Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
Giallo

Italiens bizarre Schauerkrimis

Von den späten 1960ern bis zum Ende der 1970er begeisterten Italiens bizarre Krimis international das Publikum. Das Giallo all’italiana genannte Genre vereinte Gewalt und Erotik, Schauer und Schund und war eine Spielwiese des späteren Regiestars Dario Argento. Das Filmmuseum Wien widmet dem Giallo nun einen Schwerpunkt. Dabei wird deutlich, warum er bis heute die Filmwelt inspiriert.

Marco und Anna (Jean-Louis Trintignant und Gina Lollobrigida) besitzen einen Geflügelbetrieb. Ihre Hühner werden ohne Knochen gezüchtet, für ein Maximum an Fleisch. Der Firmenchef hat ein dunkles Geheimnis: Er ist, so scheint es zumindest auf den ersten Blick, Serienmörder, der Prostituierte in Hotelzimmern mit dem Messer abschlachtet. Als Marco eine Affäre mit Annas Cousine Gabri (Ewa Aulin) beginnt und Gabris Ehemann Mondaini (Jean Sobieski) die Szenerie betritt, entspinnen sich mörderische Intrigen.

So weit, so speziell das Setting von Giulio Questis „La morte ha fatto l’uovo“, was sich mit „Der Tod hat ein Ei gelegt“ übersetzen lässt. Im Deutschen klingt das eher lächerlich, und so erhielt er den Titel „Die Falle“. In Questis 1968 erschienenem Werk spiegelt sich der Aufstieg Nachkriegsitaliens vom Agrarstaat zur Industrienation ebenso wider wie die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung und Gesellschaftskritik der späten 1960er Jahre.

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Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
Der Professor ist dem Mörder auf die Spur gekommen – und endet mit einem Messer im Nacken: Szene aus Dario Argentos „Rosso – Farbe des Todes“ aus dem Jahr 1975
Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
In „Rosso“ vereint Argento Gewalt, wie man sie selbst in den schaurigen Giallo-Filmen davor nicht zu sehen bekam, abseitigen Humor, leuchtende Farben und eine eher abstruse Handlung zu einem großen Ganzen
Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
Giallo-Filme wie Argentos „Rosso“ inspirierten Regisseure wie John Carpenter („Halloween – Die Nacht des Grauens“), einen Pionier des Slasherfilms
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„Tenebrae“ (ebenfalls von Argento) – ein alptraumhafter Psychothriller mit Axtmorden
Szene aus dem Film „Giallo“
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Im Filmmuseum zu sehen ist auch Argentos Regiedebüt: „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ (1970)
Szene aus dem Film „Giallo“
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Der Mörder schlüpft in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ – wie so oft im Giallo – in eine Verkleidung
Szene aus dem Film „Giallo“
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Kindermorde und Lynchjustiz in einem süditalienischen Dorf: Lucio Fulcis „Quäle nie ein Kind zum Scherz“ (1972) spart nicht mit Kirchenkritik – und sorgte bei seinem Erscheinen für Kontroversen
Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
In Elio Petris Thriller „Das verfluchte Haus“ zieht ein Künstler in ein einsames Haus, in dem es zu spuken scheint, was der psychischen Gesundheit des Protagonisten nicht gerade zuträglich ist. Die Musik zum 1968 erschienenen Film stammt von Ennio Morricone.

Dem „System“ – verkörpert von roboterhaften Männern in grauen Anzügen – setzt Questi kräftige Farben und Klangwelten entgegen, Elemente aus Avantgardefilmen verschneidet er mit jenen aus Schundromanen. Das Filmmuseum würdigt den vor wenigen Jahren verstorbenen Regisseur als „radikalen Visionär“. Mutig war er obendrein (Achtung, Spoiler!): Den Charakter von Frankreichs Schauspielstar Trintignat zu Hühnerfutter zu verarbeiten, das hat sich später kein Filmemacher mehr getraut.

