Woodstock Festival in Bethel, New York, August 1969
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Woodstock 1969

Großes Chaos, perfekte Bilder

Am 15. August 1969 begann das Woodstock-Festival. Fast eine halbe Mio. Menschen versammelten sich auf einer Wiese im US-Bundesstaat New York, um Größen wie Janis Joplin und Jimi Hendrix zu lauschen. So chaotisch die Organisation auch war – die entstandenen Fotos und Filme sorgten dafür, dass die Veranstaltung zum Sinnbild der Gegenkultur wurde.

Es ist eine Szene, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat: Jimmy Hendrix im weißen Poncho, ein rotes Band um den Kopf gebunden, stimmt die ersten Takte der amerikanischen Nationalhymne an. Aus dem „Star-Spangled Banner“ entwickelt er ein virtuoses Solo, die Gitarre quietscht und kreischt, das Publikum ist begeistert. Hendrix’ Auftritt markierte den Endpunkt der Woodstock Aquarian Music & Art Fair, die vom 15. bis zum 18. August 1969 in Bethel im US-Bundesstaat New York über die Bühne ging.

Live gesehen hat den Auftritt des Gitarrenvirtuosen nur ein Bruchteil der 500.000 Menschen, die sich damals zusammenfanden. Hendrix, der bestbezahlte unter den Künstlerinnen und Künstlern in Woodstock, bestand darauf, als Allerletzter aufzutreten. Wegen der vielen Verzögerungen startete das zweistündige Konzert nicht wie geplant am Sonntagabend, sondern erst am Montag, den 18. August, gegen 8.30 Uhr in der Früh. Große Teile des Publikums waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgereist, „es waren vielleicht noch so 5.000 Menschen da, als Jimi Hendrix die Bühne betrat“, so Festivalorganisator Michael Lang.

Woodstock 1969
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Statt der ursprünglich geplanten 150.000 Menschen kamen 500.000 zum Woodstock-Festival

Doku machte Festival berühmt

Hendrix’ durch den Fleischwolf gedrehte Version der US-Hymne wurde zum „legendären Woodstock-Moment“, wie Lang sagt. Verantwortlich dafür ist nicht nur der Künstler, sondern auch Lang und seine Mitorganisatoren. Während das Festival im Chaos zu versinken drohte, klappte es mit der Inszenierung der Bilder. Die sorgfältig geplanten Foto- und Filmaufnahmen gingen um die Welt und trugen viel zum Mythos Woodstock bei.

Großen Anteil daran hat die 1970 veröffentlichte Doku „Woodstock – 3 Days of Peace & Music“ von Regisseur Michael Wadleigh, in der unter anderen Hendrix’ ikonische Version des „Star-Spangled Banner“ zu sehen ist. Sie wurde mit dem Oscar ausgezeichnet, zementierte den Woodstock-Mythos von Frieden, Harmonie und freier Liebe – und rettete nebenbei die Organisatoren vor der Pleite: Die Filmrechte brachten Lang und seinen Mitstreitern 1,5 Mio. Dollar ein. So konnten sie den beim Festival entstandenen Verlust auf verschmerzbare 100.000 Dollar drücken.

Woodstock nicht in Woodstock

Austragungsort des Festivals hätte eigentlich der Ort Woodstock sein sollen. Nach Protesten der lokalen Bevölkerung – darunter Bob Dylan – wurde es ins 70 Kilometer entfernte Bethel verlegt. 6,50 Dollar kostete ursprünglich das Tagesticket, 18 Dollar der Dreitagespass. Dieser war gleichzeitig der Pass für die „Woodstock Nation“, jene alternative Gesellschaft, die in den von Vietnam-Krieg, Rassenunruhen und Sozialkonflikten polarisierten USA für Meinungsfreiheit, Pazifismus und Gleichberechtigung (und freien Drogenkonsum) stand. Für 150.000 Besucherinnen und Besucher wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen, 186.000 Tickets verkauft – letztlich kamen aber fast eine halbe Mio. Menschen.

Joan Baez, W. Guthrie, Sly Stone, Crosby, Jimi Hendrix, R. Havens, Country Joe, J. Sebastian, Santana und Joe Cocker
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Viele der Künstlerinnen und Künstler, die in Woodstock auftraten, sind heute noch ein Begriff

Dass das Festival dennoch in aller Friedlichkeit über die Bühne ging, war wohl mehr der gewaltlosen Stimmung zu verdanken als der Organisation. Nur dadurch, dass immer mehr Fans herbeiströmten und Absperrungen ignorierten, wurde Woodstock nicht ganz freiwillig zum Gratisfestival. Neben Hendrix und Joplin standen unter anderen auch The Who, Joan Baez, Joe Cocker, Carlos Santana und Grateful Dead auf der Bühne. Unter teils abenteuerlichen Bedingungen: Der Grateful-Dead-Gitarrist erhielt beim Berühren seines Instrumentes jedes Mal einen Stromstoß.

