ICE im Frankfurter Hauptbahnhof
APA/Frank Rumpenhorst
Deutschland

Sicherheitsdebatte nach Tod von Buben

Nach der tödlichen Attacke auf dem Frankfurter Hauptbahnhof geht die Suche der Ermittler nach dem Motiv des Tatverdächtigen weiter. Der 40-Jährige, der am Montag einen achtjährigen Buben vor einen einfahrenden ICE in den Tod gestoßen haben soll, hat sich bisher nicht zur Tat geäußert. In Deutschland löste der Fall eine breite Debatte über die Sicherheit im Land aus.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) will sich „angesichts mehrerer schwerwiegender Taten in jüngerer Zeit“ am Dienstag in Berlin mit den Chefs der Sicherheitsbehörden beraten. Bei dem Treffen soll es neben der Attacke in Frankfurt auch um Angriffe und Drohungen gegen Vertreter der Linkspartei gehen, um Bombendrohungen gegen Moscheen sowie den rassistisch motivierten Angriff auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach, berichtete die Nachrichtenagentur dpa.

Der 40-Jährige soll auch die Mutter des getöteten Buben auf das Gleisbett gestoßen und es bei einer weiteren Person versucht haben. Die Mutter habe sich auf einen Fußweg zwischen zwei Gleisen gerettet. Sie wurde mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die dritte Person konnte sich in Sicherheit bringen, ohne in die Gleise zu stürzen.

Blumen vor Gleisen
AP/Michael Probst
Blumen und Kerzen am Tatort: Der Fall löste nicht nur in Deutschland Entsetzen aus

Mutmaßlicher Täter dreifacher Vater

Der Tatverdächtige, der nach einer kurzen Flucht von Passanten festgehalten und von der Polizei festgenommen wurde, kommt laut dem deutschen Innenministerium aus Eritrea. Er sei verheiratet, selbst Vater von drei Kindern und lebe seit dem Jahr 2006 in der Schweiz, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Dienstag in Frankfurt am Main. Es gebe keine Hinweise darauf, dass der 40-Jährige vor der Tat Alkohol oder Drogen konsumiert habe.

Seehofer verwies am Montag darauf, dass „in Teilen der Öffentlichkeit“ bereits eine Bewertung der Tat vorgenommen werde. „Dies ist seriös aber erst möglich, wenn die Hintergründe aufgeklärt sind“, sagte der Minister.

Ruf nach mehr Polizei

Die Attacke löste auch eine Debatte über die Sicherheit in Bahnhöfen aus. Der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor forderte „rasche und spürbare Konsequenzen für den Täter. Zusätzlich zum Strafverfahren sollten auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen diskutiert werden.“ Er sei darüber hinaus „offen“ für „bessere Sicherheitsvorkehrungen“ auf deutschen Bahnhöfen.

Martin Burkert, Verkehrsexperte des CDU-Koalitionspartners SPD, kritisierte gegenüber der „Bild“-Zeitung die unzureichende Aufsicht auf den Bahnsteigen; zudem fehle es an Polizistinnen und Polizisten auf den Bahnhöfen.

Aus Sicht der Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz der Länder, Anke Rehlinger (SPD), sind Taten wie in Frankfurt durch Sicherheitsmaßnahmen allerdings nicht zu verhindern. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte die saarländische Verkehrsministerin: „Eine solche Tat offenbart keine Sicherheitslücke, sondern eine Menschlichkeitslücke.“

Polizeigewerkschaft warnt vor Nachahmungstätern

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte unterdessen vor Nachahmungstätern. Aus Großstädten wie Berlin seien Fälle von „S- und U-Bahn-Schubsern“ schon länger bekannt. „Die Polizei versucht sich nach jedem Fall präventiv besser einzustellen. Bei Taten, die vorsätzlich geschehen, stößt sie jedoch an ihre Grenzen“, sagte Radek dem RND.

DB-Zug am Frankfurter Bahnhof
APA/dpa/Frank Rumpenhorst
Nach der Tötung des Kindes herrschte auf dem Bahnhof Ausnahmezustand

Angesichts von 5.600 Bahnhöfen und Haltestellen in Deutschland dürfe nicht mit schnellen Lösungen gerechnet werden. „Die sind alle so unterschiedlich strukturiert, dass es schwer sein dürfte, ein Konzept für alle zu entwickeln.“ Forderungen nach mehr Personal bezeichnete der GdP-Vize als unseriös.

Ähnlicher Fall erst vor einer Woche

Der Fall erinnert an eine Attacke, die sich vor gut einer Woche in Voerde im Bundesland Nordrhein-Westfalen ereignet hatte: Dort hatte ein Mann eine Frau an einem Bahnhof vor einen Regionalzug gestoßen und so getötet. Der 28-jährige Tatverdächtige – ein in Deutschland geborener Serbe – sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.

Wie im Frankfurter Fall kannten der mutmaßliche Täter und das Opfer den Ermittlern zufolge einander nicht. Nach den Untersuchungen einer Blutprobe gibt es bei dem 28-Jährigen Hinweise auf Kokainkonsum. Es seien bei ihm Abbauprodukte von Kokain im Blut nachgewiesen worden. „Das heißt aber nicht, dass er konkret unter Kokaineinfluss stand“, sagte der Duisburger Staatsanwalt am Montag.

ÖBB mit unterschiedlichen Sicherheitskonzepten

Auch in Österreich gab es ähnliche Fälle. Im Mai wurde ein Mann auf die Gleise der Wiener U-Bahn-Linie U3 gestoßen. Ein 20-Jähriger gestand die Tat und gab an, sich verfolgt gefühlt zu haben. Auch hier hatten die beiden Beteiligten einander nicht gekannt.

Ein Delikt wie die Tötung des Kindes in Frankfurt ist von Bahnbetreibern nur sehr schwer zu verhindern. Die ÖBB verfügen über ein System an Risikoeinstufungen mit darauf ausgelegten Sicherheitskonzepten, etwa Notrufsäulen an den Bahnsteigen, Videokameras oder Security-Personal. Diese werden stetig Evaluierungen und Verbesserungen unterzogen. Die ÖBB empfahlen am Montag den Fahrgästen, am Bahnsteig „stets höchste Aufmerksamkeit vor dem Einfahren eines Zuges walten zu lassen und das persönliche Umfeld besonders bei hohem Passagieraufkommen immer im Blick zu behalten.“