NEOM-Präsentation
Reuters/Faisal Nasser
Fliegende Taxis und Roboterdinos

Kronprinz plant Utopia in Saudi-Arabien

Mitten in der Wüste Saudi-Arabiens soll eine neue Stadt entstehen. Dafür scheute Kronprinz Mohammed bin Salman keine Kosten und Mühen und wandte sich an renommierte US-Beratungsfirmen. Ergebnis ist der utopische Plan einer Stadt namens „Neom“, die volle Automatisierung, Unterhaltung und beste Lebensqualität bieten will. Doch das wirkt in dem islamisch-konservativen Königreich wie ein großer Widerspruch.

Der Name „Neom“ ist eine Verschmelzung von „neo“ (griechisch: neu) und „m“ für „mustaqbal“ (arabisch: Zukunft). Errichtet werden soll das saudi-arabische Utopia in der Küstengegend im Nordwesten des Königreichs. So wie in den meisten Gegenden in dem Land ist auch dort die Landschaft karg – und, wie das „Wall Street Journal“ („WSJ“) kürzlich berichtete, sogar derart unbrauchbar, dass eine Gruppe von westlichen Beobachtern als Vorteile lediglich auflistete: „Sonnenlicht und ein unbegrenzter Zugang an Salzwasser“. Der Kronprinz allerdings sieht keine trockene Einöde, sondern die Zukunft.

Zusammen mit internationalen Beratern wie der Boston Consulting Group, McKinsey und Oliver Wyman entwickelte er einen Plan für einen 500-Mrd.-Dollar-Stadtstaat (449 Mrd. Euro), der sich über rund 26.000 Quadratkilometer Steinwüste und leere Küsten erstrecken soll. Wie viel von „Neom“ tatsächlich bald Realität sein könnte und wie viel Utopie bleiben wird, darüber scheiden sich jedoch die Geister. Aus den Plänen, die einerseits teilweise auf der Website des Projekts einsehbar sind, andererseits dem „WSJ“ nach eigenen Angaben im Detail vorliegen, geht aber einiges hervor.

„Wir werden fliegende Autos haben“

„Ich möchte keine Straßen oder Gehwege. Wir werden 2030 fliegende Autos haben“, soll der Kronprinz der Zeitung zufolge in einer Sitzung gesagt haben. Er wolle Bewohnerinnen und Bewohner von „Neom“ mit Drohnentaxis zur Arbeit fliegen lassen, während Roboter ihre Häuser putzen. Die Pläne verrieten weiters, dass man Silicon Valley in Sachen Technologie, Hollywood bei der Unterhaltung und die französische Riviera als Urlaubsort ablösen wolle. Erste konkrete Einzelprojekte umfassen einen Palast, einen Flughafen und ein Urlaubsresort. Geplant sind zudem Autofabriken, Krankenhäuser, Technologieunternehmen und vieles mehr.

Dronen-Taxi bei NEOM-Präsentation
Reuters/Hamad I Mohammed
Ein Drohnentaxi während einer Präsentation der „Neom“-Pläne 2017

Das Klima soll mittels „Wetterimpfung“ künstlich reguliert werden, sodass es auch regelmäßig Regen geben kann. Diese Methode ist in ihrer tatsächlichen Wirksamkeit in der Wissenschaft aber höchst umstritten. Die medizinische Forschung in „Neom“ soll sich unterdessen der Veränderung des Erbguts widmen, um Menschen widerstandsfähiger und klüger zu machen. Den Nachwuchs wolle man im „führenden Bildungssystem der Welt“ unterrichten, berichtete das „WSJ“. Futuristische Begrifflichkeiten wie „Hologramm-Fakultät“ würden sich in den Unterlagen finden.

Leuchtender Strand und künstlicher Mond

Dinieren sollen die Bewohnerinnen und Bewohner in den weltbesten Restaurants. Mit „Neom“ wollen die Entwickler „die höchste Quote an Michelin-Sterne-Restaurants pro Einwohner“ erzielen. Ihre Freizeit können die Menschen außerdem in einer Art „Jurassic Park“ mit Roboterdinosauriern verbringen. Wen es weniger in Vergnügungsparks und stattdessen in die „Natur“ zieht, soll aber auch dort die eine oder andere technische Sensation vorfinden können: Etwa einen „Silver Beach“ – einen Strand, der im Dunklen leuchtet.

Doch Sand soll nicht die einzige technische Sensation sein, die strahlen kann. Jede Nacht soll eine Flotte von Drohnen die Illusion eines gigantischen, aufgehenden Mondes erzeugen. Um dies zu erreichen, schlug die Boston Consulting Group laut „WSJ“ eine Partnerschaft mit der NASA vor, um den künstlichen Mond zum „größten der Welt“ zu machen.

Karte zeigt den Ort der geplanten Stadt Neom in Saudi-Arabien
Grafik: APA/ORF.at

In „Neom“ soll es weltweit das höchste BIP pro Kopf geben, wie die Zeitung schreibt. Kronprinz Mohammed wolle die „größten Köpfe und besten Talente der Welt für die bestbezahlten Jobs in der lebenswertesten Stadt“ für sich gewinnen. Dafür wolle man, so das „WSJ“, Experten aus großen Unternehmen wie Amazon, Tesla, Softbank und IBM zu sich holen und sie mit Anreizen wie kostenlosem Strom und subventionierter Arbeit nach „Neom“ locken. Die Unternehmen bestätigten eine Zusammenarbeit allerdings nicht.

