Christian Kern
APA/Barbara Gindl
Schredder-Affäre

Kern widerspricht Kurz und droht mit Klage

Die Schredder-Affäre ist um ein weiteres Detail reicher: Der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern widerspricht seinem Nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP), auch bei Kerns Amtsübergabe seien Datenträger vernichtet worden. Alle Unterlagen seien gesetzeskonform dem Staatsarchiv übergeben worden. Kern kündigte rechtliche Schritte an, sollte Kurz die Aussagen nicht zurücknehmen. Die Reaktion der ÖVP ließ nicht lange auf sich warten.

„Ein Shreddern von Festplatten fand nicht statt“, schrieb Kern am Freitag auf Facebook. Kurz unterstelle ihm, Kern, man habe bei der Übergabe der Amtsgeschäfte ebenfalls Festplatten des Bundeskanzleramtes geschreddert, schreibt der ehemalige SPÖ-Kanzler in einem offenen Brief an den ÖVP-Chef – „und Du hättest dies auch gewusst und gebilligt“. Soweit es sich nicht um „veraktete Unterlagen“ handelte, die ohnehin im BKA verblieben seien, seien die Unterlagen dem Staatsarchiv übergeben worden, so Kern.

„Dass ein Mitarbeiter meines Kabinetts mit Festplatten zu einer Privatfirma gegangen wäre, um diese dort zu zerstören, ist selbstverständlich nicht vorgekommen“, richtete Kern seinem Nachfolger aus.

Frist bis Montag

„Derartiges Vorgehen kann Dir also nicht als ‚normales Prozedere‘ bekannt sein.“ Die Behauptung des ÖVP-Chefs in der Diskussionssendung „Talk im Hangar 7“ von Servus TV am Donnerstag sei daher unrichtig „und Du weißt das“.

Kern fordert Kurz nun auf, dessen Aussagen „sehr rasch und in geeigneter Form richtig zu stellen und festzuhalten, dass die Übergabe der Amtsgeschäfte durch mich an Dich ohne heimliche Zerstörung von Datenträgern des Bundeskanzleramtes erfolgt ist“. Sollte dies bis Montag nicht geschehen, „müsste ich meine Anwälte um Prüfung bitten, ob hier gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss, um meinen guten Ruf zu wahren“.

Gegenangriff der ÖVP

Die ÖVP ging umgehend zum Gegenangriff über. Generalsekretär Karl Nehammer richtete an Kern die Frage, ob er und seine Mitarbeiter beim Auszug aus dem Kanzleramt nicht nur Daten ordnungsgemäß gelöscht, sondern gleich ganze Geräte wie Handys oder Notebooks mitgenommen hätten. Nehammer will nun von der SPÖ wissen, wo sich diese Geräte inklusive der Daten befinden. Diese Frage hätte die ÖVP gerne von Kern und auch von SPÖ-Vorsitzender Pamela Rendi-Wagner sowie Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda beantwortet, so der ÖVP-Generalsekretär in einer schriftlichen Stellungnahme.

Kurz sieht „Schlamperei“

Kurz hatte das Verhalten seines Mitarbeiters als „Schlamperei“ bezeichnet. Er verstehe die Kritik und wolle nichts schönreden, so Kurz im „Talk im Hangar 7“. Grundsätzlich habe es sich aber um einen normalen Vorgang im Zuge eines Regierungswechsels gehandelt. Das betonte er auch am Freitagnachmittag in einem Tweet. Auf Kern ging er dabei nicht ein.

Die „Art und Weise der Darstellung“ könne er nicht nachvollziehen, sagte er im TV. Er selbst habe erst bei seiner USA-Reise davon erfahren, so Kurz: „Ich wusste es nicht.“ Er verstehe vollkommen, dass man sich denke, „was ist da los“. Der Vorwurf, dass die Causa etwas mit dem „Ibiza-Video“ zu tun haben könnte, sei „absurd“. Vielmehr habe es sich um ein normales Prozedere im Zuge eines Regierungswechsels gehandelt. „Auch die Übergabe von Kern verlief so.“

Kurz: Nichts Relevantes

Das Schreddern sei einige Tage vor dem Misstrauensvotum erfolgt, so Kurz. Damals sei man davon ausgegangen, dass es sehr wahrscheinlich sei, „dass wir aus dem Bundeskanzleramt ausziehen müssen“. Das habe sofort passieren müssen, denn die Mitarbeiter hätten unmittelbar nach dem erfolgten Misstrauensvotum ihre Zuständigkeit verloren.

Daher habe sein Team die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Es habe sich jedenfalls um nichts Relevantes gehandelt, das man aufheben hätte müssen. Der Mitarbeiter habe versucht, das „bestmöglich zu koordinieren“, sagte der ÖVP-Chef.

„In guter Absicht gehandelt“

Dabei habe der Mann „in guter Absicht gehandelt“. Damals sei noch nicht fix gewesen, dass die Regierung abgewählt werde. „Der Mitarbeiter wollte nicht, dass in der Zeitung steht, dass wir damit rechnen, abgewählt zu werden.“ Zudem seien etliche in seinem Team nach dem letzten Wahlkampf „gebrannte Kinder“. Damals seien Konzepte und inhaltliche Ideen der ÖVP an die Medien gelangt. „Diesmal ist mein Team übervorsichtig geworden“, so Kurz.

Im Bundeskanzleramt wollte man indes auf Anfrage von ORF.at keine Auskünfte geben, ob nach der Amtsübergabe in Druckern Festplatten gefehlt hätten. Kanzlerin Brigitte Bierlein habe „eine interne Evaluierung veranlasst, nicht zuletzt im Hinblick auf entsprechende parlamentarische Anfragen“. Aufgrund „laufender Ermittlungen“ würden derzeit keine weiteren Angaben gemacht, hieß es aus dem Bundeskanzleramt.

