Hand hält Plastikpellets
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Riesiges neues Werk

USA setzen auf Plastikindustrie

In den USA errichtet der Energiekonzern Royal Dutch Shell derzeit ein riesiges Werksgelände. Dort, nahe Pennsylvania am Ohio River, sollen künftig über eine Million Tonnen Kunststoff pro Jahr produziert werden. Die Debatte über Erderwärmung, Mikroplastik und Fracking stößt in Washington auf taube Ohren. Man hat noch viel größere Pläne.

Viele Menschen in der Region im Osten der USA setzten viel auf das Projekt. Es verspreche an die 6.000 Arbeitsplätze während der Errichtung und mindestens 600 fixe Jobs später im Betrieb des petrochemischen Werks mit dem etwas langen Namen Pennsylvania Shell ethylene cracker plant. Dort sollen Kunststoffpellets produziert werden, Ausgangspunkt ist Erdgas bzw. das Gas Ethan – in den Appalachen reichlich vorhanden.

Noch sehe das Firmengelände in Potter Township, einem kleinen Ort im Bezirk Beaver County nahe Pittsburgh, aus wie ein „gigantisches Legospiel“ am Ufer des Ohio, schrieb die „New York Times“ („NYT“) vor wenigen Tagen. Es erstreckt sich laut der US-Zeitung über eine Fläche von über 156 Hektar und ist eines des derzeit größten Bauprojekte in den USA. Es ist größer als 200 Fußballfelder.

Brisantes Thema durch Müll in den Meeren

„Gefüttert“ werde das Werk später von einem Netz aus Hunderten Kilometern Pipelines, es werde über ein eigenes Bahnnetz mit 3.300 Güterwaggons verfügen. „Und es wird jährlich mehr als eine Million Tonne dessen, wovon viele Menschen sagen, dass es die Welt am wenigstens braucht, produzieren: Plastik.“ Hintergrund sei das Plastikproblem, das derzeit ähnlich aktuell ist wie das Thema Klimawandel. Immer wieder tauchen Bilder von ganzen Inseln aus Kunststoffabfällen in den Weltmeeren und von verendeten Tieren auf.

Baustelle der Pennsylvania Shell ethylene cracker plant
AP/Gene J. Puskar
Riesiges Werksgelände und „Metropolis aus Stahl“

In den USA werde wenig gesammelt, schrieb die „NYT“, dafür immer mehr Plastik produziert. Aus den kleinen Pellets, die nahe Pittsburgh produziert werden sollen, ließe sich alles Mögliche herstellen, von Autoteilen bis hin zu Lebensmittelverpackungen, alles, was noch lange da sein werde, wenn es längst ausgedient hat. Die US-Politik setzt trotzdem auf den Industriezweig Kunststofferzeugung bzw. Petrochemie und hat noch viel größere Pläne. Washington hat die petrochemische Renaissance in den Appalachen ausgerufen, wie die Regionalzeitung „Pittsburgh Post-Gazette“ im Juni schrieb. Während die „Metropolis aus Stahl“ am Ohio noch gebaut werde, gelte die Aufmerksamkeit schon neuen Projekten.

Große Erwartungen an neuen Boom

Das erste Ethanwerk sei eine „Wasserscheide“, zitierte die Zeitung Kenneth Humprey, einen hochrangigen Berater des US-Energieministeriums. Es sei nun sehr gut möglich, in den kommenden zehn Jahren mehr als 100.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Humphreys Aufgabe sei nichts anderes, als den Weg für ähnliche Mammutprojekte in der Gebirgsregion mit den bekannten Blue Ridge Mountains zu ebnen. Mehr als ein Dutzend Projekte sollten umgesetzt werden bzw. lägen als Pläne in den Schubladen von großen Erdöl- und Petrochemiekonzernen.

