Staatsarchiv
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Schredder-Affäre

Verstoß des Bundesarchivgesetzes geortet

In der Schredder-Affäre hat sich am Freitag im Ö1-Morgenjournal mit Wolfgang Maderthaner der langjährige, mittlerweile pensionierte Staatsarchiv-Generaldirektor zu Wort gemeldet. Er kritisierte eine Nichteinhaltung des Bundesarchivgesetzes und ortete eine „sehr neue Qualität in der Geschichte der Zweiten Republik“.

Maderthaner verwies auf das Bundesarchivgesetz, in dem es heißt: „Das Schriftgut, das unmittelbar beim Bundespräsidenten, Kanzler oder einem Minister in Ausübung ihrer Funktion oder in deren Büros anfällt und nicht beim Nachfolger bleiben soll, ist unverzüglich nach dem Ausscheiden aus der Funktion dem Staatsarchiv zu übergeben“ – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Wenn man „dies wörtlich nimmt, dann wäre tatsächlich alles Schriftgut und Verwaltungsgut, das in den Kabinetten anfällt, dem Staatsarchiv zu übergeben“, so Maderthaner. Aus seiner Sicht gilt das auch für Papiere und Datenträger, die Parteiarbeit betreffen – eventuell sogar Privates. Das, „weil sehr, sehr oft auch persönlich interessengeleitete Arbeit und Verwaltungsarbeit nicht auseinandergehalten werden“. Dem hatte zuvor der Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck widersprochen. Ihm zufolge dürften bestimmte Akten vernichtet werden, dazu zählten unter anderem persönliche Unterlagen wie Aufzeichnungen und Notizen.

„Will keine weitere Einschätzung treffen“

Laut dem Historiker Maderthaner hat die Schredder-Aktion des ÖVP-Mitarbeiters Arno M. dem Bundesarchivgesetz „jedenfalls widersprochen. Es ist eine Aktion, über die ich weiters keine Einschätzung treffen will, weil sie doch eine sehr neue Qualität in der Geschichte der Zweiten Republik darstellt.“

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer sah es als „wenig überraschend“ an, dass Maderthaner nicht „mit unsachlichen Vorwürfen in Richtung Volkspartei“ spare. Er verwies darauf, dass der ehemalige Generaldirektor des Staatsarchivs im Vorstand mehrerer SPÖ-naher Vereine sitze.

In St. Johann wird geschreddert

M. hatte am 23. Mai unter falschem Namen bei der Firma Reisswolf fünf Festplatten vernichten lassen. Das kam ans Licht, weil er die Rechnung nicht bezahlte und Reisswolf klagte. Übrigens wich die ÖVP damit auch bezüglich des Vernichtungsortes vom Prozedere des Staatsarchivs ab: Wenn dieses Unterlagen schreddern lässt, tut es das nicht bei Privatfirmen – wie in der aktuellen Causa bei der Firma Reisswolf –, sondern es wendet sich an das Bundeskanzleramt. Dieses schicke für die Vernichtung bestimmte Materialien an das zentrale EDV-Ausweichsystem des Bundes in St. Johann im Pongau.

Politik liefert unvollständig

Kritisiert wird aber auch, dass die Politik in der Praxis nur unvollständig an das Staatsarchiv liefert: „Ich gehe davon aus, dass das nicht in allen Fällen so passiert, es ist auch vom Staatsarchiv aus nicht kontrollierbar und jedenfalls nicht sanktionierbar“, so der 2012 unter der Regierung Faymann bestellte Ex-Staatsarchivchef. Im Falle eines Nichtlieferns gibt es keine Verwaltungsstrafen. Zudem steht es den Parteien frei, das Material an Nachfolgeregierungen zu übergeben. Auch Alleingänge gibt es: Das Außenministerium betreibt ein eigenes Archiv, das im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Wolfgang Maderthaner, der langjährige, mittlerweile pensionierte Staatsarchiv-Direktor
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Maderthaner kritisiert die aktuellen Vorgänge deutlich

Dabei wäre das Material gemäß Bundesarchivgesetz gut gesichert: Für 25 Jahre wird es versiegelt, nicht einmal das Staatsarchiv selbst darf es einsehen. Zugriff haben nur Ex-Kanzler bzw. Ex-Ministerinnen und -Minister, zudem von diesen beauftragte Personen. Die Öffentlichkeit erhält überhaupt erst 30 Jahre nach Übergabe der Dokumente Einblick. Fünf Jahre hat das Staatsarchiv davor Zeit, entsprechende Einordnungen vorzunehmen.