Bierlein stellt sich hinter Beamte

Bierlein selbst stellte sich am Freitagabend allerdings ausdrücklich hinter die Beamten des Kanzleramtes. Alle Beamten und Mitarbeiter leisteten „ganz hervorragende Arbeit, sind unglaublich loyal und ich stehe hinter diesen Personen“, sagte Bierlein in einem Puls4-Interview. Bierlein reagierte damit auf Aussagen der ÖVP, man habe die Datenträger deshalb vernichten lassen, weil man SPÖ-nahen Beamten im Kanzleramt misstraut habe. Zuvor hatte bereits die Gewerkschaft die Unterstellungen gegen die Beamten zurückgewiesen. Inhaltlich wollte die Bundeskanzlerin zu der Affäre nicht Stellung nehmen.

Gegen Bundesarchivgesetz verstoßen?

Im Ö1-Morgenjournal am Freitag meldete sich mit Wolfgang Maderthaner der langjährige, mittlerweile pensionierte Staatsarchiv-Generaldirektor zu Wort. Er kritisierte eine Nichteinhaltung des Bundesarchivgesetzes und ortete eine „sehr neue Qualität in der Geschichte der Zweiten Republik“.

Maderthaner verwies auf das Bundesarchivgesetz, in dem es heißt: „Das Schriftgut, das unmittelbar beim Bundespräsidenten, Kanzler oder einem Minister in Ausübung ihrer Funktion oder in deren Büros anfällt und nicht beim Nachfolger bleiben soll, ist unverzüglich nach dem Ausscheiden aus der Funktion dem Staatsarchiv zu übergeben“ – Audio dazu in oe1.ORF.at.

„Alles Schriftgut und Verwaltungsgut“ zu übergeben

Wenn man „dies wörtlich nimmt, dann wäre tatsächlich alles Schriftgut und Verwaltungsgut, das in den Kabinetten anfällt, dem Staatsarchiv zu übergeben“, so Maderthaner. Aus seiner Sicht gilt das auch für Papiere und Datenträger, die Parteiarbeit betreffen – eventuell sogar Privates. Das, „weil sehr, sehr oft auch persönlich interessengeleitete Arbeit und Verwaltungsarbeit nicht auseinandergehalten werden“.

Dem hatte zuvor der Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck widersprochen. Ihm zufolge dürften bestimmte Akten vernichtet werden, dazu zählten unter anderem persönliche Unterlagen wie Aufzeichnungen und Notizen.

„Will keine weitere Einschätzung treffen“

Laut dem Historiker Maderthaner hat die Schredder-Aktion des ÖVP-Mitarbeiters Arno M. dem Bundesarchivgesetz „jedenfalls widersprochen. Es ist eine Aktion, über die ich weiters keine Einschätzung treffen will, weil sie doch eine sehr neue Qualität in der Geschichte der Zweiten Republik darstellt.“

ÖVP-Generalsekretär Nehammer sah es als „wenig überraschend“ an, dass Maderthaner nicht „mit unsachlichen Vorwürfen in Richtung Volkspartei“ spare. Er verwies darauf, dass der ehemalige Generaldirektor des Staatsarchivs im Vorstand mehrerer SPÖ-naher Vereine sitze.

Wolfgang Maderthaner, der langjährige, mittlerweile pensionierte Staatsarchiv-Direktor
APA/Hans Punz
Maderthaner kritisiert die aktuellen Vorgänge deutlich

M. hatte am 23. Mai unter falschem Namen bei der Firma Reisswolf fünf Festplatten vernichten lassen. Das kam ans Licht, weil er die Rechnung nicht bezahlte und Reisswolf ihn klagte. Übrigens wich die ÖVP damit auch bezüglich des Vernichtungsortes vom Prozedere des Staatsarchivs ab: Wenn dieses Unterlagen schreddern lässt, tut es das nicht bei Privatfirmen – wie in der aktuellen Causa bei der Firma Reisswolf –, sondern es wendet sich an das Bundeskanzleramt. Dieses schicke für die Vernichtung bestimmte Materialien an das zentrale EDV-Ausweichsystem des Bundes in St. Johann im Pongau.

Politik liefert unvollständig

Kritisiert wird aber auch, dass die Politik in der Praxis nur unvollständig an das Staatsarchiv liefert: „Ich gehe davon aus, dass das nicht in allen Fällen so passiert, es ist auch vom Staatsarchiv aus nicht kontrollierbar und jedenfalls nicht sanktionierbar“, so der 2012 unter der Regierung Faymann bestellte Ex-Staatsarchivchef. Im Falle eines Nichtlieferns gibt es keine Verwaltungsstrafen. Zudem steht es den Parteien frei, das Material an Nachfolgeregierungen zu übergeben. Auch Alleingänge gibt es: Das Außenministerium betreibt ein eigenes Archiv, das im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Dabei wäre das Material gemäß Bundesarchivgesetz gut gesichert: Für 25 Jahre wird es versiegelt, nicht einmal das Staatsarchiv selbst darf es einsehen. Zugriff haben nur Ex-Kanzler bzw. Ex-Ministerinnen und -Minister, zudem von diesen beauftragte Personen. Die Öffentlichkeit erhält überhaupt erst 30 Jahre nach Übergabe der Dokumente Einblick. Fünf Jahre hat das Staatsarchiv davor Zeit, entsprechende Einordnungen vorzunehmen.