Ein Chinesisches Containerschiff
Reuters/Bobby Yip
Sozialkredit für Firmen

Chinas neue Waffe im Handelsstreit

Ab 2020 will China seine Bürgerinnen und Bürger mit einem umfangreichen Sozialkreditsystem bewerten. International hat das für viel Skepsis gesorgt. Wenig beachtet war bisher, dass sich das Sozialkreditsystem auch auf internationale Unternehmen erstreckt – und so in Handelskonflikten zur Waffe werden könnte.

Die Einrichtung eines Sozialkreditsystems wurde 2014 vom chinesischen Staatsrat beschlossen, die Umsetzung schreitet zügig voran. Die Auswirkungen werden nach Ansicht von Fachleuten gravierend sein. China will künftig zwischen „guten“ und „schlechten“ Bürgerinnen und Bürgern unterscheiden. In Pilotprojekten gibt es etwa Punkteabzüge für Regelverstöße, Verkehrsvergehen und Zahlungsverzug bei Rechnungen. Auch allzu kritische Äußerungen in Sozialen Netzwerken könnten eines Tages dazu führen, dass jemand im Punktesystem nach unten rutscht.

Die Folgen für Wirtschaftstreibende dürften nicht minder schwer ausfallen. Mit Hilfe von Big Data will Peking das Verhalten aller Marktteilnehmer überwachen und bewerten. „Das Gesellschaftliche Bonitätssystem bietet Unternehmen Anreize, Entscheidungen nicht nur im Einklang mit staatlichen Gesetzen und Vorschriften zu treffen, sondern auch in Übereinstimmung mit industriepolitischen und technologischen Vorgaben der Regierung“, schreibt die in Berlin ansässige Denkfabrik Mercator Institute for China Studies (MERICS) in einer Analyse.

Chinas Präsident Xi Jinping
Reuters/Nicolas Asfouri
Chinas Staatspräsident Xi Jinping: Peking will die Lenkung seiner Wirtschaft mit Hilfe des Sozialkreditsystems automatisieren

„Oberstes Ziel“ der chinesischen Führung sei es, „automatisierte Mechanismen zur Wirtschaftslenkung einzurichten“, so das Institut. Ausländische Unternehmen „werden den industriepolitischen Vorgaben“ Pekings „in vollem Umfang ausgesetzt sein“. Das kann positive Auswirkungen haben, etwa die strenge Einhaltung von Umweltauflagen. Es kann aber auch in die Gegenrichtung gehen: Das System sei anfällig für „fehlerhafte Technologien“ und „Datenmanipulation“, heißt es in der MERICS-Analyse. Und gerade in Zeiten von Handelskonflikten zwischen den USA, China und der EU stellt sich die Frage, ob Peking das Sozialkreditsystem nicht auch als wirtschaftspolitische Waffe einsetzen könnte.

„Leben und Tod“ für einzelne Unternehmen

Europas Firmen seien insgesamt schlecht vorbereitet auf die Veränderungen, die das Sozialkreditsystem bringt, warnten die Europäische und die Deutsche Handelskammer am Mittwoch. Ein „radikaler Wandel“ sei in Sicht, hieß es in einem Positionspapier der EU-Kammer. Es sei „zutiefst besorgniserregend“, in welch geringem Ausmaß Firmen bisher für die anstehenden Veränderungen vorgesorgt hätten.

Das Sozialkreditsystem zur Bewertung und Kontrolle von Firmen könne dabei „Leben oder Tod für einzelne Unternehmen“ bedeuten. Rund ein Jahr vor der geplanten Einführung zeige sich, dass knapp sieben von zehn deutschen Unternehmen in China nicht mit dem System, seiner Wirkungsweise und Zielsetzung im Geschäftskontext vertraut sind, teilte die Deutsche Handelskammer parallel dazu mit.

Gesamtnote für Firmen

Firmen in China sind schon jetzt diversen Ratings unterworfen. Künftig sollen all diese Informationen laut EU-Kammer zu einer Gesamtnote zusammengeführt werden. Mehr als 300 Kriterien könnten einfließen. Höhere Punktezahlen können niedrigere Steuersätze, bessere Kreditbedingungen, einfacheren Marktzugang und mehr öffentliche Beschaffungsmöglichkeiten für Unternehmen bedeuten, so die EU-Kammer. Niedrigere Punktezahlen führen zum Gegenteil und können sogar zu einem Marktausschluss führen.

Container im Hafen von Shanghai
Getty Images/Yaorusheng
Container im Hafen von Schanghai: Europas Firmen sind auf den „radikalen Wandel“, den das neue System bringt, nicht vorbereitet, warnen Fachleute

„In mancher Hinsicht sind das gute Nachrichten“, schrieb gleichwohl die EU-Kammer in ihrem Bericht. Das vollautomatisierte System zur Überwachung könnte so dafür sorgen, dass alle Firmen gleich behandelt werden. Auch soll das System Anreize schaffen, mit denen sich Unternehmen gegenseitig kontrollieren. Verstößt ein Zulieferer gegen Umweltvorschriften, würde auch das Rating des Auftraggebers leiden. Der wäre so animiert, genauer auf die Bedingungen beim Geschäftspartner zu achten.

Zu Abzügen für Firmen könnten aber auch Mängel beim Arbeitsschutz oder andere Verstöße von Sicherheitsregeln führen. Auch Steuerdelikte wirken sich negativ aus. Das Rating einer Firma würde auch darunter leiden, wenn der Geschäftsführer auf seinem persönlichen Punktekonto Abzüge erleidet, erklärte die EU-Kammer.

Viele Unklarheiten

Die Kammern warnten zugleich, die Einführung des Systems sei mit zahlreichen Ungewissheiten verbunden. Unklar sei etwa noch, wie verschiedene Bewertungskriterien gewichtet würden. Das System, in dem alle Daten zusammengeführt werden, beruhe auf einem „intransparenten Algorithmus“, so die Deutsche Handelskammer. Internationale Unternehmen könnten durch das System diskriminiert werden, heißt es dazu im Bericht der EU-Kammer.

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft seien eine Koppelung an rechtsstaatliche Prinzipien und transparente nachvollziehbare Regeln eine Grundvoraussetzung für ein derartiges Bewertungssystem. Die Datenabfrage sollte sich auf das notwendige Minimum beschränken. Dann könnte ein solches System beispielsweise helfen, andere Unternehmen besser einzuschätzen, bevor eine Geschäftsbeziehung eingegangen oder vertieft wird.

„Es fehlen substanzielle Informationen zur Systematik und Funktion des Scoring-Systems sowie über vorzubereitende Maßnahmen“, so die Deutsche Handelskammer, die mehr Transparenz von Peking einforderte.