Felder in Sachsen
Getty Images/iStockphoto/kelifamily
Wahlen im Osten

Deutschlands Dilemma mit seiner Peripherie

Deutschland hat ein Problem mit seiner Peripherie. 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer klaffen immer noch große Unterschiede zwischen „neuen“ und „alten“ Bundesländern, Stadt und Land. Alle möglichen Versuche zur „Rettung“ schwacher Regionen werden debattiert, ein radikaler lautete auch schon einmal, sie einfach aufzugeben. Vor Wahlen in drei Bundesländern ist das Thema wieder aktuell.

In einer Woche entscheiden die Bürgerinnen und Bürger in Brandenburg und Sachsen über die künftige Zusammensetzung ihrer Landtage, Ende Oktober folgt dann noch Thüringen. Auch wenn es laut letzten Umfragen nicht mehr nach herben Niederlagen für CDU und SPD aussieht, die rechte Alternative für Deutschland dürfte sehr starke Ergebnisse einfahren.

Ein Faktor, der auch in Analysen zum Aufstieg der Rechten im deutschen Osten meist ganz vorne vorkommt, ist eine Art generelle Unzufriedenheit – kein regionales Phänomen. Viele Menschen dort seien unzufrieden vor allem mit ihrer wirtschaftlichen Situation, auf dem Land fehlen Arbeitsplätze, Einkommen sind fast drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung im Osten noch immer deutlich niedriger als im Westen.

Bagger im Braunkohletagebau Nochten
AP/Matthias Rietschel
Stichwort wirtschaftlicher Strukturwandel: Besonders der Abschied von der Kohle bereitet Deutschland Probleme

Unzufrieden, unverstanden

Wenn sich plötzlich führende Persönlichkeiten aus der Wirtschaft zur aktuellen Politik äußerten, „liegt womöglich etwas im Argen“, mutmaßte im März das „Handelsblatt“. Damals hatte sich VW-Managerin Hiltrud Werner zu den Erfolgen der AfD warnend zu Wort gemeldet und kritisiert, dass die „Nöte der Menschen im Osten nicht ernst genommen werden“. Die Politik liefere immer wieder Argumente für die Populisten, zitierte sie das „Handelsblatt“.

Überall, wo „die Menschen sich nicht verstanden fühlen und die etablierten Parteien keine Antworten liefern“, steige die „Bereitschaft, sich populistischen oder politisch radikaleren Kräften zuzuwenden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), Gerd Landsberg, gegenüber der Zeitung.

Die „Lücke“ zwischen Ost und West

Im April verwies das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf eine deutliche „Lücke im Produktivitätsniveau“ von um die 20 Prozent zwischen West und Ost, aber auch generell zwischen Ballungs- und ländlichen Räumen. Schuld seien keinesfalls die Beschäftigten, jedenfalls seien es strukturelle Gründe, also wie eine Region wirtschaftlich aufgestellt ist, etwa ihr Anteil an hochspezialisierter Industrie. Was her müsse, befand das Berliner Institut, sei ein Ausgleich zwischen Ost und West bzw. Stadt und Land, insbesondere der Bund sei gefragt, „durch eine nachhaltige Infrastrukturoffensive die Attraktivität und Wachstumschancen des ländlichen Raums zu stärken“.

Rezepte gegen die Abwanderung

Dazu kursierten bzw. kursieren die unterschiedlichsten Ideen. Erst letzte Woche forderten die deutschen Grünen eine „Mobilitätsgarantie“ für ländliche Regionen samt Reaktivierung alter Bahnlinien nicht nur als „Rückgrat der Verkehrswende“. Die Infrastruktur zwischen Zentren und „Fläche“, wie es in einem Bericht dazu hieß, auszubauen, ist auch ein Rezept gegen Abwanderung in die Städte. „An der grundlegenden Tatsache, dass es weniger große Städte und mehr ländliche Regionen in Ostdeutschland gibt, wird man sinnvollerweise nichts ändern können und wollen. 70 Jahre relativer Bevölkerungsverlust sind nicht einfach umkehrbar“, hatte das DIW im April befunden.

5G „an jeder Milchkanne“

Ein weiteres Rezept, das immer wieder gegen Abwanderung und zur Stärkung von Wirtschaftsstandorten verordnet wird, lautet: Breitbrandinternet. Im Juli forderte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Kontext der Debatte über gleiche Lebensverhältnisse und die innerdeutsche Ungleichheit auch bei der Anbindung an schnelles Internet gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dem eine ganze Reihe an Regionalzeitungen angehören: „Dabei geht es nicht nur um den Anschluss jedes Haushalts – wir brauchen 5G über jedem Acker, jedem Wald und an jeder Milchkanne.“ Es dürfe „kein Deutschland der zwei Geschwindigkeiten geben“.

Radikale Vorschläge

Bringt alles nichts, meint der Ökonom und Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint E. Gropp, und sorgte in den letzten Monaten mit seinen radikalen Vorschlägen in der Debatte für ziemliches Aufsehen. Das Bestehen auf gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land führe in die Irre, meinte er im Frühjahr. Man solle aufhören, „auf Teufel komm raus“ Arbeitsplätze zu erhalten und lieber in die Ballungszentren und ihr Umland investieren. „Der Harz wird nie wie München werden“, befand dazu damals das „Hamburger Abendblatt“. Laut Daten der deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA) lag der Durchschnittsverdienst (brutto) in Bayern im letzten Jahr bei rund 3.500, in Thüringen bei etwas mehr als 2.500 Euro. Spitzenreiter ist Hamburg mit über 3.700, Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern mit unter 2.500 Euro.

Vor wenigen Tagen legte Gropp nochmals nach. Die Abwanderung aus dem Osten könne man „mit noch so viele Subventionen nicht aufhalten“. Selbst die ostdeutschen Städte seien für gut ausgebildete junge Menschen nicht attraktiv, sagte der Volkswirt im Interview mit der „Lausitzer Rundschau“. Für die Lausitz, eine Region in Brandenburg und Sachsen, ist der beschlossene Ausstieg aus der Kohleproduktion ein wirtschaftliches Fiasko durch „signifikante Deindustrialisierung“, wie die Regionalzeitung schrieb. Ein derartiger wirtschaftlicher Strukturwandel ist komplex und kostet viel Geld, Gopp würde aber auch die Region nahe der polnischen Grenze nicht mit Subventionen retten.

AfD mischt vorne mit

Laut Prognosen des deutschen Forsa- bzw. Infratest-dimap-Meinungsforschungsinstituts von letzter Woche erreicht die AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen 20, 25 und 21 Prozent, die CDU 18, 31 und 24 Prozent. Die SPD liegt bei 21 und zweimal neun Prozent. Die Linke erreicht zweimal 14 und 26 Prozent, die Grünen kommen auf 14, zehn und elf Prozent, gefolgt von der FDP mit zweimal fünf und einmal vier Prozent.