Annegret Kramp-Karrenbauer
Reuters/Stephanie Lecocq
Ausschluss angedacht

Maaßen-Kritik als Eigentor für CDU-Chefin

In Deutschland hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Interview ein Parteiausschlussverfahren gegen den am rechten Rand der Partei stehenden Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen angedacht – und damit massiven Ärger in den eigenen Reihen ausgelöst. Kurz vor den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen äußerten vor allem ostdeutsche CDU-Spitzenpolitiker ihren Unmut. Kramp-Karrenbauer musste zurückrudern, Kommentatoren sprechen von einem schweren strategischen Fehler.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sah sich zu der Klarstellung gezwungen, die Vorsitzende habe gar keinen Parteiausschluss Maaßens gefordert. Später stellte Kramp-Karrenbauer dann selbst klar: „Ich habe weder im Interview noch an anderer Stelle ein Parteiausschlussverfahren gefordert.“ Bei einem Auftritt im Rahmen des Tages der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin sagte die Verteidigungsministerin: „Die CDU ist eine Partei mit über 400.000 Mitgliedern. Dass jeder seine eigene Meinung haben kann, das macht uns aus, das macht uns auch interessant.“

Grundlage sei aber, dass man diese Meinungen „auch in einer Haltung, in einem Stil gegenseitigen Respektes miteinander austrägt“. Es müsse klar sein, dass der politische Gegner außerhalb und nicht innerhalb der eigenen Partei sei. „Und dass klar ist, dass nicht versucht wird, eine Partei grundlegend zu verändern.“

CDU-Chefin verweist auf „Tea-Party“ in den USA

Kramp-Karrenbauer hatte zuvor den Zeitungen der Funke-Mediengruppe auf die Frage, ob sie über ein Ausschlussverfahren gegen das CDU-Mitglied Maaßen nachdenke, gesagt: „Es gibt aus gutem Grund hohe Hürden, jemanden aus einer Partei auszuschließen. Aber ich sehe bei Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet.“

Auf die Frage, ob sie damit Maaßen und der ultrakonservativen Werteunion, deren Mitglied der Ex-Verfassungsschützer ist, die Gelbe Karte zeige, sagte Kramp-Karrenbauer, die „Tea-Party“-Bewegung in den USA habe die Republikaner ausgehöhlt und radikalisiert. „Das wird die CDU, das werde ich als Vorsitzende nicht zulassen.“ Es sei das gute Recht jedes Mitglieds, seine Meinung zu äußern. „Der Versuch aber, eine gänzlich andere Partei zu schaffen, stößt auf meinen allerhärtesten Widerstand“, ergänzte die Parteichefin.

Vom Verfassungsschutzchef zum Rechtsausleger

Maaßen gehört der konservativen CDU/CSU-Splittergruppe Werteunion an. Er war im Spätsommer 2018 als Präsident des Bundesverfassungsschutzes in die Kritik geraten, nachdem er die Echtheit eines Videos bezweifelt hatte, das nach der Tötung eines Mannes in Chemnitz eine Attacke gegen Migranten zeigt. Im November 2018 versetzte Innenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen in den einstweiligen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanuskript von teils „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen hatte. Maaßen hat seine Kritik an der Migrationspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Regierung auch zuletzt immer wieder bekräftigt.

Hans-Georg Maaßen
Reuters/Hannibal Hanschke
Maaßen spaltet die Union

Die Werteunion ist als privater Verein organisiert, ist kein offizieller Teil der Union und hat etwa 2.000 Mitglieder. Sie argumentiert, dass die CDU unter Merkel zu weit nach links gerückt sei und wieder konservativere Positionen vertreten müsse. Der Bundes-CDU ist die Werte-Union wegen ihrer häufigen Kritik am offiziellen Parteikurs ein Dorn im Auge, die Spannungen hatten zuletzt deutlich zugenommen.

Waffen im Osten gegen AfD?

Allerdings: Die CDU im Osten Deutschlands glaubt, mit Personen wie Maaßen der rechtspopulistischen AfD Paroli bieten zu können. Sachsen und Brandenburg wählen am 1. September, Thüringen Ende Oktober. Maaßen absolvierte zuletzt mehrere Wahlkampfauftritte in den ostdeutschen Bundesländern, vor allem in Sachsen.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte der „Bild am Sonntag“ über ein mögliches Ausschlussverfahren: „Das ist der falsche Weg. Bei aller berechtigten Kritik an Hans-Georg Maaßen – wir schließen niemanden aus der CDU aus, nur weil er unbequem ist.“ Er rate „zu Gelassenheit im Umgang mit unterschiedlichen Meinungen“.

Der thüringische CDU-Chef Mike Mohring nannte die Personaldiskussion „nicht sonderlich hilfreich.“ Permanent nach innen gerichtete Debatten taugten nur bedingt. Ausschlussgründe nach dem CDU-Statut ließen sich, „auch wenn man am Wegesrand stehen bleiben möchte, aber nicht begründen. Dann kann man der Partei und den Wahlkämpfern diese Diskussion auch ersparen.“

Maaßen: „Würde mich sehr enttäuschen“

Auch der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, übte Kritik: „Wir schließen niemanden aus, nur weil er kritisch und manchmal unbequem ist.“ Die Junge Union sprach sich bei parteiinternen Debatten zuletzt häufig für einen konservativeren Weg aus.

