Schilder an der Grenze zu Nordirland
Reuters/Clodagh Kilcoyne
Wohlstandsverlust

Die EU-Verlierer eines „harten“ Brexits

Ein ungeregelter EU-Austritt Großbritanniens wird immer wahrscheinlicher. „Die Auswirkungen eines harten Brexit würden die Mitgliedsstaaten der EU unterschiedlich hart treffen“, so die Wirtschaftsforscherin Marina Steininger vom Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut ifo. Österreich und Kroatien kämen innerhalb der EU am glimpflichsten davon.

Hauptleidtragender wäre Irland – gefolgt von Luxemburg, Malta und dem Vereinigten Königreich selbst. Eindeutig am schlimmsten beeinträchtigt würde Irland – das ifo errechnete hier Wohlstandsverluste in Höhe von 8,16 Prozent.

Dahinter folgten demnach Luxemburg mit einem jährlichen Rückgang des realen Konsums (gegenüber 2014) von 5,23 Prozent, Malta mit 5,19 Prozent, dann Großbritannien selbst mit 2,76 Prozent und die Niederlande mit 1,64 Prozent. Im EU-Vergleich am wenigsten sinken würde der Wohlstand in Kroatien (minus 0,34 Prozent) und in Österreich (minus 0,35 Prozent). Ebenfalls vergleichsweise gering wären die Einbußen in Rumänien (0,37 Prozent) sowie in Griechenland und Spanien (je 0,39 Prozent).

Grafik zeigt Daten zum „harten“ Brexit
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ifo

Auswirkungen könnten noch schlimmer werden

Die Unsicherheiten für Investoren und sich ändernde Wechselkurse könnten die negativen Auswirkungen den Wirtschaftsforschern zufolge aber noch verschlimmern. „Ein Freihandelsabkommen würde auf jeden Fall die negativen Folgen dämpfen“, betonte Steininger. Ohne Abkommen mit der EU für die Zeit nach Beendigung der Mitgliedschaft gehe der Wohlstand im Schnitt der EU-27 (ohne das Vereinigte Königreich) um 0,78 Prozent zurück, mit einem Freihandelsabkommen nur um 0,2 Prozent.

Rest der Welt kaum betroffen

„Die Auswirkungen eines harten Brexit auf den Rest der Welt sind begrenzt“, so die Forscherin vom ifo-Zentrum für Außenwirtschaft. Die USA wären – ebenso wie das Nicht-EU-Mitglied Schweiz – mit minus 0,01 Prozent betroffen, die Türkei mit minus 0,04 Prozent, Korea mit minus 0,03 Prozent. Es gäbe aber auch Profiteure eines abrupten, ungeregelten Brexits – der deutlichste Gewinner wäre laut ifo das Nicht-EU-Land Norwegen mit einem Wohlstandsgewinn von 0,52 Prozent. Mit Freihandelsabkommen stünde dort ein jährlicher Zuwachs des realen Konsums von 0,23 Prozent ins Haus.

Französischer Präsident Macron und englischer Premier Johnson, der sein Bein auf den Tisch stellt
AP/Christophe Petit Tesson
Johnson stellte bei seinem Macron-Besuch einen Fuß auf den Tisch

Johnson bei Macron

Der wiederholt hinausgezögerte Abschied des Vereinigten Königreichs von der Europäischen Union soll am 31. Oktober wahr werden. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Donnerstag seine Bemühungen um Änderungen am EU-Austrittsabkommen fortgesetzt.

Bei seinem Antrittsbesuch beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris zeigte er sich optimistisch, dass es zu einem geregelten Brexit kommen werde. Macron sagte, es liege an Johnson, über das Schicksal Großbritanniens zu entscheiden – die EU sei auf jedes Szenario vorbereitet.

„Backstop“ als größtes Hindernis

Vor einem gemeinsamen Mittagessen betonten Macron und Johnson die lange gemeinsame Vergangenheit der beiden Länder und die spezielle Beziehung zwischen London und Paris. Macron sagte, er „bereue“ die Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen. Aber man müsse dieses Ergebnis umsetzen. „Letztlich“, so Macron, bereite man sich auf alle Szenarien vor – und damit wohl auch auf einen ungeregelten Brexit.

Im Hinblick auf die Grenze zwischen Nordirland und Irland und den damit verbundenen „Backstop“, der eine Notlösung darstellt, sollte es zu keiner Einigung zwischen der EU und Großbritannien kommen, sagte Macron, dieser sei ein „Schlüsselelement“. Damit würde man den Frieden in Nordirland sicherstellen und die Integrität des Binnenmarktes wahren. Der „Backstop“ sei damit keine Formalie, sondern „wirklich unverzichtbar“, so Macron.

Johnson fordert „Energie und Kreativität“

Johnson zeigte sich zuversichtlich, dass man ein Abkommen schließen werde – „Ich will einen Deal“, so die Forderung des britischen Premiers. „Mit Energie und Kreativität“ könne man einen gangbaren Weg für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger finden, sagte Johnson. „Was auch immer“ mit dem Brexit passieren werde, man wolle jedenfalls die wirtschaftlichen Beziehungen mit Frankreich stärken, so Johnson im Hinblick auf einen möglichen „No Deal“-Brexit. Gefragt nach dem „Backstop“ betonte Johnson mehrmals, dass er „keine Grenzkontrollen jedweder Art“ einführen werde.

Bevor Macron und Johnson sich zu einem gemeinsamen Mittagessen verabschiedeten, sagte der britische Premier abschließend, dass man den Brexit über die Bühne bringen wolle: „Lasst uns nicht warten, lasst uns gleich beginnen“ – und: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, dem Macron entgegnete: „An die Arbeit.“

Für hämische Kommentare in Frankreich sorgte nicht nur Johnsons Versuch, den Brexit wieder verhandeln zu lassen. In den Sozialen Netzwerken sorgte vor allem Johnsons Benehmen bei dem offiziellen Anlass im Elysee für Kopfschütteln. Der britische Premier stellte bei seinem Antrittsbesuch einen Fuß auf einen Beistelltisch und ließ sich so fotografieren. Die User quittierten das mit dem Spitznamen „Boorish Johnson“: „boorish“ wird mit „flegelhaft“ übersetzt. Das Ganze war aber offenbar ein Scherz zwischen den beiden Politikern: Macron brach in herzhaftes Gelächter aus, Johnson entschuldigte sich umgehend mit süffisantem Gesichtsausdruck für die Geste.