Roggen-Ähren in der Abendsonne
picturedesk.com/dpa/Patrick Pleul
UNO-Klimarat

Welt muss Ernährung umstellen

Der Herausforderung, die wachsende Erdbevölkerung dauerhaft zu ernähren und gleichzeitig das Klima zu schützen, ist die Weltwirtschaft derzeit nicht gewachsen. Aus diesem Grund forderte der UNO-Weltklimarat am Donnerstag in Genf ein radikales Umsteuern bei der Landnutzung. In einem Sonderbericht rufen die Forscherinnen und Forscher die Politik zum sofortigen Handeln auf, bevor es zu spät ist.

Der UNO-Rat Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sieht Gefahren für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln. „Die Stabilität des Nahrungsmittelangebots wird voraussichtlich sinken, da das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetterereignissen, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, steigen wird“, heißt es in dem Bericht.

Es gehe auch darum, die gesamte Kette der Erzeugung und des Konsums von Nahrungsmitteln zu überdenken. Eine ausgewogene Ernährung, die verstärkt auf Gemüse und Getreide setze, könne dazu beitragen, die Kohlendioxidemissionen wesentlich zu senken. Die Land- und Forstwirtschaft steuert laut IPCC rund 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase bei.

Unkultiviertes Land schützt vor Überhitzung

Die Forscherinnen und Forscher des IPCC schreiben in dem Sonderbericht, „menschliche Aktivitäten“ hätten zu ausgelaugten Böden, der Ausdehnung von Wüsten, dem Verschwinden von Wäldern und der Entwässerung von Torfgebieten geführt. Dabei handle es sich gerade um jene Gebiete, die eigentlich imstande seien, der Klimakrise entgegenzuwirken – bekanntestes Beispiel ist der Amazonas-Regenwald.

Rinder auf der Weide
AP/Silvia Izquierdo
Weiden, auf denen Kühe für die weltweite Fleisch- und Milchproduktion grasen, entstehen auf abgeholztem Regenwaldgebiet

Unkultiviertes Land schützt die Erde vor Überhitzung, da Wälder das klimaschädliche CO2 aus der Luft aufnehmen. Durch Photosynthese wird Sauerstoff frei, den Lebewesen zum Atmen benötigen. Nicht nur geht dieser positive Effekt verloren, durch die Bewirtschaftung würden jene Flächen selbst zur Quelle für die Entstehung von CO2. Beispielsweise werden Bäume, die erst gepflanzt werden, später für die Energiegewinnung verbrannt und Pflanzen, die erst angebaut werden, anschließend für Biodiesel verwendet.

Soja zur Fütterung von Schlachttieren

Insbesondere die Produktion von rotem Fleisch – in erster Linie Rind- und Schweinefleisch – wird laut Prognosen die Erde weiter stark belasten, da der weltweite Konsum – wenn so weitergemacht wird wie bisher – stetig steigt. Dabei ist nicht nur Methangas, das die Tiere ausstoßen, für das Weltklima höchst problematisch, sondern auch die Massen an Tierfutter, die produziert werden müssen.

Grafik zur Klimaerwärmung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IPCC

Jedes Jahr verschwinden Tropenwälder von der Größe Sri Lankas, da der Mensch neue Anbauflächen für eine exportorientierte Agrarindustrie schafft. Gleichzeitig schwindet damit die Möglichkeit, große Mengen Kohlendioxid aufzunehmen. Im Amazonas-Regenwald und in der Cerrado-Savanne im Südosten Brasiliens werden riesige Wälder vernichtet, die in der Regel zuerst als Weideland und anschließend als Sojafelder genutzt werden.

Wer nun aber denkt, dass der Sojakonsum des Menschen, etwa in Form von pflanzlicher Milch und Tofuschnitzel, daran schuld ist, irrt. Soja wird zum weit größten Teil für die Fütterung von Schlachttieren angebaut (75 Prozent), der Rest verteilt sich hauptsächlich auf Kosmetikprodukte und Sojaöl.

Temperaturplus über Land bei 1,5 Grad

Der Bericht steht im Zeichen des Pariser Klimaabkommens. Darin wurde 2015 das Ziel festgelegt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dazu müssten die Staaten den Nettoausstoß ihrer Treibhausgase stark reduzieren. Um das zu schaffen, wollen einige Expertinnen und Experten große Flächen für Wälder nutzen, die die Treibhausgase aus der Atmosphäre ziehen können. In Verbindung mit dem Ziel der Lebensmittelsicherheit für die gesamte Bevölkerung drohen so Landkonflikte – zusätzlich zu den Entwicklungen, die die Klimakrise bereits jetzt ausgelöst hat.