Edgar-Wallace-Krimis im gelben Einband

Der Name Giallo (Italienisch für Gelb) leitet sich von den Kriminalromanen „Il Giallo Mondadori“ des Mondadori-Verlags ab. Die Mailänder packten ihre Hefte ab den späten 1920ern – Edgar Wallace, Agtha Christie und viele, viele andere – in gelbe Einbände. In Italien spricht man seither von „gelber Literatur“, wenn es um Krimis zum Lesen geht.

Szene aus dem Film „Giallo“
Österreichisches Filmmuseum
Jean-Louis Trintignant und Ewa Aulin in „Die Falle“. Der Originaltitel des Films ließe sich auch als „Der Tod hat ein Ei gelegt“ übersetzen.

Im Kino hatte der Giallo zunächst harte Konkurrenz aus dem eigenen Land: In den 1960er Jahren war der Spaghettiwestern Italiens filmischer Exportschlager. Sergio Leone hatte das Genre 1964 mit „Für eine Handvoll Dollar“ begründet. Der Film und die anderen beiden Werke aus Leones Dollar-Trilogie – „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ – wurden zu Kassenschlagern und gelten heute als Klassiker.

Ebenfalls um 1964 definierten zwei Filme des Regisseur Mario Bava das Koordinatensystem des Giallo: „Das Mädchen, das zu viel wusste“ nimmt nicht nur im Titel Anleihen an Alfred Hitchcock und lässt die Linien zwischen Alptraum und Realität verschwimmen. In „Blutige Seide“ geht es um einen Mörder, der es auf Models abgesehen hat.

Das Spiel mit Licht und Schatten, die entsetzten Gesichter der Opfer kurz vor dem Mord, der über der Leiche baumelnde Telefonhörer – viele Elemente aus Bavas Film wurden in den Baukasten des Giallo aufgenommen. Ebenfalls gern verwendet im Genre: Mörder, die sich maskieren, oder im schwarzen Mantel oder Regenmantel kommen; schwarze Handschuhe; das Messer als bevorzugte Tatwaffe.

Argento und Morricone

Bavas Werke zogen zahlreiche zeitgenössische Filmschaffende in ihren Bann. Der berühmteste unter ihnen war Dario Argento, der seine ersten Schritte als Filmemacher im Giallo machte und zu dessen Spielwiese das Genre werden sollte. Argento schuf Klassiker wie „Rosso – Die Farbe des Todes“, mit denen er die Grenzen des Giallo in Richtung des Horrorgenres verschob.

Rot dominierte Argentos „gelbe“ Krimis. Die Farbe verfolgt Argento bis in seine Träume, wie er einmal in einem Interview erklärte: „Meine Alpträume sind von Rot beherrscht. Rot ist die Farbe von Glück und Leidenschaft, die Farbe von den Reisen in unser Unterbewusstsein. Aber vor allem ist Rot die Farbe von Angst und Gewalt“ – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Den Soundtrack zu „Rosso“ lieferte die italienische Prog-Rock-Band Goblin, deren Musik auch in zahlreichen anderen Argento-Filmen zu hören ist. Der Giallo zog aber auch andere Stars der Filmwelt an, den legendären Filmmusikkomponisten Ennio Morricone etwa oder die schwedische Starschauspielerin Ingrid Thulin.

Einfluss bis heute

Im Filmmuseum würdigt man die italienische Thrillermoderne der späten 1960er und 1970er noch bis Ende Oktober. Mehr als 40 Filme zeigen diese spezielle Spielart des Krimis von seinen Vorläufern in den 1930ern und 40ern bis zu seinen Meisterwerken. Ein kleines Feature im Schwerpunkt ist Wien gewidmet – immerhin Schauplatz des Giallo „Der Killer von Wien“, der mit einem Zitat Sigmund Freuds beginnt.

Im Filmmuseum wird deutlich, wie stark der Giallo bis heute die Filmwelt beeinflusst. Quentin Tarantinos Hang für Schmuddelfilme früherer Epochen ist berüchtigt und macht auch vor dem Giallo nicht halt. Die Urväter des Slashhorrors, John Carpenter („Halloween – Die Nacht des Grauens“) und Sean S. Cunningham („Freitag der 13.“), nennen Bavas Werk als Inspiration. Und auch der dänische Filmneudenker Nicolas Winding Refn bedient sich im reichen Fundus des Giallo.