Shenzhen
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„Silicon Valley“ Chinas

Shenzhen soll Blaupause für Städte werden

In nur 40 Jahren hat sich Shenzhen, Chinas „Silicon Valley“, von einem 30.000-Seelen-Ort in eine Metropole mit zwölf Millionen Einwohnern verwandelt. Nun plant Chinas Führung den nächsten großen Schritt für Shenzhen: Die Stadt soll zum Modell für den Rest des Landes werden. Damit zu tun haben auch die Proteste in Hongkong.

Vor Kurzem wurde Shenzhen von oberster Stelle ein Spezialstatus verliehen. Die Stadt, die direkt neben Hongkong liegt und als Bindeglied zwischen dem chinesischen Festland und der Sonderverwaltungszone gilt, soll eine „Modellregion für den Sozialismus chinesischer Prägung“ werden, wagemutigere Reformen durchführen und so zum Vorbild für die Entwicklung anderer chinesischer Städte werden – so will es die vom Präsidenten Xi Jinping geleitete Entwicklungskommission der chinesischen Regierung.

Zwar wurden die Pläne für Shenzhen nicht öffentlich konkretisiert. Analysten sehen in der Ankündigung aber einen möglichen Politikwandel: Weg von Hongkong mit seinen Sonderregeln, hin zum angrenzenden Wirtschaftswunder Shenzhen. Das könnte auch mehr legislative Freiheiten für die Stadt bedeuten. „In der Zukunft wird sich die Reform und Öffnung der Region auf das Festland statt auf Hongkong konzentrieren“, so etwa der Forscher Tian Feilong von der Universität Peking laut der Hongkonger „South China Morning Post“.

Von Huawei bis ZTE

Dass die Wahl dabei gerade auf Shenzhen fällt, ist kein Zufall. Die Stadt hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung hingelegt. 1980 erklärte der damalige Präsident Deng Xiaoping die einst landwirtschaftlich geprägte Siedlung aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage zur Sonderwirtschaftszone, in der rechtliche und administrative Erleichterung für ausländische Investoren gelten. Es folgte ein beispielloser Wirtschafts- und Bauboom.

Shenzhen
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Vom Fischerdorf zur Hightech-Metropole

Heute ist Shenzen so etwas wie das Silicon Valley Chinas und Sitz einiger der wichtigsten Hightech-Konzerne des Landes – darunter auch Huawei, ZTE, der landesgrößte Internetkonzern Tencent (u. a. WeChat) und der Akkuhersteller BYD. Nach wie vor relevant ist auch Shenzhens Rolle als Bindeglied zwischen Festlandchina und der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong. Diese wiederum konnte nach der Übergabe an China 1997 nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ unter anderem ihr kapitalistisches System beibehalten und ist eines der wichtigsten Handels- und Finanzzentren der Welt.

Große Pläne für die „Great Bay Area“

Die Städte stehen wirtschaftlich in enger Verbindung, konkurrieren aber auch um die Poleposition in der Region. Sowohl Hongkong als auch Shenzhen sind Teil der Metropolregion „Greater Bay Area“ („GBA“) im Süden Chinas, für die China große Pläne hat. Die Region soll sich zum Innovationszentrum entwickeln, und die elf größten Städte sollen besser miteinander verbunden werden. Hand in Hand damit gehen die Pläne für Chinas gigantisches Infrastrukturprojekt Belt and Road Initiative (BRI), bei dem beide Städte vor allem im maritimen Bereich eine Rolle spielen.

Doch Expertinnen und Experten sehen dabei große Hürden für die Regierung: „Eine enorme Menge an Bürokratie bei Transport, Zöllen und Migration muss beseitigt werden, damit Menschen, Güter und Geld in der Region wirklich besser bewegt werden können“, so Martin Chorzempa vom Peterson Institute for International Economics in Washington gegenüber der BBC.

Wie Hongkong mit seinen vollkommen anderen Rahmenbedingungen dabei integriert werden kann, wirft ebenfalls Fragen auf. „Hongkongs Wohlstand kommt von der globalen Anerkennung seiner Autonomie von China“, so die Ökonomin Yue Su. Eine größere Einmischung Chinas könnte Su zufolge das Vertrauen von Investoren in Hongkong beeinträchtigten.

Neue Phase der Öffnung?

Auch aufgrund dieser Hindernisse wird spekuliert, ob die Konzentration auf Shenzhen einen Paradigmenwechsel bedeuten könnte. Sogar eine neue Phase der Öffnung der chinesischen Wirtschaft wird für möglich gehalten: In den vergangenen 40 Jahren habe China versucht, den Sozialismus und die Marktwirtschaft miteinander zu verknüpfen, so Zhang Yansheng vom China Centre for International Economic Exchanges gegenüber der „South China Morning Post“. „Nun soll die Shenzen-Modellzone den Sozialismus mit Technologie und Entwicklung kompatibel machen.“

Hongkong könnte dabei auf der Strecke bleiben – gerade angesichts der schweren Proteste gegen die Regierung, die dort seit Wochen stattfinden. Diese hatten sich an einem mittlerweile gekippten Gesetz entzündet, das eine Auslieferung von Verdächtigen an das chinesische Festland erlaubt hätte. Längst fordern die Demonstrantinnen und Demonstranten mit Vehemenz aber auch demokratische Reformen und ein Eindämmen des wachsenden Einflusses Pekings. Zuletzt drohte das chinesische Militär, dass China „keine zügellose Gewalt“ tolerieren werde.

Proteste in Hongkong
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Die Proteste in Hongkong haben das Verhältnis weiter angespannt

Laut Feilong werde es für Peking „immer schwerer, die Politik der Zentralregierung in Hongkong durchzusetzen“. Und der wirtschaftliche Vorsprung der Stadt schmilzt ebenfalls langsam dahin, während Shenzhen anzieht: 2018 hat die Stadt in der Wirtschaftsleistung Hongkong mit 362,4 Mrd. US-Dollar zum ersten mal überholt. Bis sich das Pro-Kopf-Einkommen angleicht, dürfte es aber noch dauern.