Saudische Frauen
Reuters/Faisal Al Nasser
Angriff auf Vormundsystem

Reisefreiheit für Saudi-Arabiens Frauen

Saudi-Arabien hat eine weitere Lockerung der strikten Regeln für Frauen angekündigt. Über 21-Jährige sollen künftig ohne die Erlaubnis eines Mannes Reisepässe erhalten und ins Ausland reisen dürfen, wie saudische Medien am Freitag unter Berufung auf einen Regierungsbeschluss berichteten.

In dem erzkonservativen Königreich benötigen Frauen bisher für Reisen die Zustimmung ihres Mannes, Vaters, Bruders oder eines anderen männlichen Verwandten. Dieses Vormundschaftssystem wird international scharf kritisiert, auch in Saudi-Arabien regt sich zunehmend Widerstand.

Die geplante Gesetzesänderung sieht weitere Lockerungen vor: So dürften Frauen in Zukunft ohne Erlaubnis ihres männlichen Vormundes für sich und ihre Familien Dokumente zu Eheschließung und Scheidung sowie Geburtsurkunden beantragen. Es legt zudem fest, dass sowohl Mutter als auch Vater Vormund eines Kindes sein können. In anderen Bereichen bleibt das Vormundsystem hingegen aufrecht: So brauchen Frauen etwa weiterhin eine Erlaubnis ihres Vormundes, wenn sie heiraten wollen. Und: Wann die Änderungen in Kraft treten sollen, ist offen.

Junge Frauen auf der Flucht

Die Lockerung kommt zu einer Zeit, in der mehrere Fälle ins Ausland geflüchteter saudi-arabischer Frauen international für Schlagzeilen sorgen. Anfang des Jahres erlangte etwa die 18-jährige Rahaf Mohammed al-Kunun in Kanada Asyl, nachdem sie sich tagelang in einem Hotel in Bangkok verbarrikadiert hatte. Laut der jungen Frau war sie in ihrer Heimat Misshandlung und Unterdrückung durch ihre Familie ausgesetzt.

Die geflohene Rahaf Mohammed al-Kunun
APA/AFP/Lars Hagberg
Die 18-jährige Rahaf Mohammed al-Kunun floh via Bangkok aus Saudi-Arabien und erhielt auf Ersuchen der UNO Asyl in Kanada

Ebenfalls auf Schutz in Kanada hoffen die zwei Schwestern Dua und Dalal al-Schuwaiki, die sich seit sechs Wochen in Istanbul verstecken. Die 20-Jährige und die 22-Jährige befinden sich laut eigenen Angaben auf der Flucht vor ihrem Vater, der sie misshandle, kontrolliere und zwangsverheiraten wolle. Die beiden seien während eines Familienurlaubs geflüchtet, schreiben die Schwestern in Sozialen Netzwerken.

Laut „Foreign Affairs“ flohen in den letzten Jahren mehr als 1.000 18- bis 25-Jährige. Zudem befinden sich nach wie vor mehrere saudische Frauenrechtlerinnen in Haft. Sie hatten sich vor der Aufhebung des Fahrverbots für Frauen für eine Stärkung der Frauenrechte eingesetzt und landeten dafür im Gefängnis. Dort seien einige von ihnen Folter, Misshandlung oder Einzelhaft ausgesetzt gewesen.

Laut Amnesty International wurden einige der Frauen während eines laufendes Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwar vorläufig freigelassen, ihnen drohe aber immer noch eine Inhaftierung. Bei drei weiteren inhaftierten Frauenrechtlerinnen sei die Verhandlung noch ausständig.

Zwiespältige Reformpolitik

Die Verhaftungen illustrieren Saudi-Arabiens zwiespältige Reformpolitik, die Kronprinz Mohammed bin Salman in den vergangenen Jahren eingeleitet hat. So fielen unter Mohammed eben Maßnahmen wie das Ende des Fahrverbots für Frauen. Ihnen wurde auch erlaubt, Fußballspielen beizuwohnen und Berufe zu ergreifen, die bis dahin Männern vorbehalten waren. Auch das Tragen der bodenlangen, schwarzen Abaja in der Öffentlichkeit ist laut hochrangigen Theologen nicht mehr obligatorisch.

Gesellschaftspolitische Lockerungen gab es aber auch generell: Die Bevölkerung darf mittlerweile Kinos und Konzerte besuchen, die Religionspolizei wurde geschwächt. Es sind Maßnahmen, die auch dazu dienen sollen, den Ruf Saudi-Arabiens zu verbessern sowie ausländische Investoren und Touristen ins Land zu locken – denn Mohammed will das Königreich vom Erdöl unabhängig machen.

Kritik sieht kosmetische Reformen

Diese Liberalisierung hat zwar das Leben vieler Frauen verbessert. Von einer Gleichberechtigung der Geschlechter ist das Königreich aber noch weit entfernt. Kritiker und Kritikerinnen sprechen von lediglich kosmetischen Reformen und fordern, das Vormundschaftssystem komplett abzuschaffen.

Auch sonst stehen Mohammed und das Königreich fraglos in der Kritik. Sie gehen nach wie vor mit harter Hand gegen Menschrechtler vor, dem Königshaus wird zudem die brutale Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) angelastet. Er war 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem aus Riad angereisten Spezialkommando getötet worden. Scharf kritisiert wird auch Saudi-Arabiens Rolle im Bürgerkrieg im Jemen.

Menschenrechtler pochen auf Umsetzung

Auf die neuen Reisefreiheit für Frauen gab es am Freitag gemischte Reaktionen. In Onlinennetzwerken wurde die Reform vielfach gefeiert. Die Unternehmerin Muna Abu Sulaiman schrieb auf Twitter, „in gewisser Hinsicht“ könnten saudische Frauen ihr „rechtliches Schicksal“ nun selbst in die Hand nehmen. Bisher habe die mangelnde Reisefreiheit die „Träume“ vieler Frauen zerstört. Sie hätten nicht im Ausland studieren, arbeiten und noch nicht einmal „fliehen“ können.

Menschenrechtsorganisationen äußerten sich vorerst zurückhaltend: „Wir begrüßen diesen Schritt natürlich“, sagte die Länderkoordinatorin für die Golfstaaten von Amnesty International in Deutschland, Regina Spöttl, am Freitag der dpa. „Aber er muss auch umgesetzt werden.“ Fraglich ist auch, wie die Religionsgelehrten des Landes auf die nächste Lockerung für Frauen reagieren. Bisher hatte er sich den Reformmaßnahmen des Prinzen weitestgehend gefügt.