Polizisten nehmen Demonstranten in Moskau fest
APA/AP/Kririll Kudryavtsev
Moskau

Tausend Verhaftungen bei Kundgebung

Mehr als 1.000 Menschen sind bei einer Protestkundgebung in der russischen Hauptstadt Moskau festgenommen worden. Diese Zahl nannte die Polizei am Samstagabend. Hintergrund der nicht genehmigten Demonstration war der Ausschluss zahlreicher Oppositionspolitiker von der Regionalwahl Anfang September.

1.074 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration seien wegen „verschiedener Straftaten“ in Polizeigewahrsam gekommen, zitierte die Agentur Interfax die Polizei. Sie müssten sich nun wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ verantworten, heißt es in einer Mitteilung. Am Nachmittag hatte die Polizei noch von knapp 300 Festgenommenen gesprochen. Das Bürgerrechtsportal OWD-Info, das Festnahmen bei Demonstrationen erfasst, listete am Abend ebenfalls mehr als 1.000 Fälle auf. Den Beamten zufolge wurden insgesamt rund 3.500 Teilnehmer gezählt.

Die Kundgebung am Rathaus war von den Behörden zuvor nicht genehmigt worden. Die Sicherheitskräften hatten ausdrücklich vor einer Teilnahme gewarnt und ein hartes Durchgreifen angekündigt. Sie hatten am Nachmittag das Rathaus und den Platz davor mit einem großen Aufgebot und vielen Einsatzfahrzeugen sowie Linienbussen abgesichert. Dort sollte die Demonstration ursprünglich stattfinden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung wichen daher auf die angrenzenden Straßen aus. Zu sehen war auch, wie eine Polizeiabsperrung durchbrochen wurde. Die Menge applaudierte danach.

Demonstrant: „Was hier passiert, ist illegal“

Die Demonstranten fordern, dass unabhängige Kandidaten und Oppositionelle zur Wahl des neuen Moskauer Stadtparlaments am 8. September zugelassen werden. „Das ist unsere Stadt“ und „Wir wollen freie Wahlen“, riefen die Demonstranten. Ein Demonstrant, der seinen Namen nicht nennen wollte, sagte der dpa: „Was hier passiert, ist illegal. Die Politik bricht unsere Rechte.“ Während der Kundgebung funktionierte das Internet zeitweise nicht. Dpa-Reporter berichteten auch von Verletzten.

Polizisten nehmen Demonstranten in Moskau fest
Reuters/Maxim Shemetov
Die dpa berichtet auch von verletzten Demonstranten

Zuvor waren zahlreiche Politiker wie der prominente Kreml-Kritiker Ilja Jaschin als Bewerber nicht registriert worden, weil ihnen angeblich die notwendigen Unterschriften fehlten oder ihre Unterlagen Formfehler gehabt hätten, wie die Behörden behaupteten. In einigen Fällen sollen in Formularen einzelne Buchstaben fehlen, in anderen sei das falsche Geschlecht angegeben. Zudem sollen nach Darstellung der Behörden einige Unterstützende bereits tot sein, obwohl sie laut Opposition beim Unterzeichnen fotografiert wurden. Insgesamt verweigerte die Wahlkommission 57 Kandidaten die Registrierung, 233 seien zugelassen worden. Derzeit zählt die Volksvertretung der russischen Hauptstadt 45 Sitze.

Opposition spricht von Manipulation

Die ausgeschlossenen Politiker betonen, dass ihnen absurde Fehler untergeschoben worden seien und sprechen von Manipulationen. Der Weg ins Stadtparlament werde ihnen verwehrt, damit sie den Sieg der Kreml-Partei Geeintes Russland nicht schmälerten, sagte der Oppositionelle Gudkow dem Radiosender Echo Moskwy. Die Regierungspartei Geeintes Russland mit ihrem Vorsitzenden Dmitri Medwedew verliert seit einiger Zeit stark an Zustimmung.

Demonstranten und Polizisten in Moskau
Reuters/Tatyana Makeyeva
Die Polizei sicherte Straßen mit einem großen Aufgebot ab. Demonstranten versuchten, die Gitter wegzutragen.

Gegen die Entscheidungen der Behörden gingen beim Stadtgericht Moskau der Agentur Interfax zufolge etwa 30 Klagen ein. In einigen Fällen seien sie abgewiesen worden. Andere Entscheidungen stünden noch aus. Seit fast zwei Wochen gehen Demonstrantinnen und Demonstranten regelmäßig auf die Straße. Bei einer Protestaktion vor einer Woche wurden bis zu 20.000 Teilnehmende gezählt. Es war die größte Demonstration seit Jahren.

Nawalny rief zu Demos auf

Dazu aufgerufen hatte der bekannte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Dafür wurde er erst am Mittwoch von einem Gericht zu 30 Tagen Haft verurteilt. Er erneuerte danach seinen Aufruf. Für Empörung sorgte bei Oppositionellen auch, dass die Polizei gegen sie zuletzt verstärkt vorgegangen war. Jaschin berichtete am Samstag, dass er zu einer Polizeistation gebracht und vernommen worden sei. Er sei am Abend aber wieder freigekommen. Ein Gericht werde sich mit seinem Fall in der kommenden Woche befassen, hieß es.

Festnahmen bei Kundgebung in Moskau

Hunderte Demonstrierende wurden in Moskau bei einer oppositionellen Kundgebung verhaftet. (Videoquelle: APTN)

Auch die Oppositionspolitiker Iwan Schdanow, Ljubow Sobol und Dmitri Gudkow wurden kurz vor Beginn der Kundgebung am Samstag in Gewahrsam genommen, wie AFP berichtete. Am Freitag wurden laut AFP zudem mehrere Wahlkampfbüros von Verbündeten Nawalnys durchsucht. Das sei „dreister und unrechtmäßiger Druck auf die Opposition inmitten des Wahlkampfs“, schrieb Jaschin via Twitter.

Gudkow forderte die Russinnen und Russen auf, trotz der Repressalien weiter für freie und faire Wahlen zu kämpfen. „Wir reden nicht mehr über unsere Mandate“, sagte er am Freitag. „Wenn wir jetzt verlieren, wird es Wahlen als politisches Instrument nicht mehr geben, und der Unterdrückungsapparat wird das Land ins Jahr 1937 zurückwerfen“, fügte er mit Blick auf den Höhepunkt der Stalin-Diktatur hinzu.