Boris Johnson
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Engpässe bei Alltäglichem

Geheimpapier zeigt Lücken in Brexit-Planung

Für den Fall eines harten Brexits rechnet die Regierung in London einem Medienbericht zufolge selbst mit Engpässen bei Lebensmitteln, Benzin und Medikamenten. Bisher geheime Dokumente zeigten die Lücken in der Brexit-Planung auf, schreibt die Zeitung „Sunday Times“ unter Berufung auf eben jene Regierungsdokumente.

Sollte Großbritannien kein Austrittsabkommen mit der Europäischen Union abschließen, drohten zudem eine Blockade an den Häfen und eine harte Grenze zu Irland, schreibt die „Sunday Times“ weiter. Die Behörde Cabinet Office prognostiziere in diesen Unterlagen die wahrscheinlichsten Nachbeben eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens. Lastkraftwagen müssten wegen der Zollkontrollen mit Verzögerungen von bis zu zweieinhalb Tagen rechnen. An den Häfen dürften die Störungen bis zu drei Monate dauern, bis sich der Zustand etwas verbessere. Außerdem könnte es zu landesweiten Protesten kommen.

Das Cabinet Office unterstützt die Arbeit des Premierministers und der Regierung. Laut dem Bericht listet das Cabinet Office keine Worst-Case-Szenarien auf, sondern die wahrscheinlichen Auswirkungen eines ungeregelten EU-Austritts. Neben den Versorgungsengpässen werde auch mit steigenden Preisen gerechnet.

Ungeregelter Brexit könnte zu Konjunkturkiller werden

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte angekündigt, Großbritannien bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen – notfalls auch ohne Abkommen mit der EU. Ein ungeregelter EU-Ausstieg, der Handelsströme und Lieferketten zu unterbrechen droht, wird als Konjunkturkiller gefürchtet.

Er dürfte die Wirtschaft nach Ansicht der britischen Notenbank letztlich in die Rezession stürzen. Ende Juli hatte Johnson erklärt, die Vorbereitungen für einen Austritt ohne Vertrag in allen Bereichen zu beschleunigen – von den Häfen über Banken bis zu den Krankenhäusern.

LKW auf einer britischen Autobahn
AP/Matt Dunham
Noch kommen Lkws im Grenzgebiet zügig voran – das könnte sich mit einem ungeregelten Brexit ändern

Abgeordnete machen Druck auf Johnson

Mehr als hundert Abgeordnete forderten Johnson unterdessen am Sonntag auf, das Parlament sofort für Beratungen über den Brexit aus der Sommerpause zurückzurufen. „Unser Land steht am Rand einer Wirtschaftskrise, da wir auf einen Brexit ohne Abkommen zurasen“, heißt es in einem Brief der Abgeordneten. „Wir stehen vor einem nationalen Notstand, und das Parlament muss jetzt zurückgerufen werden.“

Die Queen und der Brexit

In Großbritannien werden Stimmen laut, die Queen möge als eigentliches Staatsoberhaupt in das Brexit-Chaos eingreifen. Doch da sie nicht gewählt ist, fehlt ihr dafür die Legitimation.

Das britische Parlament kommt eigentlich erst am 3. September aus der Sommerpause zurück. Danach wird es noch einmal eine Sitzungspause geben: In der Parlamentspause im September halten die britischen Parteien traditionell ihre Jahresparteitage ab. Die Abgeordneten fordern nun, das Parlament sofort wieder einzubestellen und bis zum Austrittsdatum am 31. Oktober keine Sitzungspause mehr einzulegen.

Zahlreiche Unterhaus-Abgeordnete wollen einen „No Deal“-Brexit verhindern. Das Parlament hatte das von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen dreimal durchfallen lassen, gleichzeitig aber auch gegen einen Brexit ohne Abkommen gestimmt. Während seiner Bewerbung um den Tory-Parteivorsitz hatte Johnson daher eine Auflösung des Unterhauses nicht ausgeschlossen, um einen ungeregelten Brexit notfalls am Parlament vorbei durchzusetzen.

Treffen mit Merkel und Macron

Stein des Anstoßes ist die Backstop-Regelung zur Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland. Dort soll es nach dem Willen von Brüssel auf keinen Fall wieder Kontrollen geben. Ansonsten wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Nordirland-Friedensabkommen von 1998.

Laut der Nachrichtenagentur PA wird Johnson am Mittwoch in Berlin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und am Donnerstag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammentreffen. Es werde erwartet, dass er klarmachen werde, dass es einen neuen Brexit-Deal geben müsse und das Parlament das Ergebnis des Referendums nicht aufheben werde.

Merkel: Deutschland auch für harten Brexit gewappnet

Die deutsche Regierung ist nach Merkels Worten auch für einen Chaos-Brexit ohne Abkommen gewappnet. „Wir sind auf alles vorbereitet, das darf man sagen, auch wenn wir keinen Abschluss bekommen“, sagte Merkel am Sonntag beim Tag der offenen Tür der Regierung in Berlin.

„Aber ich werde jedenfalls mir Mühe geben, dass wir noch Lösungen finden, bis zum letzten Tag der Verhandlungen.“ Sie halte es für besser, wenn Großbritannien die Europäische Union mit einem Vertrag verlasse. „Aber wenn’s nicht geht, dann sind wir auch auf den anderen Fall vorbereitet.“ Über das Treffen mit Johnson sagte sie: „Wir freuen uns über jeden Besuch, und man muss reden und man muss gute Lösungen finden.“