Alexei Nawalny
Reuters/Tatyana Makeyeva
Russland

Kreml-Kritiker Nawalny womöglich vergiftet

Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist womöglich mit Gift in Berührung gekommen. „Wir können nicht ausschließen, dass seine Haut von einem Gift berührt und von einer unbekannten chemischen Substanz durch einen Dritten verletzt wurde“, schrieb seine Hausärztin Anastasia Wassiliewa am Sonntag auf Facebook. Der Medizinerin zufolge wurde er am Montag aus dem Spital entlassen und ins Gefängnis zurückgebracht.

Bei einer Pressekonferenz sagte seine Anwältin Olga Michailowa am Montag, dass der prominente Oppositionspolitiker vergiftet worden sei. Nawalny leide unter geschwollenen Augenlidern und habe Abszesse an Nacken, Rücken, Rumpf und Ellbogen, hatte seine Hausärztin am Sonntag gesagt.

Nawalny habe noch nie eine allergischen Reaktion erlitten, sagte Wassiliewa nach einem Besuch bei dem Politiker im Krankenhaus. Sie forderte eine Untersuchung der Bettwäsche in seiner Gefängniszelle. Weder Nawalny noch seine Angehörigen hätten eine Diagnose genannt bekommen. Fünf Mitgefangene in der Zelle hätten die gleichen Lebensmittel wie Nawalny zu sich genommen. Ihnen gehe es jedoch gut.

Ärzte rechnen mit baldiger Entlassung

Nawalnys Zustand sei stabil, meldete das Moskauer Krankenhaus zuvor. Er war am Sonntag aus dem Gefängnis in das Krankenhaus verlegt worden. Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow sagte dem russischen Radiosender Echo Moskwy, er selbst habe im Gefängnis einmal mit ähnlichen Symptomen zu kämpfen gehabt. In seinem Fall vermutete er Hygienemängel in der Haftanstalt als Ursache.

30 Tage Haft wegen Aufrufs zu Protest

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmisch sprach zunächst von einer „schweren allergischen Reaktion“. Nawalny werde medizinisch versorgt und von der Polizei bewacht. Der Oppositionspolitiker war erst am Mittwoch zu 30 Tagen Haft verurteilt worden, weil er für Samstag zu einem nicht genehmigten Protest aufgerufen hatte.

Nawalny, der in der Vergangenheit immer wieder nationalistische und ausländerfeindliche Töne anschlug, ist einer der prominentesten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert, was ihm immer wieder kurze Haftstrafen einbrachte.

Demonstrantin wird festgenommen
AP/Pavel Golovkin
Bei Demonstrationen am Wochenende wurden mehr als 1.000 Menschen festgenommen

Bei jener Demo wurden am Samstag mehr als 1.000 oppositionellen Demonstrierende festgenommen, was international auf scharfe Kritik stieß. Die EU und die USA verurteilten den gewaltsamen Polizeieinsatz und beklagten einen Verstoß gegen demokratische Grundrechte.

„Wir wollen freie Wahlen“

Rund 3.500 Menschen hatten nach offiziellen Angaben an der nicht genehmigten Kundgebung für freie Kommunalwahlen in der Nähe des Moskauer Rathauses teilgenommen. „Das ist unsere Stadt“ und „Wir wollen freie Wahlen“, riefen sie. Die Einsatzkräfte riegelten den Platz vor dem Rathaus ab und gingen mit großer Härte gegen die Demonstranten vor. Dabei setzten sie auch Schlagstöcke ein. Mehrere Menschen erlitten nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten Nasenbrüche und Verletzungen am Kopf.

Die Nichtregierungsorganisation OWD-Info sprach von 1.373 Festnahmen – ihren Angaben zufolge die größte Zahl an Festnahmen seit den Massenprotesten gegen die Wiederwahl von Putin ins Präsidentenamt im Jahr 2012. Die Polizei erklärte unterdessen, es seien 1.074 Menschen wegen „verschiedener Vergehen“ während der Demonstration in Gewahrsam genommen worden.

Politiker von Kommunalwahl ausgeschlossen

Die Protestkundgebung richtete sich gegen den Ausschluss zahlreicher Oppositionskandidaten von der für September geplanten Kommunalwahl in Moskau. Sie dürfen wegen angeblicher formaler Mängel nicht antreten. Auch in anderen russischen Städten wurden Oppositionskandidaten von Kommunalwahlen ausgeschlossen, unter anderem in St. Petersburg.

Die EU verurteilte das Vorgehen der Moskauer Polizei. Die Festnahmen und der „unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ liefen den Rechten auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zuwider, sagte eine EU-Sprecherin.

Die US-Botschaft in Moskau kritisierte ebenfalls die „unverhältnismäßige Polizeigewalt“. Der Einsatz gegen die Demonstranten untergrabe „das Recht der Bürger, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen“, schrieb Botschaftssprecherin Andrea Kalan auf Twitter. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte die „sofortige Freilassung friedlicher Demonstranten“.

Größte Kundgebung seit Jahren

Schon vor einer Woche hatten mehr als 20.000 Menschen in der russischen Hauptstadt für freie und faire Kommunalwahlen demonstriert – es war die größte Kundgebung seit Jahren. In den folgenden Tagen verschärften die Behörden ihr Vorgehen gegen die Opposition.

Auch mehrere von der Kommunalwahl in Moskau ausgeschlossene Oppositionskandidaten wurden vor oder während der Protestkundgebung am Samstag in Gewahrsam genommen. „Die Behörden haben jeglichen Sinn für Vernunft verloren“, schrieb einer von ihnen, Ilja Jaschin, auf Twitter. Jaschin und das Team von Oppositionsführer Nawalny riefen für das kommende Wochenende zu weiteren Protesten auf.

Putin kündigte Ausbau der Marine an

Der russische Präsident gedachte unterdessen am Samstag mit einer besonderen Aktion der Besatzung eines sowjetischen U-Bootes aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Staatschef stieg in ein Tauchboot und ließ sich nach Angaben des Kreml in 50 Meter Tiefe auf den Boden des Finnischen Meerbusens bringen, wo das Kriegsschiff seit seinem Untergang 1942 liegt.

Am Sonntag kündigte er in St. Petersburg anlässlich des russischen Tages der Marine den Ausbau der Seestreitkräfte an. 62 Prozent der Waffen und Ausrüstung seien bereits erneuert worden. Aufgabe sei es, die Stärke der russischen Marine auszubauen, sagte Putin der Agentur TASS zufolge.