E-Voting-Plattform „Rousseau“ der Fünf-Sterne-Bewegung
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Italien

Fünf-Sterne-Abstimmung als Koalitionshürde

Der mit der Regierungsbildung beauftragte italienische Premier Giuseppe Conte soll in den nächsten Tagen eine Koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und den Sozialdemokraten (PD) unter Dach und Fach bringen. Doch eine Hürde gibt es noch: eine Onlinebefragung der Parteimitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung – und deren Ausgang ist keineswegs fix. Ex-Innenminister Matteo Salvini, der die Koalition seiner Lega mit den Fünf Sternen in die Luft gesprengt hatte, wartet nun auf seine nächste Chance.

Am Donnerstag war noch kein Datum für die Fünf-Sterne-Urabstimmung auf der parteieigenen Internetplattform Rousseau angesetzt, erwartet wurde sie in den kommenden Tagen. Der Ausgang gilt als ungewiss, da viele Mitglieder die Sozialdemokraten als Inbegriff eines korrupten politischen Establishments sehen, das die Bewegung eigentlich bekämpfen sollte.

Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Winpoll vom Sonntag ergab unter Fünf-Sterne-Wählern einen Zuspruch von 43 Prozent für die neue Allianz, 22 Prozent für eine Neuwahl, 16 Prozent für eine Rückkehr zur Zusammenarbeit mit der rechten Lega und 19 Prozent Unentschlossene.

Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung hat ihre Mitglieder immer wieder online über wichtige politische Fragen abstimmen lassen – unter anderem über die Bildung einer Koalition mit der Lega im vergangenen Jahr. Etwa 100.000 Aktivistinnen und Aktivisten haben sich eingeschrieben, um auf der Plattform abstimmen zu können. Rund 50.000 beteiligen sich normalerweise an den Abstimmungen.

Warnung vom potenziellen Koalitionspartner

Die Sozialdemokraten sahen der Abstimmung kritisch entgegen: Die Onlinebefragung würde zu Verzögerungen bei der Regierungsbildung in Rom führen, hieß es etwa. PD-Vertreter warnten vor einer Ablehnung des Bündnisses durch die Parteibasis. PD-Fraktionschef Andrea Marcucci beruhigte: Jede Partei habe ihre „eigenen Verfahren“, über eine Koalition zu entscheiden.

Erwartet wird, dass Conte zwischen Dienstag und Mittwoch Präsident Sergio Mattarella die Ministerliste vorlegt. Im Anschluss sollte die Vereidigung des neuen Kabinetts erfolgen, dem zweiten unter Contes Führung. Im Juni 2018 war der parteilose Conte überraschend zum Ministerpräsidenten der nun gescheiterten Koalition aufgerückt.

Schwierige Zusammenarbeit

Inzwischen arbeiten die Fünf-Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten an dem gemeinsamen Regierungsprogramm, verlautete es aus den Parteizentralen der beiden Gruppierungen in Rom. Verhandelt wird auch um die Ministerposten. Und einfach wird das nicht: Denn die Parteien verbindet außer der Abneigung gegenüber Salvini ziemlich wenig. Bisher haben sie sich hauptsächlich bekriegt und gegenseitig beleidigt. Das Bündnis sitze auf „einem Depot voller Giftmüll, der noch zu entsorgen ist“, so die Zeitung „Corriere della Sera“.

Italien: Was ist von neuer Regierung zu erwarten?

Mit der künftigen Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten (PD) ist eine Neuwahl in Italien vom Tisch. Das endgültige Kabinett soll in den kommenden Tagen feststehen.

Conte als Gewinner

Als Gewinner geht aus den Entwicklungen jedenfalls Conte hervor: Im Vorjahr war er als profillose Marionette abgetan worden, doch nun steht er plötzlich als Macher da. „Ich werde eine Regierung im Zeichen der Erneuerung umsetzen, und das fordere ich auch von den politischen Kräften“, sagte er nach dem Auftrag zur Regierungsbildung.

Italienischer Premierminister Giuseppe Conte
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Conte könnte noch einer zweiten Regierung vorstehen

Das neue Kabinett müsse sich sofort an die Arbeit machen, um ein Budget zu verabschieden. Als Hauptaufgaben der neuen Regierung nannte er eine Wiederankurbelung der Wirtschaft, Investitionen in benachteiligte Regionen, Hilfe für arbeitslose Jugendliche und einen besseren Umweltschutz. Und er will eine „neue Menschlichkeit“ in die Politik des Landes tragen.

Nun muss der parteilose Anwalt das Meisterstück vollbringen, eine Mannschaft zusammenzustellen, die gleichzeitig Neues verspricht, aber Altes nicht verdammt. Schon die Ansprachen von Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und PD-Chef Nicola Zingaretti waren extrem konträr: Der eine hält am alten Regierungsprogramm fest, der andere fordert eine radikalen Neuanfang.

Lega kündigt Großdemo an

Salvini setzte unterdessen zum Gegenangriff an: „Ihr werdet mich nicht mit einem kleinen Palastschauspiel los“, sagte er. Er werde „nicht lockerlassen“ und sei „entschlossener als je zuvor“, wieder an die Macht zurückzukehren. Die künftige Regierung werde „nicht lange halten“.

Er rief zu einer Großkundgebung auf, die am 19. Oktober in Rom stattfinden und zu einem „großen Tag des italienischen Stolzes“ werden soll, sagte Salvini am Donnerstag in einem Onlinevideo. Er kündigte eine landesweite Informationskampagne seiner Partei im September an.

Salvini verkalkulierte sich

Und er witterte derweil Verschwörungen: Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich Präsident Emmanuel Macron steckten hinter seinem Machtverlust, und natürlich die EU. „Es ärgert mich, dass Italien wieder verkauft wird. Mich ärgert es, dass über die Zukunft Italiens im Ausland bestimmt wird. Irgendjemand in Brüssel will eine schwache Regierung“, sagte er.

Chefr der Lega Nord Matteo Salvini
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Salvini hat – vorerst – das Nachsehen

Dabei war er es selbst, der sich verkalkuliert hatte: Er hatte die Regierung aufgekündigt und gehofft, dass Präsident Mattarella eine Neuwahl ausrufen würde – bei der er sich aufgrund hervorragender Umfragedaten schon als Wahlsieger sah. Dass er jetzt als Verlierer dasteht, ist eine schmerzliche Niederlage.

In Warteposition

Die Frage ist allerdings, ob er nicht sehr bald die nächste Chance erhält: Wie stabil eine Koalition aus Sozialdemokraten und Fünf-Sterne-Bewegung sein kann, scheint unklar. Und das weiß Salvini, auch wenn seine Umfragewerte in den letzten Tagen deutlich nach unten zeigten. Doch gerade die Frage der Migrationspolitik und der Seenotrettung im Mittelmeer könnte ihm wieder in die Hände spielen. So sagte er: „Wir werden nicht in zwei Monaten gewinnen? Dann warten wir sechs Monate, um zu gewinnen? Oder müssen wir ein Jahr warten, um zu gewinnen? Wir haben keine Eile.“