Szenenbild aus „Merope“
Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl
„Merope“

Ein Psychodrama aus dem Guckkasten

Ein Psychodrama hat am Mittwochabend das Publikum im Landestheater Innsbruck in den Bann gezogen: „Merope“, eine Oper von Riccardo Broschi (1698-1756), die seit ihrer Entstehung im Jahr 1732 in der Versenkung lag und nun von den Festwochen der Alten Musik wieder zum Leben erweckt wurde. Hochspannung wurde dabei nicht nur dem Ohr, sondern vor allem dem Auge geboten – und das auf ganz ungewohnte Weise.

Das dreiaktige Libretto von Apostolo Zeno erzählt einen Stoff aus der griechischen Mythologie nach und setzt mit der heimlichen Rückkehr Epitides an, der als einziger Sohn der messenischen Königswitwe Merope einem Mordkomplott durch seinen grausamen Onkel Polifonte zehn Jahre zuvor nicht zum Opfer gefallen ist. Dieser scheut in der Folge keine Intrige, um auch Epitide auszuschalten. Hinterlist und Heimtücke gepaart mit galantem Getue und gespreiztem Gezeter sind die Ingredienzien des Psychodramas.

Bis zum allerletzten Augenblick bleibt ungewiss, wer als Sieger aus den Machenschaften hervorgeht. Schließlich gelingt es Epitide doch, sein Königreich zurückzugewinnen, die Zwangsehe seiner Mutter mit Polifonte zu verhindern und auch mit seiner Liebsten zusammenzukommen. Für die Opera seria ist das „lieto fine“ (Happy End) samt einem gehörigen Schuss Moral eben unerlässlich. „Dem Ehrlichen gebührt die Krone, den Bösen kostet es den Kopf“, bringt es Polifonte auf den Punkt.

Demonstration barocker Gesangskunst

Vorangetrieben wurde die komplexe Handlung durch kunstvolle Rezitative, begleitet vom stilsicher agierenden Festwochenorchester, das Intendant Alessandro de Marchi leitete und wie gewohnt auf historischen Instrumenten spielen ließ, Blockflöte und Theorbe inklusive. Der Spezialist für alte Musik zauberte für jede Situation eine expressive und individuelle Klangkulisse und war den Sängern ein aktiver Partner.

Szenenbild aus „Merope“
Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl
Oper als eine Art Zeitreise ins 18. Jahrhundert

Emotional verdichtet wurde das Geschehen in den für die Zeit ungewöhnlich melodiösen Arien – Leid und Enttäuschung, Zorn und Verzweiflung erfahren die Figuren zuhauf in Broschis Oper. All die Affekte entfalten eine erstaunliche Ausdrucksbreite und machen den Abend im Landestheater vor allem zu einer Demonstration barocker Gesangskunst.

Bis an die Leistungsgrenze

Die sieben Bühnendarsteller – darunter nicht weniger als drei Countertenöre – schmückten ihre Rezitative und Arien mit stimmakrobatischen Schnörkeln, Koloraturen und Kadenzen aus. Beachtliche Tonhöhen, effektvolle Vibratos und Triller trugen das Ihre dazu bei, allen Stimmen Glanz und Suggestivkraft zu verleihen.

Die herausforderndste Partie hatte David Hansen als Epitide zu bewältigen und ging bis an seine Leistungsgrenze. Immerhin hatte Broschi die Rolle seinem als Farinelli bekannten Bruder Carlo Broschi (1705-1782) auf den Leib geschrieben. Szenenapplaus ernteten auch Hagen Matzeit und Filippo Mineccia, ebenso Tenor Carlo Vincenzo Allemano, der kurzfristig engagiert wurde und die Rolle des Polifonte aus dem Orchestergraben darbot. Als Mezzosoprane glänzten Anna Bonitatibus in der Titelrolle und Vivica Genaux. Mit kraftvollem Sopran trumpfte Arianna Venditelli auf.

Szenenbild aus „Merope“
Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl
Pomp und Pathos beherrschen die Szenerie

300 Jahre zurück

Doch der Abend klang nicht nur nach historischer Aufführungspraxis, er sah auch so aus. Verantwortlich dafür zeichnete Barockexpertin Sigrid T’Hooft. Bereits das im Prinzip der barocken Guckkastenbühne angelegte Bühnenbild versetzte das Publikum knapp 300 Jahre in die Vergangenheit zurück. Perspektivisch gestaffelte, mit Säulen bemalte Kulissen sorgten für einen Eindruck der Tiefe. Barocktypisch auch der Holzfußboden und der gepinselte Wolkenhimmel. Auf Requisiten wurde fast vollständig verzichtet.

