss er oder sie bleiben“, sagte von der Leyen. „Wir können nur dann stabile Außengrenzen haben, wenn wir den Mitgliedsstaaten, die aufgrund ihrer Position auf der Karte dem größten Druck ausgesetzt sind, genügend Hilfe leisten.“

Ursula von der Leyen
APA/AP/Jean-Francois Badias
Von der Leyen ist für „Fairness und Lastenverteilung“ von Flüchtlingen in der EU

Sea-Watch-Kapitänin nach Deutschland ausgereist

Auch im „Spiegel“ plädierte von der Leyen für „einen neuen Start in der Flüchtlingspolitik“. Dafür wolle sie in der EU „Mehrheiten finden“. Als „Instrumente“ nannte sie mehr Beamte für die Grenzschutzagentur Frontex, mehr Hilfe für Afrika und die Verteilung der Flüchtlinge unter den EU-Staaten. Wieder mehr Aufmerksamkeit bekam die Seenotrettung nicht zuletzt auch wegen der deutschen Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete, die nach einem Rettungseinsatz im Mittelmeer in Italien festgenommen worden war.

Rackete wurde am Donnerstag von der Staatsanwaltschaft auf Sizilien angehört und reiste danach zu einem nicht genannten Ort in Deutschland aus. Ihre Ausreise könne bestätigt werden, wegen „Sicherheitsbedenken“ seien jedoch „keine Angaben zu Zielort und Datum“ möglich, erklärte die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch.

Carola Rackete
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Rackete wurde am Donnerstag von der Staatsanwaltschaft angehört und reiste anschließend nach Deutschland aus

Rackete war am 29. Juni festgenommen worden, nachdem sie ihr Schiff „Sea-Watch 3“ mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa gesteuert hatte, obwohl Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini (Lega) das Anlegen jeglicher Rettungsschiffe aus dem Mittelmeer in italienischen Häfen verboten hatte. Dabei stieß die „Sea-Watch 3“ gegen ein Schnellboot der Küstenwache, welches das Schiff am Anlegen hindern wollte. Rackete begründete ihr Vorgehen mit der verzweifelten Lage der Menschen an Bord, nachdem sich über zwei Wochen lang kein Hafen zur Aufnahme der „Sea-Watch 3“ bereiterklärt hatte.

Maas: „Wir müssen diesen Zuständen dringend abhelfen“

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) begrüßte die Ankündigung von der Leyens. Besonders in der Kritik standen zuletzt die katastrophalen Bedingungen in libyschen Flüchtlingslagern. Deutschland kündigte am Freitag an, seine humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Migranten in dem nordafrikanischen Land aufzustocken. Die Lage für diese Menschen, insbesondere in den Internierungslagern, sei „völlig inakzeptabel“, sagte Maas. „Wir müssen diesen Zuständen dringend abhelfen.“

Der Beitrag für das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) für Libyen werde um zwei Millionen Euro auf insgesamt fünf Millionen Euro aufgestockt. In den Lagern mangelt es an Toiletten, Duschen, Essen und Trinken, und die Menschen werden nach Berichten von UNO und Hilfsorganisationen teilweise misshandelt.

Die EU-Kommission teilte unterdessen mit, dass sie ein 1,4 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zugunsten von Syrien-Flüchtlingen in der Türkei bewilligt hat. Das Geld werde vor allem dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung und den sozialen Schutz der Menschen zu gewährleisten, hieß es. Zudem sollten Regionen mit besonderes vielen Flüchtlingen Mittel für den Ausbau der kommunalen Infrastruktur erhalten. Die 1,4 Milliarden Euro werden aus dem Geldtopf gezahlt, der der Türkei im Zuge des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts versprochen wurde.

Werteunion: „Mittelmeer-Route vollständig abriegeln“

Die Werteunion, der konservative Flügel der CDU/CSU, forderte eine „vollständige Abriegelung der Mittelmeer-Route“ gegen Flüchtlinge. Eine solche Abriegelung nach australischem Vorbild sei „die einzige praktisch umsetzbare und zielführende Möglichkeit“, erklärte die Werteunion. Sie forderte die Bundesregierung auf, „schnellstmöglich und gemeinsam mit europäischen Partnern wie Österreich und Italien geeignete Maßnahmen hierfür zu finden“.

Die Werteunion ist eine Gruppierung konservativer Christdemokraten. Sie zählt nicht zu den offiziellen Parteigliederungen. Ihr Vorsitzender Alexander Mitsch erklärte, Seenotrettung dürfe „kein Vorwand zur Förderung illegaler Migration sein“. Mit Blick auf die zivilen Seenotretter fügte er hinzu: „Auch wenn sie vermeintlich hehre Ziele verfolgen, sind Seenotretter, deren vorrangiges Ziel der Transport von Migranten nach Europa ist, de facto Schlepperhelfer.“

Österreich legt sich nicht fest

Österreichs Bundesregierung will sich unterdessen zu möglichen Änderungen bei den Dublin-Regeln nicht festlegen. Man wolle diesbezüglich auf weitere Details warten, sagte Regierungssprecher Alexander Winterstein. Man teile von der Leyens Ansicht, dass es bei diesem „schwierigen Thema“ Diskussions- und Handlungsbedarf gebe. Zudem sei das „Teil eines Ganzen“ – gemeinsam mit der Kooperation mit Herkunfts- und Durchzugsländern sowie dem Schutz der Außengrenzen.