Ricardo Rossello
AP/Carlos Giusti
Nach Massenprotesten

Puerto Ricos Gouverneur tritt zurück

Nach Massenprotesten gegen ihn und seine Regierung hat der Gouverneur von Puerto Rico, Ricardo Rossello, seinen Rücktritt angekündigt. Er werde das Amt am 2. August niederlegen, sagte Rossello in einer Mittwochabend (Ortszeit) veröffentlichten Videobotschaft. Seine Nachfolge werde kommissarisch Justizministerin Wanda Vazquez übernehmen.

„Ich hoffe, dass diese Entscheidung als ein Aufruf zur Versöhnung unter den Bürgern dient, die wir so dringend brauchen, um voranzukommen“, sagte Rossello. Nach der Rücktrittsankündigung des 40-Jährigen brach Jubel bei Demonstrantinnen und Demonstranten aus, die sich vor dem Regierungssitz in der Hauptstadt San Juan versammelt hatten. Für Donnerstag war zu neuen Demonstrationen und einem Streik aufgerufen worden. Rossello hatte einen Rücktritt lange abgelehnt. Er hatte am Sonntag lediglich angekündigt, im kommenden Jahr nicht zur Wiederwahl antreten zu wollen.

Dem Rücktritt vorausgegangen waren tagelange Massenproteste in San Juan. Am Montag etwa sollen laut der Zeitung „El Nuevo Dia“ 500.000 Menschen auf die Straßen gegangen sein, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Beobachter und Beobachterinnen sprachen von einer der größten Demonstrationen in der Geschichte Puerto Ricos.

Ausschreitungen bei Protesten in Puerto Rico
Reuters/Marco Bello
Als einen „Wutausbruch gegen Misswirtschaft, Korruption und Naturkatastrophen“ bezeichnete die „NYT“ die Proteste

„Es war ein spontaner Wutausbruch, der sich gegen die jahrelange Rezession, Misswirtschaft, Korruption und Naturkatastrophen richtete“, kommentierte die „New York Times“ („NYT“) das Geschehen. In der Altstadt setzte die Polizei bei den Protesten Tränengas und Gummigeschoße gegen die Demonstrierenden ein, um die Versammlungen aufzulösen.

Homophobe und sexistische Nachrichten als Auslöser

Auslöser der Proteste waren Nachrichten einer privaten Chat-Gruppe von Rossello und elf Vertrauten im Messaging-Dienst Telegram. Diese wurden am 13. Juli von Investigativjournalisten und -journalistinnen veröffentlicht. Auf – ausgedruckt – fast 900 Seiten sollen sich die ausschließlich männlichen Politiker abschätzig über mehrere Personen geäußert haben.

Die Nachrichten enthielten Medienberichten zufolge zudem homophobe, sexistische und frauenfeindliche Beleidigungen – sowohl gegen politische Rivalen als auch gegen eigene Anhänger sowie gegen bekannte Persönlichkeiten wie den homosexuellen Popstar Ricky Martin. Auch sollen sich die Politiker respektlos gegenüber den Opfern des verheerenden Hurrikans „Maria“, der die Insel im September 2017 verwüstete, verhalten haben. So findet sich unter den Nachrichten etwa auch ein Witz über die steigende Zahl der Leichen nach dem Hurrikan.

Vor Rossellos Rücktrittsankündigung zogen bereits mehrere Regierungsangehörige – darunter der Vizegouverneur, der auch Mitglied der Chat-Gruppe war – Konsequenzen und räumten ihre Posten.

Bad Bunny and Ricky Martin bei Protesten in Puerto Rico
Reuters/Marco Bello
Ricky Martin, Bad Bunny und Residente als „Galionsfiguren“ der Proteste in Puerto Rico

„Sie verspotteten unsere Toten"

„Sie verspotteten unsere Toten, sie verspotteten Frauen, sie verspotteten die LGBT-Gemeinschaft, sie machten sich über Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen lustig, sie machten sich über Fettleibigkeit lustig. Es ist genug“, sagte Martin am Montag in einer Videobotschaft auf Twitter. Obwohl der „King of Latin Pop“ nicht gerade für seinen politischen Aktionismus bekannt ist, rief auch er Rossello zum Rücktritt auf. Gemeinsam mit anderen Musikern wie dem Reggaeton-Star Bad Bunny, dem Rapper Residente und der Sängerin iLe sei er zur „Galionsfigur“ der Proteste geworden, so der „Guardian“.

Korruptionsskandal in den Reihen Rossellos

Erst kurz vor dem Ausbruch des Nachrichtenskandals verhaftete das FBI laut „Guardian“ eine Reihe von Verwaltungsbeamten und Auftragnehmern – darunter Rossellos ehemaligen Bildungssekretär. Ihnen werden Korruption sowie die Veruntreuung von 15,5 Millionen US-Dollar vorgeworfen.

Viele Inselbewohner und Inselbewohnerinnen sprechen bei dem Nachrichtenskandal daher nur vom „letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, wie die „NYT“ die Demonstrierenden zitierte. Die Puerto Ricaner werfen der Regierung Rossellos außerdem vor, Geld, das in den Wiederaufbau des Landes investiert hätte werden sollen, selbst in die Tasche gesteckt zu haben. So wird auch der Ruf nach Reformen, die die Transparenz betreffen, immer lauter.

Puerto Rico

Rund 3,2 Millionen Menschen leben in dem Inselstaat in der Karibik. Damit ist es das größte Außengebiet der USA. Obwohl Puerto Ricaner die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen, dürfen sie weder ihre Stimme bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen abgeben, noch haben sie eine offizielle Vertretung im Kongress.

Nach wie vor leiden die Puerto Ricaner auch unter den Folgen des Hurrikans – die Wiederaufbaubemühungen von US-amerikanischer Seite geraten jedoch zunehmend ins Stocken. US-Präsident Donald Trump wurde damals vorgehalten, die Unwetterfolgen im von überwiegend durch Latinos bevölkerten, spanischsprachigen Puerto Rico – anders als etwa in ebenfalls betroffenen US-Bundesstaaten wie Florida und Texas – nicht ausreichend bekämpft zu haben.

Schwieriges Verhältnis zum Festland

Puerto Rico steckt zudem seit Jahren in einer schweren Finanzkrise, ist hochverschuldet und auf hohe Subventionen der USA angewiesen. Insgesamt sind in der Vergangenheit wegen der schlechten Wirtschaftslage fast zwei Millionen der überwiegend spanisch sprechenden Einwohnerinnen und Einwohner in das Kernland der Vereinigten Staaten übergesiedelt, womit Puerto Rico eine der höchsten Emigrationsraten der Welt aufweist. Fast die Hälfte der auf der Insel verbliebenen Menschen lebt laut dem Bericht der „NYT“ in Armut.

Luftbild der Proteste in Puerto Rico
AP/Gianfranco Gaglione
Puerto Rico stehe laut der Bürgermeisterin der Hauptstadt seit Jahren vor der Möglichkeit eines bedeutenden politischen Wandels

Dem von der „NYT“ zitierten Experten Nelson Dennis zufolge gehe es den Einwohnern und Einwohnerinnen Puerto Ricos daher nicht einfach um einen Machtwechsel der Politiker, sondern auch um einen gesamtpolitischen Wandel – etwa um Gesetze, die das Verhältnis zum US-amerikanischen Festland regeln. Er hob dabei jenes US-Bundesgesetz hervor, das Seehandel zwischen den Staaten regle und dazu führe, dass ein Auto in Puerto Rico um rund 6.000 Dollar mehr kostet als in Miami.