Am Samstag ließ der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki aufhorchen. „Die Frage einer Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa sollte innerhalb der NATO diskutiert und entschieden werden“, sagte Morawiecki den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag-Ausgaben) und der französischen Zeitung „Ouest-France“.
Russland habe sich nicht an den INF-Vertrag aus dem Jahr 1988 gehalten, der die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa untersagte. „Deswegen verstehe ich die Sorgen der NATO“, so der Ministerpräsident weiter und meinte, er sei deshalb offen für eine Stationierung von Atomraketen auf europäischem Boden.
Zugleich machte sich Morawiecki für ein neues, umfassenderes Abkommen stark. „Wir sollten uns um einen neuen Abrüstungsvertrag bemühen, der auch China einschließt“, forderte der Premier im Gespräch mit den Zeitungen. „Nicht nur von Moskau, sondern auch von Peking geht eine Bedrohung für die freie Welt aus.“
Russland testete Raketen in Arktis und Barentssee
Dass die USA am Sonntag eine Mittelstreckenrakete getestet hatten, rief Putin am Freitag auf den Plan. Er kündigte an, mit einer „symmetrischen Antwort“ zu reagieren. Am Samstag folgte ein Raketentest in der Polarregion des Arktischen Ozeans und der Barentssee. Laut dem Verteidigungsministerium in Moskau haben Geschoße Übungsziele in der Region Archangelsk und auf der Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten getroffen.
US-Verteidigungsminister Mark Esper deutete später dem Sender Fox News gegenüber an, dass der US-Test letzte Woche aber vor allem an die Adresse Chinas gerichtet gewesen sei und weniger an Russland: „Wir wollen sicherstellen, dass wir, wenn wir müssen, die Fähigkeit haben, schlechtes Verhalten der Chinesen abzuwehren.“ Bei einem Besuch in Australien hatte Esper erklärt, er sei dafür, relativ bald landgestützte Marschflugkörper in Asien zu stationieren.
Putin: USA gefährden russische Kerninteressen
Doch Putin meinte, der US-Test zeige, dass die wahre Absicht der USA eine Stationierung verbotener Waffen in verschiedenen Teilen der Welt sei. Die von den USA ins Spiel gebrachte Verlegung neuer Raketen in die Asien-Pazifik-Region betreffe zudem wegen der geografischen Nähe russische Kerninteressen. Russland werde sich aber nicht in ein „kostspieliges, zerstörerisches Wettrüsten“ hereinziehen lassen, hieß es.
Die USA testeten vor rund zwei Wochen nach dem Ende des INF-Abrüstungsvertrags eine Mittelstreckenrakete. Nach Angaben des Pentagons wurde die landgestützte und konventionelle Rakete mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern von der San-Nicolas-Insel vor der kalifornischen Küste abgefeuert. Der Raketentest wäre unter den Vorgaben des INF-Vertrags noch verboten gewesen.
Trotz UNO-Verbots setzt Nordkorea Raketentests fort
Und auch abseits der beiden großen Militärmächte USA und Russland geht das Säbelrasseln weiter. Unmittelbar vor dem G-7-Gipfel im französischen Seebad Biarritz zu verschiedenen Krisen und Konflikten in der Welt testete Nordkorea erneut Raketen. Das Militär des international isolierten Landes habe Samstagfrüh zwei Raketen von der östlichen Stadt Sondok aus abgefeuert, teilte der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte mit.
Die nordkoreanischen Raketen seien Samstag früh etwa 380 Kilometer in Richtung offenes Meer geflogen. Es habe sich vermutlich erneut um zwei ballistische Kurzstreckenraketen gehandelt – und damit um den siebenten Test dieser Art seit Ende Juli. Tests mit ballistischen Raketen jeglicher Reichweite sind Nordkorea, das auch schon mehrfach Atombomben getestet hat, durch UNO-Resolutionen untersagt. Derartige Raketen sind in aller Regel Boden-Boden-Raketen, die einen konventionellen, chemischen, biologischen oder atomaren Sprengkopf befördern können.
Bereits in den Wochen zuvor hatte Nordkorea ein Militärmanöver der USA mit Südkorea zum Anlass für mehrere Raketentests genommen. Seoul wertete die Tests des abgeschotteten Nachbarlandes jeweils als „Machtdemonstration“, die den Unmut Pjöngjangs über die Manöver in Südkorea zeigen sollten. Die USA und Südkorea haben die Übungen jedoch Anfang dieser Woche beendet.
