Demonstration in London
Reuters/Henry Nicholls
„Stoppt den Putsch“

Großdemos gegen Premier Johnson

In mehreren britischen Städten ist es am Samstag zu Großdemos gegen die von Premierminister Boris Johnson verordnete Zwangspause für das Parlament gekommen. Allein vor dem Regierungssitz in der Downing Street versuchten sich Tausende Demonstrierende mit Trommeln und Pfeifen Gehör zu verschaffen. „Boris Johnson: Schäm dich!“ und „Trumps Marionette“ riefen sie unter anderem.

Einige hatten Schilder mit der blauen EU-Flagge dabei. „Stop the Coup“ (Dt.: „Stoppt den Putsch“) war das Motto der Demonstration. Viele schwangen blau-gelbe EU-Fahnen. Die Residenz des Premierministers, Downing Street 10, liegt keine 50 Meter entfernt hinter einem meterhohen Gitter.

Insgesamt wurde in mehr als 30 Städten seit Mittag demonstriert – darunter York, Liverpool, Newcastle, Manchester, Bristol und Belfast. Einer der Organisatoren, die Anti-Brexit-Initiative „Another Europe Is Possible“, hoffte im Vorfeld auf Hunderttausende Teilnehmer. Nach Angaben der Organisatoren seien auch in anderen europäischen Städten – darunter Amsterdam, Berlin und Riga – Demos geplant gewesen.

Demonstration in London
APA/AFP/Niklas Hallen
In mehr als 30 Städten wurde gegen Johnsons Vorstoß demonstriert

Johnson will Abkommen aufschnüren

Die Menschen protestierten gegen den von der Queen abgesegneten Vorstoß Johnsons, das Parlament wenige Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Oktober für einen Monat zu suspendieren. Das beschränkt den Handlungsspielraum der Opposition und von Rebellen in der Regierungspartei, die einen EU-Austritt ohne Abkommen verhindern wollen.

Großdemos gegen den britischen Premier Johnson

In mehreren britischen Städten ist es am Samstag zu Großdemos gegen die von Premierminister Boris Johnson verordnete Zwangspause für das Parlament gekommen. (Videoquelle: APTN)

Johnson will den Brexit Ende Oktober durchziehen – mit oder ohne Abkommen. Die Mehrheit der Unterhaus-Abgeordneten hat sich dagegen ausgesprochen. Johnson verlangt Nachbesserungen des Austrittsabkommens, das seine Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hatte. Er findet den Vertrag, für den es im britischen Parlament bisher keine Mehrheit gab, inakzeptabel.

Knackpunkt ist der „Backstop“, der Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland verhindern soll. Der „Backstop“ sieht vor, dass Großbritannien so lange eng an die EU gebunden bleibt, bis eine andere Lösung für die Grenze gefunden ist. Die EU hat es bisher allerdings ausgeschlossen, den Vertrag zu ändern.

„Es geht darum, die Demokratie zu schützen“

Für Kritikerinnen und Kritiker ist sowohl der Zeitpunkt sowie die Dauer der Zwangspause wenige Wochen vor dem geplanten EU-Austritt höchstkontroversiell. In London wandten sich der Finanzexperte der Labour-Partei, John McDonnell, sowie die Labour-Abgeordnete und Schatten-Innenministerin Diane Abbott diesbezüglich an die Massen.

„Boris Johnson, es geht hier nicht um das Parlament gegen das Volk, hier geht es um Sie gegen das Volk“, so McDonnell. „Wir können es Boris Johnson nicht erlauben, das Parlament in eine Zwangspause zu schicken und damit die Stimmen der einfachen britischen Leute zum Verstummen zu zwingen.“ Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, dessen Abwesenheit unter Demonstrierenden in London für Verwirrung sorgte, nahm an einer Demonstration im schottischen Glasgow teil. „Keinesfalls wirst du uns ohne einen Deal hinausführen – wir werden dich stoppen“, so Corbyn zu den Demonstrierenden.

Der prominente „Guardian“-Journalist und Aktivist Owen Jones sagte: „Hier geht es darum, die Demokratie zu schützen.“ Er legte nach: „Wir haben einen ungewählten Premierminister, der gewählte Repräsentanten der britischen Bevölkerung in eine Zwangspause schickt, während diese eigentlich den größten Umbruch seit Kriegsende genau überprüfen sollen.“

Finanzminister Javid verteidigt Johnson

Finanzminister Sajid Javid verteidigte Johnsons Vorstoß indes gegenüber der BBC. „Es ist nichts Ungewöhnliches, dass das Parlament zu dieser Jahreszeit eine Pause macht. Es ist mehr als in Ordnung und angebracht, das Parlament in eine Pause zu schicken“, so Javid. Für ihn sei es „absolut okay, dass der Premierminister und seine Regierung die Chance bekommen, ihre Agenda umzusetzen“.