Wolodymyr Selenski
Reuters/Valentyn Ogirenko
Ukraine-Wahl

Selenski-Partei klar voran

Bei der Parlamentswahl in der krisengeschüttelten Ukraine ist die Partei des Präsidenten Wolodymyr Selenski die stärkste politische Kraft geworden. Laut Angaben der Partei konnte sie dank Direktmandaten die absolute Mehrheit erringen. Ein starkes Zeichen der Macht für den ehemaligen TV-Komiker, hatte im bisherigen Parlament doch das Lager seines Vorgängers und ehemaligen Präsidenten Pedro Poroschenko die Mehrheit.

Die prowestliche Partei Diener des Volkes (Sluha narodu) kam nach Auswertung von rund der Hälfte der Stimmzettel am Sonntag auf knapp 42 Prozent. Die absolute Mehrheit errang sie durch eine Vielzahl gewonnener Direktmandate, teilte die Partei am Montag mit. Selenski kann danach mit mehr als 240 der 424 Abgeordneten ohne Koalitionspartner regieren.

„Heute kann unser Team entspannen, aber nur ein bisschen, weil wir morgen arbeiten müssen“, sagte Selenski am Abend in Kiew nach einem ruhigen Wahltag. Seine Partei trat mit dem Versprechen an, den Krieg im Osten des verarmten Landes zu beenden und die Korruption zu bekämpfen.

Prorussische Opposition auf Platz zwei

Fünf Jahre nach dem Sturz des moskaufreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch und dem Triumph der proeuropäischen Proteste in Kiew schnitt aber auch die prorussische Opposition wieder stark ab. Die moskaufreundliche Oppositionsplattform Für das Leben kam auf rund 13 Prozent der Stimmen, gefolgt von Poroschenkos Partei Europäische Solidarität mit rund neun Prozent. Poroschenko wurde im April als Präsident abgewählt.

Auf Platz vier kam mit 7,4 Prozent die Partei Vaterland von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und auf Platz fünf mit 6,5 Prozent die Partei Stimme von Swjatoslaw Wakartschuk, seines Zeichens Sänger der international erfolgreichen ukrainischen Rockband Okean Elsy. Den Prognosen zufolge schafften insgesamt fünf der 22 Parteien den Sprung über die Fünfprozenthürde.

Swiatoslaw Wakartschuk
APA/AFP/Vasily Maximov
Wakartschuks neu gegründete westlich-liberale Partei Stimme könnte zum Koalitionsparter Selenskis werden

Zuvor war damit gerechnet worden, dass Selenski eine Koalition eingehen muss, um mit einer Mehrheit im Parlament die dringend nötigen Reformen in der Ex-Sowjetrepublik anzugehen. Noch am Sonntag hatte er mitgeteilt, er wolle vor allem mit der Partei des Rocksängers Wakartschuk Koalitionsgespräche führen. In der Holos-Partei sind etliche Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter prominente Antikorruptionskämpfer. Das dürfte nun nicht mehr notwendig sein.

Ein Vertreter von Wakartschuks Partei sagte unabhängig von dieser Einladung, Stimme sei zu einer Koalition mit neuen politischen Kräften bereit – wenn sie nicht von Oligarchen unterstützt würden. Wie Selenski hat auch Wakartschuk signalisiert, am Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds – und damit an dessen Auflagen wie Arbeitsmarktsreformen und Einsparungen – festhalten zu wollen. Bis zu Bildung einer neuen Regierung können noch einige Wochen vergehen.

Für das Leben will in Opposition bleiben

Die Spitzenvertreter von Für das Leben zeigten sich über Platz zwei erfreut. „Wir werden als zweitgrößte politische Kraft ein Garant dafür sein, dass die Menschen bald eine Erleichterung verspüren“, sagte Parteichef und Spitzenkandidat Jurij Bojko vor Journalisten und Journalistinnen. Gleichzeitig ließ er keinen Zweifel an der künftigen Oppositionsrolle im künftigen Parlament.

Ukraine-Wahl: Selenski-Partei klar voran

Bei der Parlamentswahl in der Ukraine konnte die Partei von Präsident Wolodymyr Selenski ihre Machtbasis ausbauen.

