Logo auf Lastwagen der Firma Reisswolf
APA/Herbert Neubauer
ÖVP-Affäre

Fünf Festplatten wurden geschreddert

Die Schredder-Affäre um einen ÖVP-Mitarbeiter weitet sich aus: Ein Social-Media-Beauftragter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) ließ laut Recherchen des „Falter“ nicht eine, sondern fünf Festplatten zerstören. Der Mann habe den Vorgang dreimal durchführen lassen, hieß es bei Reisswolf. In der Firmengeschichte sei es „noch nie passiert“, dass jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten“ ließ.

Unter dem Namen „Walter Maisinger“ hatte der damalige Social-Media-Mitarbeiter des Bundeskanzleramts die Firma im vergangenen Mai engagiert, um fünf Platten schreddern zu lassen, so der „Falter“ und die „Kleine Zeitung“ am Dienstag. Er verlangte laut Bericht, bei der Schredderung persönlich dabei zu sein. Am nächsten Tag sei er bereits mit den Festplatten aus dem Bundeskanzleramt in der Firma Reisswolf gewesen.

Er unterzeichnete eine Vertraulichkeitserklärung ebenfalls mit dem Namen „Walter Maisinger“, in der Rubrik „Firma“ gab er „privat“ an. Erst danach wurde der Mann in die Halle gelassen, um bei der Zerstörung der Platten dabei zu sein. Die Halle ist videoüberwacht, der „Falter“ zeigt Auszüge einer Aufzeichnung mit dem ÖVP-Mitarbeiter. Dieser sei während des ganzen Vorgangs, wie Reisswolf-Chef Siegfried Schmedler sagte, sichtlich nervös gewesen.

Screenshot www.youtube.com
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Der „Falter“ veröffentlichte Videoaufnahmen, die den ÖVP-Mitarbeiter bei der Firma Reisswolf zeigen sollen

Er habe die Platten nie aus der Hand geben wollen, habe verlangt, die Schredderung insgesamt dreimal durchführen zu lassen. Normalerweise reiche ein Vorgang, um eine normgerechte Vernichtung sicherzustellen, hieß es. Zudem habe er darauf bestanden, die geschredderten Teile wieder mitzunehmen. Ein Reisswolf-Mitarbeiter habe die Reste des Elektromülls zusammengekehrt und dem Mann in einem Karton übergeben. Die Festplatten, deren Nummern Auskunft über ihre Herkunft geben, würden in Toshiba-Notebooks und in Druckern verbaut, so der „Falter“.

„Schaut’s einmal! Das ist doch der Mann“

Für Schmedler war die ganze Aktion keinesfalls ein „üblicher Vorgang“, wie Kurz es erklärt hatte. In der 25-jährigen Geschichte des Unternehmens sei es „noch nie passiert“, dass jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten hat lassen“.

Die Reisswolf-Mitarbeiter hätten den ÖVP-Mitarbeiter im Fernsehen erkannt – im Hintergrund von Kurz, als dieser quasi seine Abschiedsrede als Kanzler in der Politischen Akademie hielt. Die Zerstörung der Daten aus dem Bundeskanzleramt erfolgte, als Kurz noch Kanzler war, also zwischen dem Platzen der Koalition und vor dem Misstrauensantrag. „Schaut’s einmal! Das ist doch der Mann, der bei uns seine Festplatten geschreddert hat!“, habe ein Mitarbeiter bei Reisswolf gesagt.

Da das für Verwunderung sorgte und noch dazu die Rechnung über 76 Euro offen geblieben war, recherchierte man im Internet. Unter „Maisinger“ wird man nicht fündig, aber der Mann hatte seine richtige Handynummer hinterlassen. Schnell sei klar gewesen, dass es sich um den ÖVP-Mitarbeiter handelt. Reisswolf-CEO Schmedler erstattete daraufhin bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft Anzeige. Die „Sonderkommission Ibiza“ übernahm den Fall, weil Beweismaterial vernichtet worden sein könnte.

Nun wird eine Sondersitzung des Nationalrats zu der Causa immer wahrscheinlicher. JETZT bereitet einen entsprechenden Antrag vor, berichtete die Tageszeitung „Österreich“ (Onlineausgabe) Dienstagabend. Für ein Zustandekommen bräuchte es allerdings aufgrund der Sommerpause des Parlaments ein Drittel der Abgeordneten. JETZT-Mandatar Peter Pilz will daher mit SPÖ und FPÖ sprechen. Für Mittwoch lud Pilz zu einer Pressekonferenz.

Online untergetaucht

Der „Falter“ hatte angegeben, den ÖVP-Mitarbeiter am Donnerstag mit Fragen dazu konfrontiert zu haben. Am Freitag sei die Sache dann via „Kurier“ öffentlich geworden. Darin habe die ÖVP sich gerechtfertigt, dass man die Daten in Sicherheit habe bringen wollen. Man habe sich gesorgt, dass diese vom Nachfolger im Bundeskanzleramt eventuell rekonstruiert werden könnten. Zudem habe man den SPÖ-nahen Beamten im Haus nicht getraut. Der echte Name sei nicht genannt worden, weil der Mann keine Gerüchte habe schüren wollen. Die Social-Media-Kanäle des Mannes, der nun für die ÖVP tätig ist, sind inzwischen gelöscht. Seine Werbeagentur ist laut Homepage „Out of Office“.

Kurz sagte, die Datenvernichtung sei normal. Es würden bei einem Regierungswechsel „Laptops und Handys zurückgegeben und Druckerdaten gelöscht bzw. vernichtet“, sagte Kurz am Sonntag in Kalifornien. Es gehe darum, Datensicherheit bei einem Regierungswechsel zu gewährleisten. Dass der Mitarbeiter „schlampig agiert“ und die Rechnung nicht gezahlt habe, sei „nicht korrekt gewesen“. Einen Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“, wie ihn etwa die FPÖ vermutete, gebe es nicht.

Anfragen an Bierlein und Jabloner

Die frühere Opposition stellte in der Causa nun etliche parlamentarische Anfragen. So wollen SPÖ und NEOS unter anderem wissen, wer von der Datenvernichtung der Kanzleramtsdateien wusste, ob Kurz seiner Nachfolgerin Akten überlassen hat und weswegen nun genau ermittelt wird. NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper erfragte bei Justizminister Clemens Jabloner, gegen wie viele Personen in der Causa ermittelt wird und wegen welcher Sachverhalte und Delikte.

Ebenso von Interesse war für sie, wie viele Personen schon einvernommen wurden und ob Kurz und sein Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) darunter waren. Die SPÖ wendet sich an Kanzlerin Brigitte Bierlein und möchte wissen, wie viele Datenträger aus dem Kanzleramt gelöscht wurden und in welcher Form. Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried pochte auch weiter auf Aufklärung durch Kurz selbst und sprach von einer „rechtswidrigen Vertuschung“.

Auch die FPÖ zweifelte an den Angaben der ÖVP. Es stelle sich doch die berechtigte Frage, ob da nicht noch mehr solche eigenartigen Dinge im Dunkeln lägen, so der FPÖ-Abgeordnete Hans-Jörg Jenewein. Die „SoKo Ibiza“ ist nun am Zug, auch Kanzlerin Bierlein veranlasste eine interne Evaluierung.