Diese lange Frist kritisierte zuletzt auch der amtierende Staatsarchiv-Generaldirektor Manfred Fink: Unter anderem stelle sich bei Datenträgern die Frage, ob diese nach einem Vierteljahrhundert überhaupt noch lesbar seien. Wenn jetzt durch die Schredder-Affäre diese Regeln überdacht werden, könnte das für die Forschung zum Meilenstein werden.

Historikerinnen und Historiker hatten fehlende Disziplin bei der Belieferung des Staatsarchivs immer wieder kritisiert. NEOS brachte angesichts der Affäre vor Kurzem einen Entschließungsantrag zur Novellierung des Bundesarchivgesetzes ein, das auch die Digitalisierung berücksichtigt. NEOS fordert Abläufe zu Archivierung, Vernichtung und Geheimhaltung sowie eine Verkürzung der Sperrfrist. Bei Verstößen spricht es sich auch für Strafen aus. Es gehe darum, "Akten unserer obersten Staatsorgane für die Nachwelt unabhängig davon zu sichern, ob sie dem Verfasser angenehm sind, oder nicht“, so NEOS-Kultursprecher Sepp Schellhorn.

Kurz sieht „Schlamperei“

Ex-Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bezeichnete indes das Verhalten seines Mitarbeiters als „Schlamperei“. Er verstehe die Kritik und wolle nichts schönreden, so Kurz Donnerstagabend im „Talk im Hangar 7“ von Servus TV. Grundsätzlich habe es sich aber um einen normalen Vorgang im Zuge eines Regierungswechsels gehandelt.

Die „Art und Weise der Darstellung“ könne er nicht nachvollziehen. Er selbst habe erst bei seiner USA-Reise davon erfahren, so Kurz: „Ich wusste es nicht.“ Er verstehe vollkommen, dass man sich denke, „was ist da los“. Der Vorwurf, dass die Causa etwas mit dem „Ibiza-Video“ zu tun haben könnte, sei „absurd“. Vielmehr habe es sich um ein normales Prozedere im Zuge eines Regierungswechsels gehandelt. „Auch die Übergabe von (Christian, ehemaliger SPÖ-Kanzler, Anm.) Kern verlief so.“

Kurz: Nichts Relevantes

Das Schreddern sei einige Tage vor dem Misstrauensvotum erfolgt, so Kurz. Damals sei man davon ausgegangen, dass es sehr wahrscheinlich sei, „dass wir aus dem Bundeskanzleramt ausziehen müssen“. Das habe sofort passieren müssen, denn die Mitarbeiter hätten unmittelbar nach dem erfolgten Misstrauensvotum ihre Zuständigkeit verloren.

Daher habe sein Team die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Es habe sich jedenfalls um nichts Relevantes gehandelt, das man aufheben hätte müssen. Der Mitarbeiter habe versucht, das „bestmöglich zu koordinieren“, sagte der ÖVP-Chef.

„In guter Absicht gehandelt“

Dabei habe der Mann „in guter Absicht gehandelt“. Damals sei noch nicht fix gewesen, dass die Regierung abgewählt werde. „Der Mitarbeiter wollte nicht, dass in der Zeitung steht, dass wir damit rechnen, abgewählt zu werden.“ Zudem seien etliche in seinem Team nach dem letzten Wahlkampf „gebrannte Kinder“. Damals seien Konzepte und inhaltliche Ideen der ÖVP an die Medien gelangt. „Diesmal ist mein Team übervorsichtig geworden“, so Kurz. Seinem Wissen nach habe es sich um fünf Speicherplatten von Druckern der Kabinettsmitarbeiter gehandelt. Von weiteren auf diesem Weg entsorgten wisse er nichts.