Matteo Salvini
Reuters/Ciro De Luca
Kritik aus eigenen Reihen

Salvinis Koalitionsbruch könnte sich rächen

In Italien mehren sich kritische Stimmen innerhalb der rechten Lega, die im von Parteichef Matteo Salvini betriebenen Bruch der Koalition ein zu riskantes Manöver sehen. Die derzeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung regierende Lega könne am Ende in der Opposition landen, warnte Staatssekretär Giancarlo Giorgetti, ein enger Vertrauter Salvinis, am Donnerstag. Unterdessen nimmt auch der Ton zwischen Regierungschef Giuseppe Conte und Salvini an Schärfe zu.

„Wir hätten unsere Regierungsposten behalten können, und jetzt laufen wir Gefahr, dumm auszusehen“, sagte Giorgetti der Zeitung „La Repubblica“. Am Mittwoch hatte Agrarminister Gian Marco Centinaio von der Lega in einem Hörfunkinterview mit Blick auf den bisherigen Koalitionspartner gesagt: „Ich würde niemals eine Tür ganz zuschlagen.“

Salvini hatte vergangene Woche das Bündnis als nicht arbeitsfähig erklärt und platzen lassen. Seine Lega strebt ein Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Conte an. Salvini, der jetzt Innenminister und wie Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio Vizeministerpräsident ist, peilt eine Neuwahl noch im Herbst an und hofft angesichts hervorragender Umfragedaten, danach Regierungschef zu werden. Doch die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) verhinderten gemeinsam zunächst eine Debatte über den Misstrauensantrag.

Allianz gegen Salvini?

Doch Di Maio zeigte am Donnerstag keinerlei Interesse an einer Fortsetzung der Koalition. Er schrieb auf Facebook, Salvini bedauere seinen Schritt jetzt. Doch nun sei der Schaden da. „Jeder muss jetzt sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Viel Glück!“ Derzeit gibt es Annäherungen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und dem PD.

Beide Parteien hätten rechnerisch eine Mehrheit im Unterhaus und könnten eine Regierung bilden. Eine solche Option, die sie nach der Parlamentswahl im Mai 2018 noch ausgeschlossen hatten, diskutieren nun beide Parteien offen. Salvini will eine Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und PD auf jeden Fall verhindern. Er werde „alles tun, damit es nicht zu einer Trickserei“ zwischen den beiden komme.

Falscher Zeitpunkt für Regierungsaus?

Mittlerweile fragen auch Beobachter, warum Salvini die Koalition ausgerechnet jetzt aufkündigte. Es ist nicht ausgemacht, dass es nach einem möglichen Rücktritt von Regierungschef Conte direkt zu einer Neuwahl kommt. Die Entscheidung darüber hat Staatspräsident Sergio Mattarella in der Hand. Er allein kann das Parlament auflösen und eine Neuwahl anordnen. Er kann aber auch den Auftrag erteilen, ohne Neuwahl eine neue Mehrheit zu suchen und eine Regierung zu bilden.

Bisher war Salvini in einer komfortablen Situation. Er war nicht direkt verantwortlich für die Politik der Regierung, konnte Forderungen stellen und diese ohne größere Hürden auch durchsetzen – und das, obwohl er in der Koalition der Juniorpartner war. Und nun ging Salvinis Plan eines schnellen Misstrauensvotums zunächst nicht auf. „Die Lega kämpft zunehmend damit, die von ihr verursachte politische Krise zu bewältigen“, erklärte Wolfango Piccoli von der Denkfabrik Teneo.

Conte mit scharfer Kritik

Der Streit von Salvini und Conte nimmt unterdessen an Schärfe zu: Im Gezerre um das Rettungsschiff „Open Arms“ vor der Insel Lampedusa ging Conte zum Angriff auf über. „Unfaire Zusammenarbeit“, „institutionelle Verstöße“ und „politischer Eifer“ schrieb Conte in einem auf Facebook veröffentlichten Brief.

Conte attestierte Salvini in seinem Schreiben nun, er konzentriere sich zwanghaft auf die Migration. Zudem reduziere er das Thema auf die Formel „geschlossene Häfen“ – und das, um als Politiker an Zustimmung zu gewinnen. „Wenn wir wirklich unsere ‚nationalen Interessen‘ schützen wollen, können wir uns nicht darauf beschränken, Positionen der absoluten Unnachgiebigkeit zu vertreten“, erklärte Conte.

Prompte Antwort

Salvini nahm das Schreiben als willkommene Vorlage. Gewohnt zynisch antwortete er darauf und verteidigte seinen Kurs. Ja, er sei besessen von der Sicherheit seiner Bürger, die ihm sein Gehalt bezahlten, sagte er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im süditalienischen Castel Volturno. „Ich bekenne mich also zu meiner ‚Schuld‘, lieber Ministerpräsident, zu meiner ‚Besessenheit‘ bei der Bekämpfung aller Arten von Straftaten, der illegalen Einwanderung mit eingeschlossen“, hieß es in einem Antwortschreiben Salvinis.

Gezerre um Schiff vor Lampedusa

Hintergrund des Schlagabtauschs ist, dass ein Verwaltungsgericht in Rom Salvinis Sicherheitsgesetz, das Geldstrafen in Höhe von bis zu einer Million Euro gegen Seenotretter ermöglicht, im Fall der „Open Arms“ aufgeweicht. Mit der Entscheidung autorisierte es die Einfahrt in die italienischen Gewässer.

Seit Donnerstagfrüh ist für 147 Geflüchteten an Bord „Land in Sicht“, wie die Organisation auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte. Sechs EU-Länder sind bereit, sie aufzunehmen. Doch auch Stunden später durfte das Rettungsschiff immer noch nicht in den Hafen von Lampedusa einlaufen. Am Abend durften fünf Menschen wegen psychologischer Probleme von Bord, twitterte die spanische Organisation. Den Angaben zufolge konnten mit ihnen vier Angehörige ebenfalls an Land gehen.

In der Zwischenzeit droht einem weiteren Rettungsschiff eine Hängepartie: der „Ocean Viking“ von SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen mit 356 Migranten an Bord.