Fracking-Anlage nahe Waynesburg
APA/AFP/Mladen Antonov
Fracking ist wegen seiner noch nicht ganz abschätzbaren Folgen umstritten

Der neue Boom sei nicht nur den vielseitigen Einsatzbereichen von Kunststoff geschuldet, sondern – zumindest in den Appalachen – auch einem laut „NYT“ aktuellen Überangebot an Erdgas bzw. dem Nebenprodukt Ethan. In Pennsylvania sei vor etwa 15 Jahren damit begonnen worden, Erdgas durch Fracking zu gewinnen. Später sei der Preis gesunken, nun müsse man sehen, wo man seine Profite macht – in dem Fall mit dem Nebenprodukt Ethan, aus dem Polyethylen, ein Standardkunststoff etwa für Verpackungen, hergestellt werden kann. Fracking, bei dem unterirdische Gesteinsschichten mit Druck aufgebrochen werden, ist wegen seiner Auswirkungen auf die Umwelt das kritische Thema Nummer drei. Außerdem braucht die Kunststoffproduktion viel Energie.

„Kurzfristiger Nutzen kann langfristige Folgen haben“

Der Politik komme das Projekt gelegen, da es Arbeitsplätze schafft, man sei Shell von staatlicher Seite deshalb auch großzügig entgegengekommen, so die US-Zeitung. Aber: „Jeder kurzfristige Nutzen kann langfristige Folgen haben.“ Shell verweise auf die Vorteile von Kunststoff etwa beim Bau leichterer und deshalb verbrauchsärmerer Fahrzeuge. Auf der anderen Seite könnten Sammeln und Recycling bzw. Entsorgung von Plastikflaschen und Sackerln aus Kunststoff nicht mehr mit der Produktion schritthalten. Überall sei Mikroplastik zu finden, angefangen vom Magen von Walen über Trinkwasser bis hin zu Speisesalz.

Plastik sei praktisch nicht verrottbar, es setze sich überall fest, man wisse zu wenig über die langfristigen Folgen dessen, zitierte die New Yorker Tageszeitung Roland Geyer, Professor für Industrieökologie an der University of California. „Es ist wie ein riesiges globales Experiment, und wir können nicht den Stecker ziehen, wenn es schiefgeht.“

„Teil der Reise“ oder Sackgasse?

Shell-Projektleiterin Hilary Mercer sieht dagegen nur Vorteile. Fahr- und Flugzeuge würden durch Kunststoffe leichter und verbrauchen deshalb weniger Treibstoff, was der CO2-Bilanz zugutekomme. Kunststoffe fänden sich in Windturbinen, in Solarpaneelen. Zum Stichwort Nachhaltigkeit bzw. erneuerbare Energie sehe sie keinen Widerspruch. „Ich sehe es als Teil der Reise.“

Für Mercer ist nicht die Produktion das Problem, sondern die nicht vorschriftsgemäße Entsorgung. Bei Shell sei man „passionierter“ Anhänger von Recycling. Für die US-Amerikaner gelte das nicht, schrieb die „NYT“. Shell gebe auch Geld für große Umweltschutzprojekte aus und fördere Recycling. Gerne spreche man auch von „Kreislaufwirtschaft“, in der Ressourcenverbrauch, Abfall und Energiebedarf reduziert werden.

Nach dem Ende der Stahlindustrie

Ein anderer Aspekt: Die Region brauche die Arbeitsplätze. Der frühere republikanische Gouverneur von Pennsylvania, Tom Corbett, habe auf das Ende der Stahlindustrie in der Region in den 1980er Jahren verwiesen. „Wir bauen die Wirtschaft wieder auf.“ Er erwartete einen regelrechten Plastikboom in Beaver County. Vor Jahren habe die Arbeitslosenrate in der Region an der 30-Prozent-Marke gekratzt. Corbetts Nachfolger, Gouverneur Tom Wolf, ein Demokrat, favorisiere ebenfalls petrochemische Industrie.

Das Werk darf laut Rechnung der „NYT“ 2,2 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft blasen, so viel wie 480.000 Pkws. Man wolle faktisch aber weniger des klimaschädlichen Gases produzieren, heiße es von Shell. Trotzdem sorgten sich Bewohner der Region nicht nur um das Klima, sondern etwa auch die Sicherheit der Ethanpipelines. Das Gas ist sehr leicht brennbar. In einer Leitung sei es bereits zu einer Explosion gekommen. Sorgen mache man sich auch um die Zerstörung der Landschaft durch das Bohren nach Erdgas.