„Eine Stadt, in der ein Computer Straftaten melden kann“

Das Trinken von Alkohol soll, anders als im restlichen Königreich, kein Problem sein – obwohl unklar ist, ob die Scharia bzw. die islamische Rechtsprechung in „Neom“ ausgesetzt werden soll oder nicht. Auch über die Rechte von Frauen geht aus den Dokumenten nichts hervor. „Neom von Grund auf zu errichten, mit unabhängigen Systemen und Vorschriften, bedeutet, die Verfügbarkeit der besten Dienste ohne soziale Einschränkungen sicherstellen“, sagte der Kronprinz aber laut den Dokumenten der ersten „Neom“-Vorstandssitzung 2017.

Überwachung scheint jedenfalls Kernstück der Pläne zu sein. Ein spezielles Rechtssystem, das von der Anwaltskanzlei Latham & Watkins entwickelt und laut „WSJ“ als „unabhängig“ bezeichnet wurde, würde Richter dazu veranlassen, dem König direkt Bericht zu erstatten. Kameras, Drohnen und Gesichtserkennungssoftware soll außerdem jeden und jede immerzu überwachen. „Dies sollte eine automatisierte Stadt sein, in der wir alles beobachten können“, heißt es dem „WSJ“ zufolge in den Unterlagen des Kronprinzen. „Eine Stadt, in der ein Computer Straftaten melden kann, ohne dass sie gemeldet werden müssen, oder in der alle Bürger getrackt werden können.“

Plan will 20.000 Menschen „umsiedeln“

Doch um „Neom“ zu bauen, wird der Zeitung zufolge Geld benötigt, das Saudi-Arabien nicht hat. Das Land verbuchte kürzlich Haushaltsdefizite, und der Kronprinz verpflichtete sich, 45 Mrd. US-Dollar (40 Mrd. Euro) in einen Fonds der japanischen Softbank zu stecken. Das Königreich würde zudem aus dem Ausland geliehenes Geld verwenden, um „Neoms“ erste Etappen zu finanzieren, so das „WSJ“. Vertrauen werde jedenfalls in ausländische Expertise gesetzt. Produziert werden soll allerdings im Inland, um die Ausgaben der Saudis möglichst im Land zu halten.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
Reuters/Sputnik
Kronprinz Mohammed gibt sich als Modernisierer, gilt international aber auch als Missachter von Menschenrechten

Doch sämtliche Pläne kommen nicht ohne Nachteile für die ortsansässige Bevölkerung. So müssten 20.000 Menschen möglicherweise gewaltsam umgesiedelt werden, wie aus einem Umsiedlungsplan der Boston Consulting Group hervorgehe, der dem „WSJ“ vorliegt. Der Beratungsfirma zufolge würde das bis 2025 dauern. Der Kronprinz dränge allerdings auf eine rasche Umsetzung bis 2022.

Kritisiert wird diesbezüglich unter anderem, dass man, statt heruntergekommene Städte und Dörfer aufzuwerten, einfach eine neue Stadt für Reiche baue. Überschattet werden die Vorhaben aus internationaler Sicht außerdem von dem Fall des 2018 ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi, der von Beauftragten des Kronprinzen getötet worden sein soll, wie unter anderem der UNO-Menschenrechtsrat in Genf vermutet.

Weg vom Öl?

Kronprinz Mohammed arbeitet nachhaltig am Umbau der Wirtschaft Saudi-Arabiens, wie aus seiner „Vision 2030“ hervorgeht. „Neom“ ist Teil davon. Einerseits will er damit mehr Unabhängigkeit vom Erdöl als derzeit einzigem nennenswerten Exportgut erzielen, andererseits auch gegen die Abwanderung von ausländischen Arbeitskräften vorgehen. Denn ausländische Unternehmen haben es aufgrund eines undurchsichtigen Rechtssystems und Korruption lange überhaupt vermieden, sich in dem schwerreichen Land anzusiedeln. Zudem machen soziale Auflagen wie Alkoholverbot und die strukturelle Diskriminierung von Frauen es westlichen Firmen schwer, Fuß zu fassen.

Erst im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass das Königreich Investoren und hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland mit einer neuen Aufenthaltsgenehmigung anlocken will. Ausländer benötigen bei diesem „Premium-Aufenthalt“ anders als zuvor keinen saudischen Sponsor oder Arbeitgeber mehr, um sich frei im Land zu bewegen, Immobilien zu kaufen und Geschäfte zu tätigen. Das neue System sieht zwei Arten des Aufenthalts für Ausländer vor: die „Premium Residency“ mit einer jährlichen Zahlung von umgerechnet 23.000 Euro sowie die „Permanent Premium Residency“. Diese gilt auf Lebenszeiten und kostet einmalig umgerechnet 187.000 Euro.