Die Kommission machte nun im Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen der Kürzung der Familienbeihilfe für osteuropäische Kinder den nächsten Schritt. Die Kommission werde eine begründete Stellungnahme an Österreich schicken, hieß es am Donnerstag in Brüssel. Zu diesem Schluss sei die EU-Kommission nach eingehender Prüfung der Argumente Österreichs gekommen, mit denen im März auf das Mahnschreiben der EU-Kommission von Jänner geantwortet worden war. Die Bedenken seien dadurch nicht ausgeräumt worden.
Österreich hat nun zwei Monate Zeit, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um der begründeten Stellungnahme nachzukommen. Wenn Österreich nicht zufriedenstellend antwortet, kann die Kommission den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verweisen.
Brüssel sieht „zutiefst unfaire“ Regelung
Zu Jahresbeginn hatte Österreich die Unterstützung für Kinder im EU-Ausland und der Schweiz an die dortigen Lebenshaltungskosten angepasst, was für Osteuropa deutliche Kürzungen bedeutet. Die Brüsseler Behörde hatte am 24. Jänner ein Mahnschreiben nach Österreich geschickt, in dem die Indexierung der Familienbeihilfe als „zutiefst unfair“ abgelehnt wird.
„Es gibt keine Arbeiter zweiter Klasse, und es gibt keine Kinder zweiter Klasse in der EU“, hielt EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen damals fest. Die Maßnahme, die Österreich ergriffen habe, verhindere nicht einen „Sozialtourismus“, sondern treffe diejenigen Menschen, die zum österreichischen Sozialsystem beitragen.

Kürzungen für 125.000 Kinder
Von der Kürzung der Familienbeihilfe sind 125.000 Kinder betroffen, die meisten von ihnen leben in Ungarn (38.700), der Slowakei (27.180), Polen (14.865) und Rumänien (14.213). Seither gibt es somit für ein Kind von bis zu zwei Jahren, das etwa in Rumänien lebt, nur noch 56,20 Euro österreichische Familienbeihilfe monatlich statt zuvor 114 Euro; für Drei- bis Neunjährige sind es nun 60,10 statt 121,90 Euro. Für Deutschland beträgt die Differenz drei Euro.
Die geplatzte ÖVP-FPÖ-Regierung hatte sich nach früheren Angaben Einsparungen von 114 Millionen Euro pro Jahr erhofft. 2017 wurden 253,2 Millionen Euro an Beihilfen ins Ausland bezahlt. Eine etwas höhere Leistung gibt es durch die Verordnung für Kinder in den Ländern Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Island und Luxemburg. Auch in den Niederlanden, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Großbritannien wird eine höhere Familienbeihilfe gezahlt. Betroffen sind davon die Eltern von rund 400 Kindern, geht aus einer Auflistung des Familienministeriums aus dem Vorjahr hervor.
Experten nicht einig
Die damalige Ressortchefin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) hatte sich nach Erhalt des Mahnbriefes aus Brüssel unbeeindruckt gezeigt. Es stehe der Kommission frei, die Indexierung der Familienbeihilfe zu überprüfen. „Wir gehen weiterhin davon aus, dass die von uns gewählte Lösung mit europäischem Recht vereinbar ist“, sagte Bogner-Strauß damals. Das Ministerium berief sich in seiner Rechtsansicht auf den Wiener Sozialrechtler Wolfgang Mazal, der in einem Rechtsgutachten der Indexierungsmaßnahme Europarechtskonformität attestiert hatte.
Diese Auffassung teilten freilich nicht alle: Europarechtler Walter Obwexer ging zu Jahresbeginn davon aus, dass die Regelung voraussichtlich nicht halten wird. Obwexer: „Wenn der Gerichtshof bei der bisherigen Rechtsprechung bleibt, geht sie (die Indexierung) nicht durch.“ Inzwischen gebe es aber auch neuere Judikatur zu Sozialleistungen, räumte er ein. Es sei daher nicht völlig ausgeschlossen, dass Österreich recht behält mit seiner Position – für wahrscheinlicher halte er allerdings das Gegenteil.