„Bis 2035 wollen wir Inlandsflüge weitestgehend obsolet machen“, heißt es in dem Entwurf der Bundestagsfraktion der deutschen Grünen. Und auch innereuropäische Flüge müssten drastisch reduziert werden. Verhelfen dazu sollen der Ausbau des Schienennetzes, ein dichterer Takt, verlässliche Fahrpläne und der Aufbau eines europäischen Nachtzugsnetzes bis 2030. Wie dieses profitbringend zu machen sei, zeigt für die Grünen das Beispiel der Österreichischen Bundesbahnen.
Die DB hatte Ende 2016 die City Night Line, ihre Züge mit Schlaf- und Liegewagen, komplett eingestellt. Zu aufwendig und defizitär sei der Betrieb, begründete der damalige Bahnchef Rüdiger Grube den Rückzug. Der Eigentümer der Bahn, der Bund, ließ diese gewähren. Dafür sprangen die ÖBB ein – zumindest teilweise. Von Deutschland nach Österreich richteten die ÖBB zwei neue Nightjet-Verbindungen ein, eine in die Schweiz und drei nach Italien. Verbindungen von Hamburg und Düsseldorf nach Wien gab es bereits.

ÖBB: „Entscheidung goldrichtig“
„Unsere Entscheidung, europaweit ins Nachtzuggeschäft einzusteigen, war goldrichtig“, sagte Andreas Matthä, Vorstandsvorsitzender der ÖBB. Die Auslastung in den Nightjet-Zügen steige stetig, bestätigte Pressesprecher Bernhard Rieder auf Anfrage von ORF.at. Zählte man vor der Übernahme der DB-Verbindungen eine Million Fahrgäste in Nachtreisezügen der ÖBB, waren es 2017 1,4 und 2018 bereits 1,6 Millionen.
Und die Zeit arbeitet für die Bahn: Klimakrise und die damit einhergehende „Flugscham“ lassen mehr Menschen zunehmend über alternative Fortbewegungsmittel nachdenken. Folgerichtig investieren die ÖBB weiter und haben 13 neue Nightjet–Züge bei Siemens bestellt. Die Produktion läuft gerade an – ab Anfang 2022 sollen die neuen Züge im Einsatz sein, sagte Pressesprecher Rieder. „Noch mehr Komfort“ würden diese bieten, alle Abteile sollen mit eigener Dusche und WC ausgestattet sein, wie kürzlich auch die „Berliner Morgenpost“ berichtete. Neu ins Angebot kommen zudem Familienabteile und Minisuiten für Alleinreisende.
Comeback der Nachtzüge
Für jene Menschen, die klimaschonend reisen wollten, stellt der Nachtzug eine gute Alternative zum Flugzeug dar. Da auch die ÖBB diesen Trend bemerkt haben, investieren sie nun in den Ausbau des Angebots.
Auch andere Länder wollen investieren
„Mit modernisiertem und neuem Wagenmaterial gewinnen die ÖBB neue Fahrgäste und weisen den Weg in die Zukunft des Nachtreiseverkehrs auf Schienen“, heißt es in dem Papier der deutschen Grünen. Auch in anderen Ländern ist Bewegung in die Debatte gekommen: In Schweden etwa schreibt die Regierung derzeit Nachtzugsverbindungen nach Deutschland aus, nachdem die Fahrgastzahlen dort sukzessive zugenommen haben.
Forderungen nach neuen Verbindungen über Nacht macht Rieder auch im übrigen Skandinavien, den Niederlanden und Belgien aus. In der Schweiz machen inzwischen auch viele Parlamentarier Druck, das vor zehn Jahren eingestellte Angebot der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) mit eigenen Schlafwagen wieder aufzunehmen.
DB bedient lieber „99 Prozent unserer Fahrgäste“
Anders bewertet das die Deutsche Bahn: „Ein eigenes Angebot mit klassischen Schlaf- und Liegewagen ist aktuell nicht geplant“, gab eine DB-Sprecherin am Dienstag bekannt. Stattdessen soll das Angebot der in der Nacht verkehrenden ICE- und Intercity-Zügen mit Sitzwagen ausgebaut werden.
Die Entscheidung, 2016 seine Dienste eingestellt zu haben, scheint der Konzern nicht zu bereuen. „Nachtzüge sind ein Nischengeschäft, das nur von einem Prozent unserer Kunden genutzt wird“, sagte die Sprecherin. „Um es rentabel betreiben zu können, wären große Investitionen in neue Züge vonnöten. Da unsere Mittel begrenzt sind, stecken wir das Geld lieber in neue Fernverkehrszüge im Tagesbetrieb. Davon haben dann 99 Prozent unserer Fahrgäste etwas.“

Umweltbewusstsein mit Einschränkungen
Die ÖBB wollen ihren diametral ausgerichteten Weg jedenfalls fortsetzen. „Derzeit sehen wir uns mögliche neue Verbindungen sehr genau an. Wir sind überzeugt, dass es künftig noch mehr Nightjets auf Schiene geben wird“, sagte ÖBB-Chef Matthä. Schon jetzt sind die ÖBB Europas größter Anbieter von Nachtreisezügen – und der einzige, der ein länderübergreifendes Service anbietet. „Wir haben 18 eigene Linien und insgesamt 26 zusammen mit Partnern“, so Rieder.
Mehr Umweltbewusstsein würde bei der Bahn sehr wohl registriert, sagte Rieder – um dann zu relativieren: „Der Umweltgedanke ist bei vielen noch eher theoretisch da und zeigt sich nicht ganz im Buchungsverhalten.“ Während die teuersten Plätze im Schlafwagen stets schnell ausverkauft seien, merke man im günstigen Segment der Sitzwagen sofort, wenn auf einer Strecke zwischen zwei Metropolen eine Billigairline fliegt. „Sofort gehen die Buchungen runter“, sagte Rieder.
Steuervorteil für Fluglinien
Die Entwicklung des europaweiten Nachtzugsverkehrs liegt folglich zu einem Gutteil in den Händen der Politik. So fordern die Grünen in ihrem Strategiepapier, die Subventionierung von Kerosin zu beenden: Airlines zahlen keine Steuer auf den Treibstoff – Bahnunternehmen hingegen Strom- und Ökosteuern. Auch die Subventionierung von Regionalflughäfen gehöre aus Gründen eines fairen Wettbewerbs „schnellstmöglich“ beendet.
Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte vergangene Woche: „Wenn die Taxifahrt oder das Bahnticket zum nächsten Flughafen mehr kosten als der anschließende Flug nach Mallorca, dann stimmt etwas nicht. (…) Nötig wäre ein großer Wurf. Dazu zählt, Kerosin saftig zu besteuern und Alternativen steuerlich zu entlasten. Bahnreisen müssen nicht nur billiger werden, sondern auch attraktiver: Das beginnt bei den europaweit unterschiedlichen Buchungssystemen, geht über fehlende Hochgeschwindigkeitsstrecken und endet damit, dass die Deutsche Bahn ihre Nachtzüge abgeschafft hat. Wer hat da schon Lust, mit dem Zug in Urlaub zu fahren?“