GB will ab 1. September meisten EU-Treffen fernbleiben

Großbritannien will ab 1. September an den meisten EU-Sitzungen in Brüssel nicht mehr teilnehmen. Das Land werde die Europäische Union ohnehin zum 31. Oktober verlassen und wolle, wie von Premierminister Boris Johnson angekündigt, die Zeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im nationalen Interesse sinnvoller einsetzen, erklärte die britische Regierung heute.

Die EU-Sitzungen seien unglaublich arbeitsintensiv, erläuterte Brexit-Minister Stephen Barclay. „Ab jetzt werden wir nur noch zu Treffen gehen, die wirklich wichtig sind, was unsere Anwesenheit auf weniger als die Hälfte verringert und Hunderte Stunden einspart.“ Das werde Ministerinnen und Ministern sowie Beamtinnen und Beamten mehr Zeit zur Vorbereitung des Brexit und zum Ergreifen der künftigen Chancen geben.

Offizielle Begründung ist, dass sich die EU-Gremien schon jetzt meist mit der Zeit nach dem Brexit-Termin befassen. Es sei aber nicht die Absicht, das Funktionieren der EU zu behindern, hieß es weiter.

Tusk will an „Backstop“ festhalten

EU-Ratschef Donald Tusk reagierte indes kühl auf den neuen Vorstoß Johnsons zur Änderung des Brexit-Abkommens. Die „Backstop“-Klausel für Irland, die Johnson streichen will, sei eine Versicherung, dass auf der irischen Insel keine harte Grenze entstehe, schrieb Tusk heute auf Twitter. „Jene, die den ‚Backstop‘ ablehnen und keine realistische Alternative vorschlagen, unterstützen die Errichtung einer Grenze. Auch wenn sie das nicht zugeben.“

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte indes in Brüssel, Johnsons Brief habe keine konkreten Vorschläge enthalten. EU-Ratspräsident Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker würden eine offizielle Antwort auf das Schreiben vorbereiten.

EU-Sprecherin: Nicht die Zeit für Schuldzuweisungen

Die EU-Behörde setze sich für einen geordneten Brexit ein, der „im besten Interesse“ für beide Parteien sei, und sei bereit, jeden vorgelegten Vorschlag den „Backstop“ betreffend zu analysieren, hieß es. Auf Stimmen in Großbritannien, denen zufolge ein Austritt mit oder ohne Abkommen nun in den Händen der EU liege, antwortete die Sprecherin, dass jetzt nicht die Zeit für Schuldzuweisungen sei.

Der von Johnsons Amtsvorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Brexit-Vertrag sieht vor, dass keine Grenzkontrollen an der Grenze Irlands zum britischen Nordirland eingeführt werden sollen. Die EU besteht auf der Notfallklausel, um Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland auszuschließen. Denn eine Teilung der Insel durch eine harte Grenze könnte alte Konflikte in der ehemaligen Bürgerkriegsregion wieder aufflammen lassen.

Johnson hatte in einem Brief an Tusk die Streichung der Klausel verlangt und vage andere „Verpflichtungen“ ins Spiel gebracht, ohne das auszuführen. Johnson will sein Land am 31. Oktober aus der EU herausführen, notfalls auch ohne vertragliche Vereinbarung mit der EU.

Merkel: Brexit-Abkommen darf nicht aufgemacht werden

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wies einen Tag vor ihrem Treffen mit Johnson dessen Forderung nach Nachverhandlungen des Austrittsabkommens mit der EU zurück. „In dem Moment, wo wir eine praktische Regelung haben, wie wir das Good-Friday-Agreement (Friedensabkommen mit Nordirland, Anm.) einhalten können, und trotzdem die Grenze des Binnenmarktes (…) definieren können, brauchen wir den ‚Backstop‘ nicht mehr“, sagte Merkel in Reykjavik am Rande eines Treffens mit Regierungsvertretern skandinavischer Staaten.

Merkel fügte hinzu: „Wir werden natürlich über praktische Lösungen nachdenken“ – und die könne man auch „in kurzer Zeit finden“. Die EU sei dazu bereit. „Aber dazu müssen wir das Austrittsabkommen nicht aufmachen.“