Das Problem dabei: Der weltweite Temperaturanstieg hat über den Landflächen bereits 1,53 Grad erreicht. Das gab der IPCC ebenfalls am Donnerstag bekannt. Unter Berücksichtigung der sich langsamer erwärmenden Meeresflächen liege das globale Temperaturplus gegenüber der vorindustriellen Zeit bei knapp 0,87 Grad. Verglichen wurden die Zeiträume 1850 bis 1900 und 2006 bis 2015. Der Weltklimarat hatte schon letztes Jahr vor den Auswirkungen gewarnt, falls die globale Temperatur insgesamt über 1,5 Grad steigen sollte.

Wie soll Land genutzt werden?

Im Bericht heißt es weiter, die Menschheit habe die schwierige Entscheidung darüber zu treffen, wie Anbauflächen künftig genutzt werden sollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben zu, dass es viel Anstrengung bedeute, Felder ressourcenschonender zu bewirtschaften, als es derzeit der Fall sei. Unter anderem müssten etwa eine halbe Milliarde Bäuerinnen und Bauern weltweit umdenken.

Landwirtschaftliche Nutzflächen
APA/AFP/Nelson Almeida
Abgeholzte Regenwaldflächen dienen der landwirtschaftlichen Nutzung

So sollte die Agrarindustrie nicht ausschließlich auf Monokulturen (Stichwort: Soja) setzen, sondern auf Mischkulturen. Außerdem empfiehlt der IPCC, mehr Agroforstwirtschaft zu betreiben, also Nahrungspflanzen und Bäume auf einer Fläche zu pflanzen. Ein Ansatz ist auch, die Landwirtschaft stärker auf kleinere Flächen zu konzentrieren, damit möglichst viel Land bleibt, das dem Absorbieren von CO2 dienen kann. Überdies müsste der Mensch viel mehr auf Wiederaufforstung und den Schutz der Moore setzen. Nicht zuletzt müssten Ernährungsweisen in großem Maßstab umgestellt werden, damit weniger Kühe und Schweine gezüchtet werden.

Lebensmittelverschwendung kostet Milliarden

Der IPCC-Bericht ergab auch, dass Milliarden Menschen jeden Tag Lebensmittel wegwerfen, während Hunderte Millionen hungern. Laut IPCC werden jährlich zwischen 25 und 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel verschwendet oder weggeworfen. Seit 1970 ist dieser Anteil den Angaben zufolge um rund 40 Prozent gestiegen. Der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zufolge kostet dieser Verlust jedes Jahr fast 890 Milliarden Euro und trägt rund acht Prozent zur ohnehin schon miserablen CO2-Bilanz bei.

Doch nicht überall nimmt die Lebensmittelverschwendung die gleichen Ausmaße an. Dem IPCC zufolge wirft jeder Mensch in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas im Jahr 95 bis 115 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. In den afrikanischen Subsahara-Staaten und in Asien sind es durchschnittlich nur sechs bis elf Kilogramm pro Kopf. Ungefähr zwei Milliarden Erwachsene weltweit sind übergewichtig oder fettleibig, während 820 Millionen Menschen an Hunger leiden.

„Wir müssten bis 2030 auf null Abholzung kommen“

Der freie Journalist und Brasilien-Experte Thomas Milz berichtete im Gespräch mit dem Ö1-Morgenjournal, es sei bald zu spät, dass der Regenwald im Amazonas der Erderwärmung noch entgegenwirken könnte. Der kritische Punkt sei dann erreicht, „wenn ungefähr 25 Prozent des Amazonas abgeholzt sind. Wir sind jetzt ungefähr bei 20 Prozent, die in den letzten Jahrzehnten abgeholzt wurden.“

„Das heißt, wir sind noch ungefähr fünf Prozent von diesem ‚Tipping Point‘ entfernt.“ Und weiter: „Wir müssten bis 2030 auf null Abholzung kommen plus brachliegende Gebiete wieder aufforsten. Wenn wir das bis 2030 nicht schaffen, ist wahrscheinlich keine Hilfe mehr möglich“, so der Experte – Audio dazu in oe1.ORF.at. Hinzu kommt, dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, überzeugter Leugner der Erderwärmung, die Abholzung im Sinne der Wirtschaftssteigerung sogar fördert und somit dazu beiträgt, die Krise zu verschärfen.

Tausende Expertinnen und Experten beteiligt

Die Forscherinnen und Forscher des IPCC erhoffen sich, dass durch ihren Bericht das Thema Landnutzung mehr in den Fokus internationaler Verhandlungen zur Klimakrise gerückt wird. Der IPCC wurde 1988 von der UNO-Umweltorganisation (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet und veröffentlicht alle fünf, sechs Jahre umfassende Überblicke zum Stand der Klimaforschung. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und zu möglichen Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an, die jeweils Expertinnen und Experten entsenden.

Das Gremium mit Sitz in Genf wird seit 2015 von dem Südkoreaner Hoesung Lee geleitet, einem Experten für die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Die IPCC-Berichte werden von Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammengestellt, darunter Expertinnen und Experten aus Klima- und Meeresforschung, Statistik, Ökonomie und Gesundheit. Der IPCC betreibt in der Regel keine eigene Forschung zum Klimawandel, sondern wertet Tausende Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen.