Als – vorerst – letztes Land hat am Samstag Russland den Test von Raketen in der Polarregion des Arktischen Ozeans und der Barentssee bekanntgegeben. Laut Verteidigungsministerium in Moskau seien diese auf Übungsziele in der Region Archangelsk und auf der Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten des Landes getroffen. Bei den Raketen habe es sich um die Typen Bulawa und Sinewa gehandelt, ballistische Interkontinentalraketen. Die Raketen werden in der Regel von U-Booten aus abgefeuert.
Am Montag hatte das Verteidigungsministerium in Washington erklärt, erstmals seit dem Ausscheiden der USA aus dem Abrüstungsabkommen für nukleare Mittelstreckenraketen (Intermediate Range Nuclear Forces, INF) eine Mittelstreckenrakete getestet zu haben. Nach Angaben des Pentagon wurde die landgestützte und konventionelle Rakete mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern von der San-Nicolas-Insel vor der kalifornischen Küste abgefeuert.
US-Test als Warnung an China
Verteidigungsminister Mark Esper deutete später dem Sender Fox News gegenüber an, dass der Test vor allem an die Adresse Chinas gerichtet gewesen sei. „Wir wollen sicherstellen, dass wir, wenn wir müssen, die Fähigkeit haben, schlechtes Verhalten der Chinesen abzuwehren.“ Bei einem Besuch in Australien hatte Esper erklärt, er sei dafür, relativ bald landgestützte Marschflugkörper in Asien zu stationieren.
Der INF-Vertrag war 1988 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen worden und sah den Verzicht auf landgestützte Marschflugkörper und Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern Reichweite vor. Damit sollten Möglichkeiten beider Länder verringert werden, einen Atomangriff mit sehr kurzer Vorlaufzeit durchzuführen. Die USA hatten vor ihrem Ausstieg Russland vorgeworfen, gegen die Abmachung verstoßen zu haben. Die Regierung in Moskau weist das zurück. Unter dem Abkommen wären die aktuellen Tests untersagt gewesen.
Russland sorgt sich um neues „Bedrohungsniveau“
Nach dem US-Test hatte Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag eine „symmetrischen Antwort“ darauf angekündigt. Er habe das Außen- und das Verteidigungsministerium angewiesen, das durch den Raketentest der USA geschaffene „Bedrohungsniveau“ für sein Land zu evaluieren. Die Ministerien sollten Maßnahmen zur Vorbereitung einer russischen Reaktion treffen.
Der US-Test zeige, dass die wahre Absicht der USA eine Stationierung verbotener Waffen in verschiedenen Teilen der Welt sei, erklärte Putin weiter. Die von den USA ins Spiel gebrachte Verlegung neuer Raketen in die Asien-Pazifik-Region betreffe außerdem wegen der geografischen Nähe russische Kerninteressen. Russland werde sich aber nicht in ein „kostspieliges, zerstörerisches Wettrüsten“ hereinziehen lassen. Auch China warnte davor, dass die Raketentests eine Art neuen Kalten Krieg auslösen könnten.
Polen will US-Atomraketen in Europa haben
In dem Streit meldete sich am Wochenende auch Polen zu Wort. „Die Frage einer Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa sollte innerhalb der NATO diskutiert und entschieden werden“, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki den Zeitungen der deutschen Funke-Mediengruppe (Samstag-Ausgaben) und der französischen „Ouest-France“. Russland habe sich nicht an den INF-Vertrag gehalten. „Deswegen verstehe ich die Sorgen der NATO“, so Morawiecki. Er sei deshalb offen für eine Stationierung von Atomraketen auf europäischem Boden.
Zugleich machte sich Morawiecki für ein neues, umfassenderes Abkommen stark. „Wir sollten uns um einen neuen Abrüstungsvertrag bemühen, der auch China einschließt“, forderte der Premier im Gespräch mit den Zeitungen. „Nicht nur von Moskau, sondern auch von Peking geht eine Bedrohung für die freie Welt aus.“
Nordkorea setzt Raketentests fort
Auch abseits der beiden Supermächte USA und Russland geht das Säbelrasseln weiter. Unmittelbar vor dem G-7-Gipfel im französischen Seebad Biarritz zu verschiedenen Krisen und Konflikten in der Welt testete Nordkorea erneut Raketen. Das Militär des international isolierten Landes habe Samstagfrüh zwei Raketen von der östlichen Stadt Sondok aus abgefeuert, teilte der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte mit.
Die nordkoreanischen Raketen seien Samstag früh etwa 380 Kilometer in Richtung offenes Meer geflogen. Es habe sich vermutlich erneut um zwei ballistische Kurzstreckenraketen gehandelt – und damit um den siebenten Test dieser Art seit Ende Juli. Am Sonntag meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA dann den Test einer „extragroßen mehrfachen Raketenabschussvorrichtung“.
Bereits in den Wochen zuvor hatte Nordkorea ein Militärmanöver der USA mit Südkorea zum Anlass für mehrere Raketentests genommen. Seoul wertete die Tests des abgeschotteten Nachbarlandes jeweils als „Machtdemonstration“, die den Unmut Pjöngjangs über die Manöver in Südkorea zeigen sollten. Die USA und Südkorea hatten die Übungen jedoch Anfang dieser Woche beendet.
Trump gelassen: „Er testet gerne Raketen“
US-Präsident Donald Trump reagierte daraufhin gelassen. Kurz vor seinem Abflug zum G-7-Gipfel bemühte sich der US-Präsident in Washington, die Bedeutung des Raketentests herunterzuspielen. „Er testet gerne Raketen“, sagte Trump mit Blick auf Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un. Andere Staaten täten das auch. Die USA hätten selbst erst vor einigen Tagen einen Raketentest durchgeführt.
Auch bisher hatte sich Trump zurückhaltend zu den nordkoreanischen Raketentests geäußert. Er setzt darauf, dass Kim, mit dem er sich seit Juni 2018 bereits dreimal getroffen hat, die Verhandlungen über einen Rückbau des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms wiederaufnehmen will.
Revolutionsgarden: Iran testete neue Rakete
Nicht zuletzt testete auch noch der Iran nach Angaben der Revolutionsgarden eine neue Rakete. Der Iran teste ständig eine Vielzahl „defensiver und strategischer Systeme“, um seine Abschreckung zu verstärken, sagte der Kommandant der Garden, General Hossein Salami, am Samstag nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Tasnim.
„Gestern war einer der erfolgreichen Tage für diese Nation.“ Der General nannte keine Details zu der Waffe. Am Donnerstag hatte der Iran ein neues Raketenabwehrsystem präsentiert. Es handle es sich um ein mobiles Luftabwehrsystem mit Raketen großer Reichweite, das der Iran eigenständig gebaut habe, berichteten Staatsmedien damals.
System soll russischerm Typ ähneln
Das Staatsfernsehen zeigte Präsident Hassan Rouhani bei der feierlichen Inbetriebnahme des Bawar-373-Systems, das dem russischen Flugabwehrsystem S-300 ähneln soll. Die Islamische Republik hat angesichts internationaler Sanktionen, die sie an Waffenimporten hindern, eine große Rüstungsindustrie entwickelt. Westliche Expertinnen und Experten zweifeln aber iranische Angaben zur Funktionalität der Waffen an.
Im Juni hatte der Iran mit einer Boden-Luft-Rakete eine US-Aufklärungsdrohne über dem Persischen Golf abgeschossen. Das hatte die Spannungen mit den USA weiter verschärft. Trump will die Führung in Teheran mit Sanktionen zu einem strengeren Abkommen über ihr Atom- und Raketenprogramm zwingen. Er hatte das internationale Atomabkommen mit dem Iran deswegen im vergangenen Jahr aufgekündigt.
Offene Fragen zu Unfall auf russischem Testgelände
Viele Fragen sind nach wie vor nach dem Unfall auf einem russischen Raketentestgelände Anfang August offen. Der Unfall mit fünf Toten hatte sich auf einer Plattform im Meer auf dem Testgelände Nyonoska ereignet, rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt. Russland machte nur sehr wenige Angaben zu der Explosion. In internationalen Medienberichten war mehrfach davon die Rede, dass Strahlungsgrenzwerte in der Region danach um ein Vielfaches überschritten worden seien und Moskau versucht habe, das zu vertuschen. Spekuliert wurde, vor allem von US-Seite, dass Russland an einer neuen Rakete, etwa einer Hyperschallwaffe, arbeite.