Marco und Anna (Jean-Louis Trintignant und Gina Lollobrigida) besitzen einen Geflügelbetrieb. Ihre Hühner werden ohne Knochen gezüchtet, für ein Maximum an Fleisch. Der Firmenchef hat ein dunkles Geheimnis: Er ist, so scheint es zumindest auf den ersten Blick, Serienmörder, der Prostituierte in Hotelzimmern mit dem Messer abschlachtet. Als Marco eine Affäre mit Annas Cousine Gabri (Ewa Aulin) beginnt und Gabris Ehemann Mondaini (Jean Sobieski) die Szenerie betritt, entspinnen sich mörderische Intrigen.
So weit, so speziell das Setting von Giulio Questis „La morte ha fatto l’uovo“, was sich mit „Der Tod hat ein Ei gelegt“ übersetzen lässt. Im Deutschen klingt das eher lächerlich, und so erhielt er den Titel „Die Falle“. In Questis 1968 erschienenem Werk spiegelt sich der Aufstieg Nachkriegsitaliens vom Agrarstaat zur Industrienation ebenso wider wie die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung und Gesellschaftskritik der späten 1960er Jahre.
Dem „System“ – verkörpert von roboterhaften Männern in grauen Anzügen – setzt Questi kräftige Farben und Klangwelten entgegen, Elemente aus Avantgardefilmen verschneidet er mit jenen aus Schundromanen. Das Filmmuseum würdigt den vor wenigen Jahren verstorbenen Regisseur als „radikalen Visionär“. Mutig war er obendrein (Achtung, Spoiler!): Den Charakter von Frankreichs Schauspielstar Trintignat zu Hühnerfutter zu verarbeiten, das hat sich später kein Filmemacher mehr getraut.
Edgar-Wallace-Krimis im gelben Einband
Der Name Giallo (Italienisch für Gelb) leitet sich von den Kriminalromanen „Il Giallo Mondadori“ des Mondadori-Verlags ab. Die Mailänder packten ihre Hefte ab den späten 1920ern – Edgar Wallace, Agtha Christie und viele, viele andere – in gelbe Einbände. In Italien spricht man seither von „gelber Literatur“, wenn es um Krimis zum Lesen geht.
Im Kino hatte der Giallo zunächst harte Konkurrenz aus dem eigenen Land: In den 1960er Jahren war der Spaghettiwestern Italiens filmischer Exportschlager. Sergio Leone hatte das Genre 1964 mit „Für eine Handvoll Dollar“ begründet. Der Film und die anderen beiden Werke aus Leones Dollar-Trilogie – „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ – wurden zu Kassenschlagern und gelten heute als Klassiker.
Ebenfalls um 1964 definierten zwei Filme des Regisseur Mario Bava das Koordinatensystem des Giallo: „Das Mädchen, das zu viel wusste“ nimmt nicht nur im Titel Anleihen an Alfred Hitchcock und lässt die Linien zwischen Alptraum und Realität verschwimmen. In „Blutige Seide“ geht es um einen Mörder, der es auf Models abgesehen hat.
Das Spiel mit Licht und Schatten, die entsetzten Gesichter der Opfer kurz vor dem Mord, der über der Leiche baumelnde Telefonhörer – viele Elemente aus Bavas Film wurden in den Baukasten des Giallo aufgenommen. Ebenfalls gern verwendet im Genre: Mörder, die sich maskieren, oder im schwarzen Mantel oder Regenmantel kommen; schwarze Handschuhe; das Messer als bevorzugte Tatwaffe.
Argento und Morricone
Bavas Werke zogen zahlreiche zeitgenössische Filmschaffende in ihren Bann. Der berühmteste unter ihnen war Dario Argento, der seine ersten Schritte als Filmemacher im Giallo machte und zu dessen Spielwiese das Genre werden sollte. Argento schuf Klassiker wie „Rosso – Die Farbe des Todes“, mit denen er die Grenzen des Giallo in Richtung des Horrorgenres verschob.
Rot dominierte Argentos „gelbe“ Krimis. Die Farbe verfolgt Argento bis in seine Träume, wie er einmal in einem Interview erklärte: „Meine Alpträume sind von Rot beherrscht. Rot ist die Farbe von Glück und Leidenschaft, die Farbe von den Reisen in unser Unterbewusstsein. Aber vor allem ist Rot die Farbe von Angst und Gewalt“ – mehr dazu in fm4.ORF.at.
Den Soundtrack zu „Rosso“ lieferte die italienische Prog-Rock-Band Goblin, deren Musik auch in zahlreichen anderen Argento-Filmen zu hören ist. Der Giallo zog aber auch andere Stars der Filmwelt an, den legendären Filmmusikkomponisten Ennio Morricone etwa oder die schwedische Starschauspielerin Ingrid Thulin.
Einfluss bis heute
Im Filmmuseum würdigt man die italienische Thrillermoderne der späten 1960er und 1970er noch bis Ende Oktober. Mehr als 40 Filme zeigen diese spezielle Spielart des Krimis von seinen Vorläufern in den 1930ern und 40ern bis zu seinen Meisterwerken. Ein kleines Feature im Schwerpunkt ist Wien gewidmet – immerhin Schauplatz des Giallo „Der Killer von Wien“, der mit einem Zitat Sigmund Freuds beginnt.
Im Filmmuseum wird deutlich, wie stark der Giallo bis heute die Filmwelt beeinflusst. Quentin Tarantinos Hang für Schmuddelfilme früherer Epochen ist berüchtigt und macht auch vor dem Giallo nicht halt. Die Urväter des Slashhorrors, John Carpenter („Halloween – Die Nacht des Grauens“) und Sean S. Cunningham („Freitag der 13.“), nennen Bavas Werk als Inspiration. Und auch der dänische Filmneudenker Nicolas Winding Refn bedient sich im reichen Fundus des Giallo.