Angestellte holt Akten aus einem Schrank
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Umfrage

Zwölfstundentag in fast jeder dritten Firma

Die Möglichkeit des Zwölfstundentags, eine Änderung erwirkt durch die ÖVP-FPÖ-Regierung, ist bereits in jeder dritten Firma Realität. Das ergab eine Umfrage, die vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte Österreich, der Uni Wien und der Uni Graz durchgeführt wurde. Demnach werden Arbeitszeiten generell flexibler, und auch das Homeoffice nimmt stetig zu. Die Arbeiterkammer zeigt sich besorgt.

Die Gleitzeit voll auszuschöpfen und an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten ist der Studie zufolge in etwa 30 Prozent der Unternehmen gang und gäbe. Befragt wurden österreichweit 214 Führungskräfte und Personalchefs. Das Ergebnis: Flexibles Arbeiten ist in Österreich auf dem Vormarsch, und Kernarbeitszeiten verlieren an Bedeutung. Weniger verbreitet ist hingegen das Modell der 30-Stunden-Woche. In Österreich haben das nur knapp ein Prozent der Unternehmen implementiert.

Vor zwei Jahren hätten noch fast zwei Drittel der Unternehmen auf Gleitzeit mit Kernzeit gesetzt, jetzt tue das nur noch die Hälfte. „Bereits bei einem Viertel der Unternehmen arbeitet die Mehrheit der Mitarbeiter ohne Kernzeiten“, sagte Barbara Kellner, Managerin bei Deloitte Österreich.

Homeoffice – modernes Arbeiten mit Vor- und Nachteilen

Fast alle Unternehmen gaben an, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Bürojobs schon von zu Hause aus erledigen könnten – allerdings dürfen das bei einem Drittel der Firmen nur einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dennoch nimmt die tatsächliche Nutzung von Homeoffice stark zu, sie hat sich laut Befragung in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt. „Homeoffice hat sich in Österreich etabliert. Vor allem die jüngeren Generationen erwarten sich diese Möglichkeit vom Arbeitgeber“, so Kellner.

Grafik zeigt Daten zum flexiblen Arbeiten 2019
Grafik: ORF.at; Quelle: 2019 Deloitte Consulting GmbH

86 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass das Angebot von einem beträchtlichen Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich in Anspruch genommen werde. Bei der letzten Befragung 2017 gaben das nur 42 Prozent an. Allerdings würden sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter manchmal nicht trauen, Homeoffice-Angebote wahrzunehmen, wenn physische Anwesenheit mit Leistung gleichgestellt werde, sagt Kellner.

„Es braucht klare Spielregeln“

„Flexibles Arbeiten kann mehr Freiheit und Autonomie für die Mitarbeiter bringen. Durch hohe Erwartungen an die Erreichbarkeit gepaart mit fehlenden Grenzen zwischen Job und Privatleben geht diese Freiheit aber oft wieder verloren“, sagt Bettina Kubicek, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Graz.

„Es braucht deshalb klare Spielregeln, damit die Mitarbeiter auch in der Freizeit abschalten können.“ Gerade von Führungskräften erwarten 65 Prozent der Befragten, dass sie auch in ihrer Freizeit erreichbar sind. Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird das von einem Viertel der Unternehmen eingefordert.

Vertrauen scheint noch nicht gefestigt

Generell würden die befragten Unternehmen in puncto flexibles Arbeiten allerdings widersprüchliche Signale senden, wie es in einer Aussendung von Deloitte heißt. „Zum einen geben 75 Prozent an, ihren Mitarbeitern zu vertrauen. Zum anderen setzen 39 Prozent der Unternehmen in diesem Zusammenhang auf zusätzliche Kontrollmechanismen“, so die Aussendung.

„Vertrauen bedeutet, Kontrolle aufzugeben. Im Hinblick auf flexibles Arbeiten versuchen aber manche Unternehmen, durch verschiedenste Maßnahmen wieder mehr Kontrolle zu erlangen“, analysiert Christian Korunka, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Wien. „Die Unternehmen müssen das Loslassen lernen und innerhalb eines klar kommunizierten Regelwerks eine gesunde Vertrauenskultur entwickeln. Nur so können sie als zeitgemäße Arbeitgeber attraktiv bleiben.“

Die Koalition von ÖVP und FPÖ schaffte vergangenes Jahr die gesetzliche Voraussetzung, die bisherige Arbeitszeitregelung zu lockern. Zwölf Stunden zu arbeiten war zwar in Österreich auch schon davor möglich, allerdings beschränkte sich das auf ausdrückliche Ausnahmen und auf spezielle Berufsgruppen, etwa auf den öffentlichen Dienst, Krankenpflegepersonal und Polizei.

AK befürchtet weiteren Druck in der Arbeitswelt

In der Regel darf jedoch nun seit 1. September 2018 jede Arbeitnehmerin bzw. jeder Arbeitnehmer freiwillig bis zu zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden die Woche arbeiten. Ausdrücklich verlangen darf der Arbeitgeber das aber nicht. SPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer (AK) sprechen dennoch von Lohnraub.

In einer Reaktion der AK gegenüber ORF.at heißt es, man zeige sich besorgt über die Entwicklungen. Das Wesen der Gleitzeit sei oftmals eine „Scheinwelt“: „Die Beschäftigten müssen ihre Arbeit trotzdem in einer bestimmten Zeit fertigstellen, und mit der neuen Gesetzeslage fallen sie dann um ihre Überstundenzuschläge um“, so die AK in einer schriftlichen Stellungnahme. Die AK befürchtet, dass der Druck in der Arbeitswelt weiter steigen wird und berichtet schon jetzt von grenzüberschreitenden Szenarien: „Wo früher verbotenerweise schon zwölf statt zehn Stunden gearbeitet wurden, sind es jetzt 14 Stunden, in krassen Fällen sogar 18 Stunden“, so AK-Sprecherin Michaela Lexa-Frank in einer E-Mail an ORF.at. Es gebe „null Vorteile für ArbeitnehmerInnen“, dafür aber „alle Vorteile bei den Unternehmen“.

Die Beschäftigten in Österreich arbeiten laut AK jetzt schon länger als die meisten anderen in Europa. Es brauche deshalb eine seriöse Diskussion über Arbeitszeitverkürzung, etwa eine einfachere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, heißt es in der Stellungnahme. „Bei steigendem Tempo und Druck in der Arbeitswelt sind längere Arbeitszeiten der gänzlich falsche Weg.“

SPÖ: Mehrarbeit muss als Überstunden vergütet werden

Für SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch wirft die Unternehmerbefragung zum Zwölfstundentag eine zentrale Frage auf, wie aus einer Aussendung hervorgeht: „Bekommen die ArbeitnehmerInnen, die in der Gleitzeit 12 Stunden am Tag arbeiten, die elfte und die zwölfte Arbeitsstunde als Überstunden bezahlt oder nicht?“

Muchitsch betont, dass vor dem neuen Arbeitszeitgesetz die Mehrarbeit als Überstunden vergütet werden müsste. Es sei nun aber davon auszugehen, „dass die ArbeitnehmerInnen um ihre Zuschläge umfallen“. „12-Stunden-Tag heißt dank Kurz und Strache mehr arbeiten für weniger Geld“, so Muchitsch.