Christian Kern
APA/Hans Punz
Bericht

Auch vor Kern-Übergabe Festplatten vernichtet

Auch vor der Amtsübergabe von Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) an seinen Nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) sind offenbar Festplatten vernichtet worden. Wie die „Kronen Zeitung“ am Dienstag berichtete, wurden laut einer Auftragsbestätigung vom 1. Dezember 2017 sieben getauschte bzw. ausgebaute Druckerdatenträger zerstört. Kern betonte auf Facebook, dass es von ihm dazu keinen Auftrag gegeben habe.

Laut dem „Krone“-Bericht stammten gemäß dem Akt „BKA-410.413“ drei der sieben Festplatten vom Ballhausplatz, eine aus Kerns Vorzimmer „109/2M“. Weitere drei Festplatten seien aus den Beständen des damaligen Kanzleramtsministers Thomas Drozda, nunmehr SPÖ-Bundesgeschäftsführer, und eine aus dem früheren Staatssekretariat von Muna Duzdar (SPÖ) gekommen. Die Rechnung belief sich laut „Krone“ auf knapp 2.100 Euro. Allerdings wurden die Platten laut den Dokumenten durch neue ersetzt.

Kern betonte am Dienstag auf Facebook, dass es von ihm dazu keinen Auftrag gegeben habe. „Das Prozedere zur Amtsübergabe wurde von den Beamten des Kanzleramts eingeleitet und durchgeführt“, so Kern. Es habe sich dabei um einen „amtswegigen Vorgang“ gehandelt. Er selbst habe bis Dienstagfrüh keine Kenntnis gehabt, „dass Festplatten des Kanzleramtes aus meiner Amtszeit zerstört worden seien“, so Kern: „Ich sehe auch im Nachhinein dafür keine Notwendigkeit.“ Die Amtsübergabe an Sebastian Kurz (ÖVP) erfolgte am 18. Dezember.

Kern: „40.000 Dokumente an Staatsarchiv“

Kern verwies in seinem Statement darauf, dass die „Geschichte“ bei Kurz und dessen Abwahl „offenbar ohnehin anders“ gelaufen sei: „Ein persönlicher Mitarbeiter von ihm hat unter falschem Namen Festplatten bei einer externen Firma zerstören lassen. Das war kein amtswegiger Vorgang, das war kein gesetzesmäßiger Verwaltungsakt, sondern eine heimliche Zerstörung und Panikaktion.“

Offenbar habe das Kabinett von Kurz etwas zu verbergen. „Wir haben im Zuge unserer Amtsübergabe über 40.000 Dokumente an das Staatsarchiv übergeben“, so der ehemalige SPÖ-Chef: „Meine Aufforderung an Sebastian Kurz, unzulässige Vergleiche mit mir in diesem Zusammenhang daher zu unterlassen, bleibt aufrecht.“ Aus dem Kanzleramt von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gab es vorerst keine weiteren Stellungnahmen zu der Causa. Die Erhebungen zu den parlamentarischen Anfragen mehrerer Parteien seien im Laufen.

Berichte über Schredder-Aktion bei Kerns Amtsübergabe

Medienberichten zufolge sollen auch bei der Amtsübergabe von Christian Kern an Sebastian Kurz Datenträger zerstört worden sein. Kern selbst gibt an, nichts davon gewusst zu haben.

Schlagabtausch zwischen ÖVP und SPÖ

Bestätigt fühlt sich die ÖVP: Dass vor einem Regierungswechsel Festplatten ausgebaut und vernichtet werden, sei „spätestens seit heute nicht mehr außergewöhnlich, sondern vielmehr ein normaler Vorgang“, so ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer, der der SPÖ eine „unglaubliche Doppelmoral“ vorwarf.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Drozda wiederum ließ via Twitter wissen, dass die Übergabe damals durch Beamte des Kanzleramts durchgeführt und geleitet wurde. Die ÖVP hingegen habe „offenbar einiges zu verbergen, verstrickt sich in Widersprüche und will nicht über ihre zerstörten Daten, Festplatten und Fehler reden. Stattdessen versucht sie, uns mit Dreck zu bewerfen.“

Auch SPÖ-Wahlkampfmanager Christian Deutsch betonte in einer Aussendung, bei der Kern-Übergabe habe es ein „völlig transparentes, ordnungsgemäßes und dokumentiertes Vorgehen“ gegeben. Und weiter: „Die ÖVP müsse endlich für Aufklärung sorgen, statt weitere Ablenkungsmanöver zu starten.“

Kern drohte Kurz mit Klage

In der Schredder-Affäre hatte Kern erst Ende der Vorwoche seinem Nachfolger Kurz vehement widersprochen. Kurz hatte zuvor in einem Interview in Servus TV gesagt, auch bei Kerns Amtsübergabe seien Datenträger vernichtet worden. Alle Unterlagen seien gesetzeskonform dem Staatsarchiv übergeben worden, so Kern. Gleichzeitig kündigte er rechtliche Schritte an, sollte Kurz die Aussagen nicht zurücknehmen.