Zum Feiern sei es dennoch zu früh, sagte Viktor Medwedtschuk, der als wichtigster Vertrauter des russischen Präsident Wladimir Putin in der ukrainischen Politik gilt und als Nummer drei auf der Liste der Oppositionsplattform kandidierte. „Wir müssen jetzt noch für die (ehrliche, Anm.) Stimmenauszählung kämpfen, für unsere Kandidaten in den Lokalwahlkreisen, gegen die es heute einen harten und schmutzigen Kampf gab“, sagte der Politiker. Die Partei gilt als Nachfolgeprojekte der unter Janukowitsch im Jahr 2014 regierenden Partei der Regionen.

„Professioneller Ökonom“ als Premier

Den Posten des Regierungschefs will Selenski mit einem Wirtschaftsexperten besetzen. „Ich finde, das sollte ein absolut professioneller Ökonom, ein absolut unabhängiger Mensch sein, der niemals Regierungschef, Parlamentssprecher oder irgendein Fraktionschef war“, sagte der 41-Jährige bei der Stimmabgabe. Er habe bereits Vorgespräche mit potenziellen Kandidaten geführt.

Der frühere Schauspieler gewann mit seiner Partei in der Hauptstadt Kiew überraschend alle Direktmandate. Er benötigt die Parlamentsmehrheit auch, um den Krieg im Osten des Landes zu beenden. Das Parlament muss zum Beispiel Schritte beschließen, die eine Umsetzung des Minsker Friedensplans ermöglichen. Nach UNO-Schätzungen sind bei dem Konflikt seit 2014 rund 13.000 Menschen gestorben.

Erfolg durch Fernsehserie

Den Erfolg der Selenski-Partei erklären sich viele mit der Sehnsucht nach neuen Gesichtern und einem Neustart in dem Krisenland. Die Partei hatte demonstrativ auf aktive und ehemalige Politiker verzichtet. Teils verdanken der Präsident und seine Bewegung ihren Zuspruch auch der populären Fernsehserie „Sluha Narodu“ („Diener des Volkes“). Dort hatte Selenski als Komiker viele Jahre einen forschen Präsidenten gespielt, der mit der von einflussreichen Oligarchen gesteuerten Machtelite aufräumt.

Wehrschütz (ORF) über die Ukraine-Wahl

ORF-Korrespondent Christian Wehschütz führt den Wahlerfolg der Partei Diener des Volkes auf Präsident Selenski zurück.

Vorgezogene Wahl mit geringer Beteiligung

Insgesamt konnten die rund 30 Millionen Wahlberechtigten über die Vergabe von 424 Sitzen im neuen Parlament in Kiew abstimmen. Die genaue Verteilung ist noch unklar. Erste aussagekräftige Ergebnisse werden noch erwartet. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50 Prozent geringer als vor fünf Jahren – wohl auch, weil der Termin für die vorgezogene Wahl in die Sommerferien fiel. Ursprünglich hätte die Abstimmung erst im Oktober sein sollen. Selenski hatte aber im Parlament in Kiew keine eigene Machtbasis. Weil es zudem keine handlungsfähige Koalition mehr gab und der Präsident nichts bewegen konnte, hatte er das Parlament nach seiner Amtseinführung im Mai aufgelöst.

Friedensplan soll wiederbelebt werden

Nicht abgestimmt wurde in den umkämpften Gebieten in der Ostukraine. Die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk hatten in der Vergangenheit eigene und international nicht anerkannte Wahlen abgehalten. Es handelt sich um Regionen, die von prorussischen Separatisten kontrolliert werden.

In der Kriegsregion galt seit Sonntag kurz nach Mitternacht eine neue Waffenruhe. Sie wurde nach offiziellen Angaben aus der Hauptstadt Kiew und aus den Separatistengebieten weitgehend eingehalten. Die Waffenruhe war zuvor immer wieder gebrochen worden. Sie ist Teil des in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelten Friedensplans.

Durch die Wahl in der Ukraine soll das unter Vermittlung von Deutschland, Frankreich und mit Beteiligung Russlands ausgehandelte Abkommen wiederbelebt werden. Zuletzt hatte es auch nach Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erstmals seit Langem kleinere Fortschritte geben.