Nationalgarde im Versorgungseinsatz

Der Begriff „Woodstock“ wird heute für jede größere Musikveranstaltung gerne herbeigezogen, und das Festival hat vieles vorweggenommen, was seitdem Rockfestivals ausmacht: einen legendären Verkehrsstau, Regen und darauf folgendes Schlammbad, zu wenige Toiletten und eine kulinarische Versorgung, die durchaus zu wünschen übrig ließ. Essen und Getränke wurden bereits nach dem ersten Tag knapp (die Nationalgarde brachte per Hubschrauber Snacks und Cola).

Woodstock 1969
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Joe Cocker bei seinem Konzert auf dem Woodstock-Festival 1969

Max Yasgur, jener Milchbauer, auf dessen Feldern das Jahrhundertfestival letztlich seinen Austragungsort fand, geriet für viele zu einem heimlichen Helden: Er versorgte die Besucherinnen und Besucher mit Wasser und seinen Milchprodukten (zum Teil gratis). Und obwohl er Republikaner war, ließ er sich auch nicht von jener negativen Stimmung abschrecken, die andere Anrainerinnen und Anrainer dem nicht eben drogenfreien Publikum und der „Invasion der Langhaarigen“ entgegenbrachten (es gab ein eigenes Zelt für jene, die einen schlechten „Trip“ erlebten). Neben den zwei Geburten am Rande des Festivals gab es auch zwei Todesfälle.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Mann springt in Heuhaufen, 1969
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Keine frühe Form des Stagedivings – man landete im Heu
Woodstock, 1969
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Essen wurde zum Teil gratis angeboten
Besucher in einer Hütte, 1969
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Einige Besucher bauten sich auch provisorische Hütten aus Holz und Gras
Zuschauer beim Woodstock-Festival, 1969
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Pausenszene zwischen zwei Konzerten
Stau beim Woodstock-Festival, 1969
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Sowohl bei der An- als auch bei der Abreise bildeten sich kilometerlange Staus
Frau liegt auf Auto, 1969
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Nickerchen auf einem Autodach
Zuschauer, 1969
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Blick auf die Massen und die Bühne

Kein Festival zum 50-Jahr-Jubiläum

Versuche, den Geist von damals 25 bzw. 30 Jahre später wiederaufleben zu lassen, scheiterten. 1994 konkurrierten die beiden Veranstaltungen „Woodstock ’94“ und „Bethel ’94“ vor Gericht um das Recht als offizielles Jubiläum. Und 1999 endete das Woodstock-Revival in den USA mit 225.000 Besucherinnen und Besuchern im Chaos. Fans legten Brände, lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei, auch mehrere Vergewaltigungen wurden verzeichnet. Die 1999 in Wr. Neustadt geplante europäische Ausgabe des Festivals musste wegen mangelnden Publikumsinteresses abgesagt werden.

Auftritt von Miley Cyrus beim Glastonbury Festival in Somerset
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Miley Cyrus hätte bei „Woodstock 50“ auftreten sollen – das Festival wurde nach Querelen abgesagt

Lange wurden Pläne auch für ein „Woodstock 50“ betiteltes Jubiläumsfestival gewälzt, das allerdings unter keinem guten Stern stand. Nachdem der Organisator Lang im Jänner die Pläne mit Stars wie Miley Cyrus und Jay-Z ankündigte, hatte das Vorhaben zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Mehrere anvisierte Veranstaltungsorte sagten ab, Investoren und Kunstschaffende zogen sich zurück. Ende Juli wurde das eigentlich für den 16. bis 18. August vorgesehene Festival schließlich abgesagt.

Zahlreiche Livemitschnitte

Auch, wenn der Geist des Originalfestivals längst verflogen ist, eine Cashcow ist Woodstock 1969 weiterhin. Unzählige Livemitschnitte sind von den 32 Woodstock-Performances in den vergangenen Dekaden erschienen, zu den bekanntesten zählt wohl das Set von Hendrix. Besonders die Jubiläen wurden oft und gerne durch die Musikindustrie aufgegriffen – so erschienen bereits zum 25., 30. und 40. Jahrestag Boxsets, die immer mehr Songs umfassten.

Zum 50-Jahr-Jubiläum können sich Fans über fast alle Darbietungen des Festivals freuen: Das Label Rhino hat im Sommer „Woodstock – Back to the Garden: The Definitive 50th Anniversary Archive“ veröffentlicht, das auf 38 CDs insgesamt 432 Songs umfasst – 267 Stücke davon sind laut Label zuvor noch nie zu hören gewesen.