Firma Reisswolf
APA/Herbert Neubauer
Datenvernichtung

Bierlein lässt Schredder-Vorwürfe prüfen

Nach den Vorwürfen gegen einen ÖVP-Mitarbeiter, der wenige Tage nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“ eine Druckerfestplatte unter falschem Namen schreddern ließ, hat Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein am Montag eine interne Evaluierung veranlasst. Die ÖVP sprach von einem üblichen Vorgang, die ehemalige Opposition sieht hinter der Aktion, die wegen einer unbezahlten Rechnung aufflog, eine „Vertuschung“.

Die niederösterreichische Firma Reisswolf konnte die offenen 76 Euro nicht eintreiben. Der Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) ließ die Daten im Mai nach dem Platzen der Koalition entsorgen. Er hatte zwar seine richtige Handynummer hinterlassen, aber nicht den richtigen Namen, wie der „Kurier“ berichtet hatte. Das Unternehmen schaltete die Polizei ein. Daraufhin wurde der Mann von den Ermittlungen um das „Ibiza-Video“ eingeholt, er wurde befragt, zudem wurde seine Wohnung durchsucht.

Für Kritik sorgte nicht nur, dass er einen falschen Namen nannte, sondern auch, dass die Schredderung nicht durch die IT-Abteilung des Kanzleramts erfolgte. Dieses lässt nun prüfen. Bierlein habe die Evaluierung nicht zuletzt im Hinblick auf parlamentarische Anfragen veranlasst, hieß es am Montag in einer kurzen Stellungnahme. Die Datenvernichtung an sich stößt aber offenkundig nicht auf Missfallen der Kanzlerin. „Die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln.“

Persönliches darf vernichtet werden

Archivgut, das beim Bundeskanzler und seinen Büros anfällt, sei jedenfalls zu archivieren, so der Verwaltungsjurist Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck im Ö1-Mittagsjournal am Montag. Wenn Datenträger aber auch persönliche Daten enthalten, müssten sie nicht ans Staatsarchiv übermittelt werden. Das seien etwa solche, die „für den persönlichen Gebrauch mit bestimmten Notizen versehen“ seien und die „von keinem besonderen historischen oder verwaltungsorganisatorischen Wert sind“, so Bußjäger – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Auffällig sei aber der Zeitpunkt der nunmehrigen Datenvernichtung. „Es ist natürlich vor den konkreten Begleitumständen seltsam, zweifellos. Aber grundsätzlich ist es durchaus möglich, dass der jeweilige Bearbeiter zu dem Zeitpunkt nach sachlichen Kriterien entscheiden kann: Na ja, ich brauche diese Daten.“

Keine Wiederherstellung möglich

Druckerfestplatten sind in modernen Bürodruckern Standard. Werden diese nicht geschreddert, sind Daten ohne viel Aufwand wiederherzustellen. Die gegenständliche Festplatte wurde aber laut Firma Reisswolf durch Zerreiben auf eine gesetzlich vorgegebene Partikelgröße gebracht. Eine Wiederherstellung oder datenforensische Untersuchung, wie sie etwa von JETZT gefordert wurde, sei deshalb wenig sinnvoll.

Für Kurz handelte es sich um einen „üblichen Vorgang“. Es würden bei einem Regierungswechsel „Laptops und Handys zurückgegeben und Druckerdaten gelöscht bzw. vernichtet“, sagte Kurz am Sonntag in Kalifornien. Es gehe darum, Datensicherheit bei einem Regierungswechsel zu gewährleisten. Dass der Mitarbeiter „schlampig agiert“ und die Rechnung nicht gezahlt habe, sei „nicht korrekt gewesen“.

„SoKo Ibiza“ am Zug

Der Mitarbeiter habe „mittlerweile die Rechnung beglichen“ und „sich entschuldigt“, so der Ex-Kanzler. Einen Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ gebe es nicht. Das seien Unterstellungen und Falschbehauptungen. Einen falschen Namen habe er angegeben, weil er keine Gerüchte habe schüren wollen. „Dass er dabei möglicherweise nicht rechtskonform gehandelt hat, war absolut nicht seine Absicht“, so eine ÖVP-Stellungnahme. Man gehe sensibel mit Daten um, da immer wieder Unterlagen ungewollt an die Öffentlichkeit gelangt seien.

Die „SoKo Ibiza“ prüft nun, ob mit der Datenvernichtung kurz vor dem Misstrauensantrag gegen den Ex-Kanzler Beweismittel unterschlagen wurden. Auch die frühere Opposition will wissen, welche Unterlagen vernichtet wurden. Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried kritisierte am Montag in einer Aussendung, dass Kurz von einem üblichen Vorgang gesprochen hatte. Das zeige, dass er und seine Vertrauten ein „absurdes Verständnis von Recht und Transparenz“ hätten. „Offen ist auch, ob Kurz oder seine engsten Vertrauten den Auftrag zu der Vertuschungsaktion gegeben haben.“

NEOS spricht von „System Kurz“

Stephanie Krisper von NEOS sagte am Sonntag in der ZIB2: „Im System Kurz passiert nichts ohne Planung. Wir kennen seine Message-Control, und es hat sich auch sonst durchgezogen, dass er überall seinen Sanktus gegeben hat. Und da ist nicht anzunehmen, dass ein Mitarbeiter auf freie Faust hin in der Panik agiert, ohne sich ein Okay zu holen.“

Schredderung sorgt für Aufregung

Wenige Tage nach dem Aufkommen des „Ibiza-Videos“ hat ein ÖVP-Mitarbeiter eine Festplatte aus dem Kanzleramt bei einer privaten Firma zerschreddern lassen.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sagte, die Causa sei „in höchstem Maße aufklärungswürdig“. Peter Pilz (JETZT) sprach von einem offenen „Vertuschungsversuch. Ich gehe davon aus, dass das nicht die einzigen Daten daher sind, die vernichtet worden sind. Meinen Hinweisen nach hat es eine breite Vernichtung von Akten rund um diese Zeit gegeben“, so Pilz im Ö1-Mittagsjournal.

Auch Reisswolf-Einsatz bei Kickl

Die ÖVP hatte auch darauf verwiesen, dass man 2017 das Kanzlerbüro nach der Übergabe durch Christian Kern (SPÖ) ebenso leer und ohne Datenträger vorgefunden habe. Wie der „Standard“ berichtete, seien im Jahr 2000 bis dahin von der SPÖ geführte Büros leer und sogar teilweise verwüstet übergeben worden.

Aus ÖVP-Kreisen wurde zudem darauf verwiesen, dass beim Abgang des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) ein Lkw ebenfalls von der Firma Reisswolf vor der Tür des Ministeriums stand. Kickls Büro meinte am Montag dazu, dass sämtliche Akten ins Staatsarchiv geliefert worden seien. Vernichtet und entsorgt worden sei nur das, „was an nicht mehr gebrauchten Ausdrucken, Broschüren etc. in den Büros der Mitarbeiter lagerte“. Es sei schließlich auch ein Gebot der Höflichkeit, die Räume in gebrauchsfähigem Zustand zu übergeben.