Maaßen selbst meinte, die CDU sei im Gegensatz zu den dogmatischen Parteien des linken Spektrums immer eine Partei der Vielfalt gewesen. „Dass AKK mit dieser Tradition brechen will, glaube ich nicht. Es würde mich sehr enttäuschen, denn ich hatte immer Hochachtung vor ihr.“ Es sei ihm „ein Rätsel“, wer Kramp-Karrenbauer „dazu geraten hat, solche Gedankenspiele zu formulieren“.

Aufruf an Kretschmer

Maaßen rief unterdessen die sächsische CDU und Ministerpräsident Kretschmer kurz vor der Landtagswahl dazu auf, sich inhaltlich von der Bundespartei abzugrenzen. „Ich wünsche mir, dass sich der sächsische Ministerpräsident von bestimmten politischen Positionen, die von der CDU auf Bundesebene propagiert werden, emanzipiert“, sagte Maaßen der „Welt am Sonntag“. Das Interview wurde nach Angaben der Zeitung bereits vor dem Bekanntwerden von Äußerungen von Kramp-Karrenbauer zu einem möglichen Parteiausschlussverfahren gegen Maaßen geführt.

In dem Interview betonte er, er wünsche sich von seiner Partei „in Teilen eine Neupositionierung der CDU, eine Politikwende“. Er ergänzte: „Damit stehe ich nicht alleine. Es sind viele, die das fordern. Viel mehr als die 2.500 Mitglieder der Werteunion.“

„Sollen Kindern nicht mit Klima-Hölle drohen“

Er ging zudem die Grünen scharf an: „Die Grünen insgesamt betreiben in Teilen eine weltfremde bis esoterische Politik, die wenig mit den tatsächlichen Problemen der allermeisten Menschen in diesem Land zu tun hat“, sagte er und betonte: „Ich halte die Politik der Grünen in Teilen für realitätsfremd und gefährlich. In der Migrationspolitik würde sie dazu führen, dass die Türen noch weiter geöffnet werden und gar keine Abschiebungen mehr stattfinden.“

Er denke nicht, „dass das Thema Klima die Menschen derart besorgt“, wie „gerade überall erklärt“ werde. „Wir sollten unseren Kindern nicht mit der Klima-Hölle drohen, wenn sie den Müll nicht trennen, sondern vernünftige Lösungen suchen. Gleichzeitig halte ich den Umweltschutz für sehr wichtig: Konservativ heißt auch, die Umwelt zu schützen und Vorsorge für nachfolgende Generationen zu treffen.“

Auch Lob für Kramp-Karrenbauer

Kramp-Karrenbauer erhielt für ihre scharfe Distanzierung von Maaßen aber auch Unterstützung aus der Parteispitze. „Die Abgrenzung ist vollkommen richtig und notwendig“, sagte Vorstandsmitglied Johann Wadephul. Wichtiger als die Mitgliedschaft Einzelner sei es, „dass Gruppierungen wie die Werteunion und die Union der Mitte aufgelöst werden“, forderte er. Die Union der Mitte ist eine Initiative, die sich gegen einen Rechtsruck der Partei ausspricht. Das sächsische Vorstandsmitglied Marco Wanderwitz sagte der dpa, eine klare Haltung gegenüber Maaßen sei langsam nötig. „Er betreibt aktiv die Annäherung an die AfD, eine extremistische Partei. Das ist gegen die Grundwerte der Union.“

Vergleich mit SPD-Problemen mit Sarrazin

Kommentatoren in deutschen Zeitungen sprechen von einem schweren strategischen Fehler Kramp-Karrenbauers. Verglichen wird der Vorstoß zu Maaßen mit Thilo Sarrazin und der SPD. Der provokative Autor bedient mit seinen Aussagen auch eher AfD-Klientel, die SPD schaffte es bisher nicht, ihn aus der Partei auszuschließen.

Die Distanzierung von der Werteunion sei zwar „überfällig“ gewesen, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“, dass die Parteichefin die Landtagswahlen im Osten nicht abgewartet habe, sei „aber taktisch unklug“. Kramp-Karrenbauer habe sich „in eine Zwickmühle gebracht: Wenn die CDU nun kein Parteiausschluss-Verfahren gegen Maaßen einleitet, werden CDU-Wähler aus der politischen Mitte enttäuscht sein. Und wenn sie ein Verfahren einleitet, droht der Partei eine quälende Auseinandersetzung, wie sie die SPD im Fall Sarrazin nun schon seit einem Jahrzehnt erlebt.“

„Ist nach der SPD nun auch die CDU von allen guten Geistern verlassen?“, fragt die „FAZ“: Zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Maaßen „zu einem zweiten Sarrazin zu machen, ist, gelinde gesagt, ein zweifelhaftes Manöver“. Und in der „Welt“ heißt es: „Kramp-Karrenbauers Vorstoß ist strategisch instinktlos.“