Szene aus dem Film „Crawl“
2019 Paramount Pictures Corporation
Mahlzeit im Kino

Gleich kommt der Killeralligator

Wer braucht schon vollständige Gliedmaßen? Im Film „Crawl“ müssen sich Vater und Tochter nicht nur vor einem Hurrikan und Hochwasser retten, sondern sind auch noch gefräßigen Killeralligatoren ausgeliefert. Da bleibt kein Auge trocken (im Wortsinn).

Wie darf man sich einen Regisseur vorstellen, der einen Monsterschockerfilm voller logischer Inkonsistenzen und (scheinbarer?) Regiefehler dreht? Eigentlich nicht so wie den Franzosen Alexandre Aja. Er hat bereits mit hochkarätigen Filmen wie „Horns“ (2013) und „Das neunte Leben des Louis Drax“ (2016) viel positive Kritik eingefahren, und sein Horrorfilm „High Tension“ (2003) hat inzwischen Kultstatus erreicht. Darüber hinaus reicht sein Oeuvre von einem ziemlich guten Remake von „The Hills Have Eyes“ (2006) bis zum unterhaltsamen „Piranha 3D“ (2010). Der Mann ist vielseitig.

Deshalb kann man davon ausgehen, dass ihm das B-Movie „Crawl“ nicht einfach so passiert ist, und bei genauem Hinschauen fällt auf, dass der Film durchaus durchdacht ist und viele Fehler von anderen Filmen des Tierfresser-Horrorgenres bravourös umschifft. Ein klassischer Fehler wäre es, die Rahmenhandlung zu komplex ausfallen zu lassen. Darauf verzichteten die Drehbuchautoren Michael und Shawn Rasmussen („The Inhabitants“) dankenswerterweise.

Nur nicht mit Handlung nerven

Genau das ist der Kardinalfehler bei vielen Genre-B-Movies: Sie wollen zu viel; zu viel Psychologie, zu viele Handlungsstränge, zu viele Charaktere, wo doch jeder eigentlich nur Blut und Monster sehen und zwischendurch ein bisschen lachen will. Das weiß Regisseur Aja, und so kommt es, dass er, wiewohl mit allen Arthouse-Wassern gewaschen, genau das abliefert, was sein Publikum sehen will: Blut, Killeralligatoren, viele Schockmomente, garniert mit ein wenig Humor, logischen Inkonsistenzen und (immer noch: scheinbaren?) Regiefehlern.

Der Film kommt entsprechend schnell zur Sache. Nach kaum einer Viertelstunde Vorgeschichte schnappt der erste Alligator zu. Die Vorgeschichte: Haley (Kaya Scodelario) ist beim Schwimmtraining, sie ist fast so was wie ein Profi und braucht gute Wettbewerbsresultate, um ihr Unistipendium nicht zu verlieren (außerdem wird es später im Film wichtig sein, dass sie gut schwimmen kann). Ihre Schwester, die in Boston, also weit weg von den Südstaaten wohnt, ruft an, weil sich der Vater (Barry Pepper) nicht am Telefon meldet.

Ein ganz klein wenig Psychologie

Während alle vor dem Hurrikan aus dem Süden flüchten, fährt Haley also noch weiter in den Süden, wo ihr Vater lebt. Doch den findet sie, bereits angeknabbert von den Killeralligatoren, im Keller des alten Familiendomizils wieder. Und schon sind die ersten der netten Tierchen im Bild. An Flucht wäre ohnehin nicht mehr zu denken, weil draußen die Welt untergeht. Also ist man den Viechern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Ein ganz klitzekleines bisschen Psychologie darf dann doch sein: Wenn sie nicht gerade schreien oder schwimmen (also in Summe etwa zwei Minuten), dann sprechen sie über die kürzlich vollzogene Trennung von Vater und Mutter. Diese könnte Haley eigentlich egal sein, weil sie nicht mehr zu Hause wohnt, sie ist ihr aber dennoch nicht egal, weil die Ehe doch irgendwie eine Institution für alle Zeiten sein sollte, vor allem, um den Kindern auch noch im Erwachsenenalter Sicherheit zu geben, nach dem Motto: Das eigene Beziehungsleben ist ein einziges Chaos, aber zu Thanksgiving kann man in die elterliche Idylle fliehen.

Vater und Tochter als Scream-Queens

Was den Rest des Films betrifft: Die Schockmomente sitzen, der Spannungsbogen flirrt, und die beiden Hauptdarsteller hätten sich den offiziellen Scream-Queen-Titel redlich verdient gehabt. Da macht es dann auch nichts, dass Alligatoren, die Fenster bersten lassen als wären sie aus Backpapier, plötzlich an einer Duschwand aus Plastik scheitern, oder dass sich die Palmen im 45-Grad-Winkel im Hurrikan biegen, während die Haare der Protagonisten schnurgerade herunterhängen, als ginge kein Lüftchen. Hauptsache, es schmeckt den Alligatoren. Mahlzeit.