Hintergrund: Ein Mitarbeiter aus Kurz’ Social-Media-Team hatte am 23. Mai unter falschem Namen bei der Firma Reisswolf fünf Festplatten vernichten lassen. Das kam ans Licht, weil er die Rechnung nicht bezahlte und Reisswolf ihn klagte. Die ÖVP wich damit auch bezüglich des Vernichtungsortes vom Prozedere des Staatsarchivs ab: Wenn dieses Unterlagen schreddern lässt, tut es das nicht bei Privatfirmen – wie in der aktuellen Causa bei der Firma Reisswolf –, sondern es wendet sich an das Bundeskanzleramt. Dieses schicke für die Vernichtung bestimmte Materialien an das zentrale EDV-Ausweichsystem des Bundes in St. Johann im Pongau.

Kurz hatte das Verhalten seines Mitarbeiters als „Schlamperei“ bezeichnet. Er verstehe die Kritik und wolle nichts schönreden, so Kurz im „Talk im Hangar 7“. Grundsätzlich habe es sich aber um einen normalen Vorgang im Zuge eines Regierungswechsels gehandelt.

Ungereimtheiten bei ÖVP-Festplatten?

Der „Standard“ berichtet indes von möglichen Ungereimtheiten bei den von der ÖVP geschredderten Festplatten. Drei der fünf sollen laut Seriennummer Platten sein, die nicht an Privatverbraucher verkauft, sondern in Druckern oder Laptops verbaut werden. Die vierte Festplatte sei aber laut Seriennummer ein Modell der Marke Western Digital gewesen, die zwar in Druckern eingebaut werden könne, aber eigentlich explizit für Laptops gebaut sei. Diese sei auch im Handel erhältlich.

Entdeckt wurde das erst jetzt, weil im „Falter“-Bericht über die „Aktion Reisswolf“ diese Seriennummer falsch wiedergegeben worden sei, schreibt der „Standard“. Völliges Rätselraten gibt es noch über die fünfte Festplatte. Auch hier scheint die kolportierte Seriennummer nicht zu stimmen.

Pilz zeigt Kurz an

Der JETZT-Abgeordnete Peter Pilz zeigte indes Kurz und zwei Mitarbeiter im Kanzleramt in Zusammenhang mit der Schredder-Affäre an. In einer Sachverhaltsdarstellung an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft heißt es, die Vernichtung von Datenträgern könnte die Tatbestände Betrug, Sach- und Datenbeschädigung und Unterdrückung von Beweismitteln erfüllen.

Die Sachverhaltsdarstellung richtet sich laut APA nicht nur gegen Kurz, sondern auch gegen jenen damaligen Mitarbeiter im Kanzleramt, der mehrere Festplatten anonym zur Vernichtung an eine Entsorgungsfirma übergeben hatte. Durch die Angabe eines falschen Namens sei das Unternehmen über die Identität des Mitarbeiters und seiner Zahlungswilligkeit getäuscht worden, lautet die Begründung des Verdachts auf Betrug.

Da es sich bei den ausgebauten Festplatten um Eigentum der Republik handelt, erhebt Pilz den Verdacht der Sachbeschädigung. Auch der Verlust der Daten an sich „stellt für die Republik Österreich eine Schädigung dar“, steht außerdem in der Anzeige. Sollten sich auf der Festplatte Daten befunden haben, die etwa mit der FPÖ-Causa „Ibiza-Video“ in Zusammenhang stehen, wäre außerdem der Tatbestand der Unterdrückung von Beweismitteln erfüllt.

Pilz: Blümel-Mitarbeiter spielte „führende Rolle“

Neben Kurz und dem Mitarbeiter der Social-Media-Abteilung des Kanzleramts, der die Festplatten zum Schreddern brachte, wird ein weiterer Mann in der Sachverhaltsdarstellung verdächtigt: ein Mitarbeiter des früheren Kanzleramtsministers Gernot Blümel (ÖVP), der laut Pilz „eine führende Rolle“ bei der Vernichtung der Datenträger innegehabt haben soll. Außerdem wurde Anzeige gegen unbekannte Täter erhoben.

„Was für Altkanzler Kurz normal ist, ist in diesem Fall wahrscheinlich kriminell“, sagte Pilz gegenüber der APA zu seinem Vorgehen. Deshalb seien die drei angezeigten Personen „ein Fall für die Strafjustiz“. Ein Politiker, der als Bundeskanzler Spuren verwische und dabei Gesetze breche, sei weder als Abgeordneter noch als Kanzler tragbar. „Wir müssen dem Altkanzler klarmachen, dass die Republik nicht Eigentum der ÖVP ist und Kurz nicht alles schreddern kann, was ihn belastet“, so Pilz.

WKStA: Sache Verschlussakt

Bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hieß es auf APA-Anfrage, dass keine Details zu den Ermittlungen bekanntgegeben würden, auch nicht, gegen wie viele Personen ermittelt werde. Bei den Ermittlungen sei jedenfalls „besondere Sensibilität“ geboten, zudem handle es sich um einen „Verschlussakt“. Die von Pilz angekündigte Sachverhaltsdarstellung sei noch nicht eingelangt. Sobald sie vorliege, werde sie freilich geprüft.