Rettungsboot im Mittelmeer
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Streit

EU ringt um Lösung für Seenotrettung

Über 400 Menschen sind heuer bereits bei dem Versuch gestorben, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Am Montag hat die EU einen neuen Anlauf unternommen, eine Lösung im Streit über die Verteilung von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen zu finden. Erst vergangene Woche scheiterten die Innenminister der EU an einer Einigung für eine gemeinsame Seenotrettung.

Auch bei dem Treffen am Montag gab es keine Lösung. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach aber am Nachmittag von Fortschritten: „Ich glaube, dass wir noch nicht am Ziel sind, aber dass wir deutlich weitergekommen sind und weiter sind, als wir bisher in dieser Frage jemals waren.“ Es gebe positive Signale aus einigen Ländern, so Maas. Er nannte aber keine konkreten Namen. Österreich war auf hoher Beamtenebene bei dem Treffen vertreten.

Deutschland und Frankreich schlugen einen zeitlich befristeten Ad-hoc-Mechanismus vor, an dem ungefähr 15 EU-Staaten teilnehmen sollten, skizzierte Frankreichs Innenminister Christophe Castaner im Vorfeld den möglichen Rahmen einer Einigung. Dieser Mechanismus soll zumindest bis Herbst die Ausschiffung und Verteilung von auf hoher See geretteten Menschen ohne Kontingente regeln. Dadurch soll verhindert werden, dass Italien und Malta Schiffen mit Geflüchteten an Bord die Einfahrt in ihre Häfen untersagen. Über solch eine Koalition der aufnahmewilligen Länder wird schon länger gesprochen – bisher aber ergebnislos.

Der französische Innenminister Christophe Castaner
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Frankreichs Innenminister Castaner (vorne r.) beim EU-Treffen zur Seenotrettung am Montag

„Gebot der Humanität“

Für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Seenotrettung nicht nur Verpflichtung, sondern „ein Gebot der Humanität“. Dabei könne nicht für jedes Schiff „ad hoc eine Einzellösung gefunden werden“, pochte sie auf eine europäische Lösung.

Zahlreiche Schiffe mussten in den vergangenen Monaten tage-, manchmal wochenlang auf See bleiben, weil ihnen die Zufahrt zum Hafen verwehrt wurde. Malta und Italien wollten zuvor die Aufnahme der Flüchtlinge durch andere EU-Länder geklärt wissen. Erst Ende Juni war die deutsche Kapitänin Carola Rackete in Italien festgesetzt worden, nachdem sie ihr Schiff „Sea-Watch 3“ mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa gesteuert hatte – trotz des Verbots des rechtspopulistischen italienischen Innenministers Matteo Salvini. Sie konnte inzwischen aus Italien an einen nicht genannten Ort in Deutschland ausreisen.

Salvini-Brief an Frankreich

Salvini warnte nun Deutschland und Frankreich davor, die Flüchtlingspolitik der EU eigenmächtig zu bestimmen. Es gehe nicht, dass die französische und die deutsche Regierung die Migrationspolitik in der Europäischen Union bestimmten und dabei „die Forderungen der am stärksten betroffenen Länder ignorieren“, so Salvini in einem Brief an den französischen Innenminister Castaner.

„Wir sind nicht mehr bereit, die Migranten aufzunehmen“, schrieb Salvini. NGOs sollten in Einklang mit den internationalen Regeln und der nationalen Gesetzgebung jedes EU-Mitgliedsstaates handeln, ergänzte er. An dem Treffen in Paris nimmt er nicht selbst teil, sondern schickte Experten seines Ministeriums.

Rettungsboot Aquarius
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Die „Aquarius“ rettete laut NGOs über 29.000 Menschen in zwei Jahren

„Aquarius“-Nachfolger bereits unterwegs

Die Hilfsorganisationen SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen wollen die Seenotrettung wieder aufnehmen. „Als professionelle Seenotretter können wir das Sterben im Mittelmeer nicht mehr hinnehmen“, sagte der Geschäftsführer von SOS Mediterranee in Deutschland, David Starke. Die beiden Organisationen hatten nach drei Jahren ihre gemeinsamen Rettungsaktivitäten mit dem Schiff „Aquarius“ auf Druck Italiens Ende vergangenen Jahres eingestellt. Mit der „Aquarius“ retteten sie nach eigenen Angaben zwischen 2016 und 2018 mehr als 29.000 Menschen vor dem Ertrinken.

Das neue Rettungsschiff „Ocean Viking“ unter norwegischer Flagge ist laut Organisation bereits auf dem Weg Richtung Mittelmeer, soll aber nicht in libysche Hoheitsgewässer vordringen. Das bisher als Versorgungs- und Rettungsschiff für die Öl- und Gasindustrie in der Nordsee eingesetzte Schiff kann bis zu 200 Menschen aufnehmen.

Kreuzfahrtschiff rettete 111 Menschen

Am Wochenende wurde auch ein Kreuzfahrtschiff in der Seenotrettung aktiv. Vor der griechischen Halbinsel Peloponnes nahm die „Marella Discovery“ am Samstagabend 111 Geflüchtete auf, die auf dem Weg nach Italien in Seenot geraten waren. Die Menschen, darunter 33 Minderjährige, wurden zum griechischen Hafen Kalamata gebracht.

Seit die Balkan-Route weitgehend geschlossen ist, versuchen viele Migranten, mit von Schleusern organisierten Überfahrten aus Griechenland oder direkt aus der Türkei nach Italien zu gelangen. Andere versuchen es weiterhin auf dem Landweg, obwohl Tausende vor allem in Serbien und Bosnien-Herzegowina festsitzen.