Die Beleuchtung, die das Licht von Kerzen simulierte und von vier Kronleuchtern, aus den Seitenkulissen und verblendeten Lichtquellen an der Rampe kam, tauchte die Szenerie in eine warme Honigfarbe. Hell-dunkel-Optik entstand, da sich das Licht nicht mit den Sängern bewegte, vielmehr mussten sich diese in ihm platzieren – besonders effektvoll an der Rampe, wenn ihre gepuderten Gesichter von unten beleuchtet wurden.

Eigene Bewegungssprache

Auch ihre Schauspielkunst war barock. Die Akteure wendeten sich stets dem Publikum frontal zu, setzten das Spielbein elegant vor das Standbein, bewegten sich in genau abgezirkelten Wegen und benutzten ein recherchiertes Barockrepertoire von Gesten und Mimik. Keine Bewegung war natürlich, alles war artifiziell. Wie lebende Gemälde wirkte das, brauchte sich ob der begrenzten Bandbreite aber auch ab. Für ein nicht auf Barockoper spezialisiertes Publikum an Grenzen der Verständlichkeit stieß diese Bewegungssprache vielleicht bei den vom Genfer Corpo Barocco an den drei Aktschlüssen getanzten Balletteinlagen.

Szenenbild aus „Merope“
Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl
In den streng reglementierten Tanzschritten blitzt auch etwas Ironie auf

Stephan Dietrichs prachtvolle, farbige und glitzernde Kostüme – Perücken, Brokat, Tüll, Federschmuck und Geschmeide – rundeten das in seiner barocken Opulenz kohärente Bild ab. Mit der Einbeziehung von Originalquellen unternahmen T’Hooft und Dietrich den Versuch, Broschis Musik gerecht zu werden. Schließlich lebt die Gattung Oper seit ihrer Entstehung vom Zusammenspiel von Musik und Drama, und die Musik wurde im Hinblick auf die Szene komponiert.

„Nichts anderes , als im Libretto steht“

„Meine Inszenierung erzählt nichts anderes, als im Libretto steht“, erläuterte T’Hooft den ihrer Ansicht nach größten Unterschied zum Regietheater. Im Gegensatz zu diesem bietet eine historisierende Inszenierung dem Publikum große Interpretationsfreiheit. Es bleibt ihm überlassen, was es heraus- oder hineinlesen will – oder ob es schlicht nur unterhalten werden will.

Mit der ästhetisch konsequenten Rückbesinnung auf die Entstehungszeit Alter Musik statt Neu- und Umdeutung inklusive Orts- und Zeitverschiebungen ließ T’Hooft das Regietheater am Mittwoch ganz schön alt aussehen. Das Publikum dankte mit jubelndem Applaus, obwohl ihm mit fünfeinhalb Stunden Bruttospielzeit einiges Sitzfleisch abverlangt wurde.

Hinweis

„Merope“ ist noch am 9. August um 18.00 Uhr und am 11. August um 16.00 Uhr am Landestheater Innsbruck zu sehen.

Zwei weitere Opernhighlights

Neben „Merope“ wird heuer „Ottone, Re di Germania“ von Georg Friedrich Händel (1685–1759) als „Barockoper:Jung“ zur Aufführung gebracht (Premiere am 18. August im Innenhof der Theologischen Fakultät). Von Pietro Antonio Cesti (1623–1669), dessen Todestag sich zum 350. Mal jährt, wird die Oper „La Dori, overo Lo schiavo reggio“ (Premiere am 24. August im Landestheater) gespielt, die 1657 in Innsbruck uraufgeführt wurde.

Anlässlich des 500. Todestages von Kaiser Maximilian I. stehen unter anderem Motetten und Messteile von Hofmusikern Maximilians auf dem Festwochenprogramm (17. August in der Stiftskirche Wilten). Zum Cesti-Wettbewerb, der am Donnerstag zum zehnten Mal über die Bühne geht, gibt es eine „Gala der Sieger“ der letzten drei Jahre (19. August im Schloss Ambras). Auch drei Überraschungskonzerte zum 350. Jubiläum der Gründung der Universität Innsbruck sind geplant.