Trump gelassen: „Er testet gerne Raketen“
US-Präsident Donald Trump reagierte daraufhin gelassen. Kurz vor seinem Abflug zum G-7-Gipfel bemühte sich der US-Präsident in Washington, die Bedeutung des Raketentests herunterzuspielen. „Er testet gerne Raketen“, sagte Trump mit Blick auf Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un. Andere Staaten täten das auch. Die USA hätten selbst erst vor einigen Tagen einen Raketentest durchgeführt.
Auch bisher hatte sich Trump zurückhaltend zu den nordkoreanischen Raketentests geäußert. Er setzt darauf, dass Kim, mit dem er sich seit Juni 2018 bereits dreimal getroffen hat, die Verhandlungen über einen Rückbau des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms wiederaufnehmen will.
Revolutionsgarden: Iran testete neue Rakete
Nicht zuletzt testete auch noch der Iran nach Angaben der Revolutionsgarden ebenfalls eine neue Rakete. Der Iran teste ständig eine Vielzahl „defensiver und strategischer Systeme“, um seine Abschreckung zu verstärken, sagte der Kommandant der Garden, General Hossein Salami, am Samstag nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Tasnim.
„Gestern war einer der erfolgreichen Tage für diese Nation.“ Der General nannte keine Details zu der Waffe. Am Donnerstag hatte der Iran ein neues Raketenabwehrsystem präsentiert. Es handle es sich um ein mobiles Luftabwehrsystem mit Raketen großer Reichweite, das der Iran eigenständig gebaut habe, berichteten Staatsmedien damals.
System soll russischer Flugabwehr ähneln
Das Staatsfernsehen zeigte Präsident Hassan Rouhani bei der feierlichen Inbetriebnahme des Bawar-373-Systems, das dem russischen Flugabwehrsystem S-300 ähneln soll. Die Islamische Republik hat angesichts internationaler Sanktionen, die sie an Waffenimporten hindern, eine große Rüstungsindustrie entwickelt. Westliche Expertinnen und Experten zweifeln aber iranische Angaben zur Funktionalität der Waffen an.
Im Juni hatte der Iran mit einer Boden-Luft-Rakete eine US-Aufklärungsdrohne über dem Persischen Golf abgeschossen. Das hatte die Spannungen mit den USA weiter verschärft. Trump will die Führung in Teheran mit Sanktionen zu einem strengeren Abkommen über ihr Atom- und Raketenprogramm zwingen. Er hatte das internationale Atomabkommen mit dem Iran deswegen im vergangenen Jahr aufgekündigt.
Erneute Debatte im UNO-Sicherheitsrat
Das geschah noch vor dem Ende des INF-Abrüstungsvertrag, dem Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme, zwischen Russland und den USA am 2. August dieses Jahres. Die gegenseitige Aufkündigung hatte weltweit die Ängste vor einem neuen und gefährlichen Rüstungswettlauf geschürt. Das 1988 zwischen den Vereinigten Staaten und der damaligen Sowjetunion geschlossene Abkommen verbot landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern, die Atomsprengköpfe tragen können.
Damit sollten Möglichkeiten für einen Atomangriff mit sehr kurzer Vorlaufzeit verringert werden. Die USA hatten Russland vorgeworfen, gegen die Abmachung verstoßen zu haben. Die Regierung in Moskau weist das zurück. Auch China hatte den US-Raketentest scharf kritisiert. Die Vertreter von USA und Russland warfen einander am Donnerstag im UNO-Sicherheitsrat erneut gegenseitig vor, ein neues Wettrüsten anzuheizen.
Offene Fragen zu Unfall auf russischem Testgelände
Überschattet wurde der Sicherheitsrat nicht zuletzt von dem atomaren Unfall auf einem russischen Testgelände vor zwei Wochen. „Was genau ist am 8. August in Russland passiert? Was hat die Explosion verursacht, was für ein System war es, und welchem Zweck dient dieses System?“, fragte US-Diplomat Jonathan Cohen seinen Kollegen Dmitri Poljanski, stellvertretender UNO-Botschafter für Russland.
Der Unfall mit fünf Toten hatte sich auf einer Plattform im Meer auf dem Testgelände Nyonoska ereignet, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist. Russland hat nur wenige Angaben zu der Explosion gemacht. Expertinnen und Experten sehen das Unglück im Zusammenhang mit der Entwicklung einer atombetriebenen Rakete.