Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein
Reuters/Lisi Niesner
Vorbildwirkung

Die Botschaften der Übergangsregierung

Die seit Anfang Juni amtierende Übergangsregierung hat sich von Beginn an eine Selbstbeschränkung auferlegt: Man werde den Status quo verwalten, nicht aktiv gestalten. Doch das Kabinett rund um Kanzlerin Brigitte Bierlein sendet durchaus Botschaften aus, die auch für die künftige Regierung eine Rolle spielen könnten.

Dass diese Regierung mit ihrer Form des Regierens „neue Standards für die kommende Regierung“ setzt – da zeigen sich sowohl die Kommunikationsberaterin Nina Hoppe wie auch der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at skeptisch. Aber sie sende „klare Botschaften, wie Regieren aussehen kann und soll“, so Filzmaier. Und Hoppe findet, die aktuelle Regierung trete als „Mahnerin“ auf und zeige auf, „wo es hakt“.

Tatsächlich unterscheidet sich die Übergangsregierung in ihrem Selbstverständnis klar von anderen Regierungen. Die Mitglieder der Bundesregierung „üben sich in Zurückhaltung und Bescheidenheit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb der Ressorts sowie im Außenauftritt“, war etwa eine der Leitlinien, die Bierlein ausgab. „Freundlich bleiben, auch wenn Medienanfragen sehr beharrlich vorgetragen werden“, lautete eine weitere „Grundregel“.

„Nicht die drei ewig gleichen Sager“

Auch die Kommunikation nach außen unterscheidet sich deutlich von jener früherer Regierungen, insbesondere der letzten ÖVP-FPÖ-Koalition und ihrer „Message-Control“. Die Menschen seien „froh, dass sie diese Regierung vom extremen Marketingsprech, der zuvor herrschte, verschont“, sagte Hoppe. Sie würden es als sehr angenehm empfinden, dass nicht „ewig die drei gleichen Sager“ wiederholt würden.

Vor allem aber fällt auf, dass Bierlein und ihr Vize, Justizminister Clemens Jabloner, die präzise Einhaltung des Gesetzesrahmens und des Geistes der Verfassung im politischen Handeln einmahnen und umzusetzen versuchen. Zuletzt warnten etwa Bierlein und Jabloner beim Forum Alpbach vor Tendenzen, die die Grundrechte untergraben. Bierlein warnte vor zu viel Überwachung – diese Tendenz gibt national und international seit den Terroranschlägen von 9/11 den Ton in der Politik an. „Unsere hochentwickelten Grundrechtsstandards dürfen nicht infrage gestellt werden“, mahnte Bierlein.

Sozialministerin Brigitte Zarfl, Au§enminister Alexander Schallenberg, Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein
APA/Georg Hochmuth
Jabloner auf der Regierungsbank

Jabloner sagte, der „Siegeszug der Grundrechte“ sei „ernstlich bedroht“. Insbesondere die Einhaltung der seit 1964 in der Verfassung verankerten Europäischen Menschenrechtskonvention sei in Gefahr. Er übte in diesem Zusammenhang ungewöhnlich direkte Kritik an Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ).

Klare Antworten auf Anfragen

In der Praxis vielleicht am auffälligsten ist die geänderte Praxis bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen, einem zentralen Werkzeug der parlamentarischen Demokratie. So hatte sich die damalige Opposition über die oft schleppende und nichtssagende Beantwortung von ÖVP- und FPÖ-Regierungsmitgliedern geärgert. Sogar Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sah sich 2018 dazu veranlasst, den damaligen Kanzler und Parteifreund, Sebastian Kurz, in einem Brief für die mangelnde Qualität der Anfragebeantwortungen durch die Regierung zu tadeln.

Die Übergangsregierung ist dagegen sichtlich bemüht, möglichst ausführlich zu antworten. Das prominenteste Beispiel dafür bisher war wohl eine Anfragebeantwortung von Justizminister Jabloner zum Stand der Ermittlungen zum „Ibiza-Video“ und zur Schredder-Affäre. Vonseiten der früheren Opposition war bisher jedenfalls keine Klage über eine mangelhafte Beantwortung zu hören.

Botschaften „wiederholen“

Dazu kommen auch ganz praktische inhaltliche Schritte. Besonders Reformen im Justizbereich – und mehr Budget dafür – liegen der aktuellen Regierung am Herzen. Jabloner kündigte auch einen „Wahrnehmungsbericht“ für seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger an. Die Kandidatin oder der Kandidat sollen damit schon in den Koalitionsverhandlungen Reformen zur Bedingung machen können, so Jabloner. Und Jabloner schickte zuletzt auch die – bereits unter Vorgänger Josef Moser weitgehende ausgearbeitete – Strafvollzugsreform in die Begutachtung.

Innenminister Peschorn zu „Ibiza“-Ermittlungen und BVT-Reformplänen

Innenminister Wolfgang Peschorn nahm in der ZIB2 Stellung zu den Ermittlungen in der „Ibiza-Affäre“ und zu seinen Reformplänen für das BVT.

Peschorn: Verwalten heißt auch Gestalten

Aufhorchen ließ diese Woche aber vor allem Innenminister Wolfgang Peschorn. Er kündigte am Dienstag im ZIB2-Interview an, die Reform des Bundesamts für Verteidigung und Terrorismusbekämpfung (BVT) voranzutreiben. Gerade die Reform dieser – seit der von Ex-Innenminister Kickl 2018 initiierten Razzia – schwer angeschlagenen und in Parteipolitik verstrickten Institution sei dringend nötig.

Er könne hier als Übergangsminister nicht zuwarten. Vorarbeiten seien ja bereits geleistet. Peschorn betonte zudem, er habe schon in seiner Antrittsrede gesagt, dass „Verwalten auch Gestalten“ bedeute. Hoppe verteidigte Peschorns Vorgehen und sagte, es sei letztlich immer auch die Frage, was man unter „Verwalten“ verstehe.

„Klare Botschaft für parteilosen Innenminister“

Filzmaier sieht in Peschorns Auftritt jedenfalls eine „klare Botschaft für einen parteilosen Innenminister“ in der nächsten Regierung. Zu sagen, er habe sich mit dem Interview selbst in Stellung bringen wollen, sei aber „Hobbypsychologie“, meinte Filzmaier. Das könne man schlicht nicht einschätzen. Das Innenministerium ist zwischen den Ex-Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ im Falle einer Neuauflage heftig umstritten.

Damit diese „Botschaften“ der Regierung bei den Koalitionsverhandlungen vielleicht einfließen, werde es aber nötig sein, dass die Übergangsregierung ihre „Botschaften“ bis zur Bildung einer neuen Regierung immer wieder wiederhole.

Eine Frage der Regierungsbildung

Ob die Art des Regierens – von der sachlichen und möglichst umfassenden Beantwortung von parlamentarischen Anfragen über die Betonung von Grundrechten bis hin zum praktisch völligen Verzicht auf Selbstdarstellung – auch auf die nächste Regierung ausstrahlen werde, hängt laut Hoppe nicht zuletzt davon ab, wie lange die Koalitionsverhandlungen dauern werden.

Gehe es schnell, werde die aktuelle Regierung rasch vergessen sein. Dauere es lange, könnte in der Bevölkerung der Wunsch nach einem Verbleib der Übergangsregierung wachsen. Hoppe machte freilich klar, dass es über kurz oder lang eine politisch besetzte Regierung brauche. Nur diese könne Lösungen für große gesellschaftspolitische Fragen vorlegen.