Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam
APA/AFP/Anthony Wallace
Hongkong

Regierung zieht Auslieferungsgesetz zurück

Inmitten der sich verhärtenden politischen Krise in Hongkong hat die Regierung nun einen symbolischen Schritt auf die Demonstranten zu gemacht. Am Mittwoch verkündete Regierungschefin Carrie Lam den offiziellen Rückzug des Entwurfs für ein Auslieferungsgesetz und kam damit den Demonstranten entgegen. Bisher war der Entwurf nur auf Eis gelegt.

Zunächst bestätigte eine regierungsnahe Quelle, dass Lam bei einem Treffen mit Abgeordneten und Vertretern des chinesischen Nationalen Volkskongresses am Mittwochnachmittag (Ortszeit) diesen Schritt angekündigt hatte. Später gab sie die Rücknahme des Gesetzes öffentlich bekannt.

Das Gesetz hätte Auslieferungen von unter Verdacht stehenden Personen nach China erlaubt und gilt als Auslöser für die seit drei Monaten andauernden Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungsregion. Kritisiert wurde, dass das chinesische Justizsystem nicht unabhängig sei und als Werkzeug politischer Verfolgung benutzt werde.

Schritt für Demonstrierende „zu spät“

Skeptischer war die Reaktion unter den Regierungskritikern. Für sie kommt der endgültige Rückzug von dem Gesetz „zu spät“. Sie pochen nun auch auf die Umsetzung der anderen Forderungen, die bis zu demokratischen Reformen reichen. Zudem fordern sie eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt und einen Rücktritt Lams.

Ihr wird zu große Peking-Nähe vorgeworfen. Regierungskritiker befürchten eine Einschränkung der Freiheiten, die Hongkong mit der Übergabe an China 1997 gewährt wurden. Ein Ende der Proteste zeichnet sich derzeit trotz des Einlenkens von Lam eher nicht ab.

Proteste setzen sich fort

Die Gewaltbereitschaft bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften ist in den vergangenen Wochen gestiegen. Erst am Wochenende gab es die bisher schwersten Zusammenstöße. Anfang der Woche boykottierten Zehntausende Schüler, Schülerinnen und Studierende den Unterricht. In der Nacht auf Mittwoch gab es erneut Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Protestierenden.

Schülerinnen bilden eine Menschenkette
Reuters/Tyrone Siu
Den Demonstrierenden geht Lams Einlenken nicht weit genug

Die Bereitschaftspolizei habe den Platz vor der Polizeiwache Mong Kok und die Metrostation Prince Edward von Demonstranten geräumt, berichtete der staatlich finanzierte Sender RTHK. Ein Mensch sei mit einer Sauerstoffmaske über dem Gesicht auf einer Liege weggetragen worden. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt.

Lam: Keine Rücktrittsabsichten

Lam steckt in einem Dilemma, die Forderungen der Demonstranten auf der einen Seite und die Vorgaben Pekings auf der anderen Seite zu erfüllen. Erst am Dienstag gab sie eine Erklärung ab, in der sie Rücktrittsabsichten dementierte. Sie habe volles Vertrauen aus Peking, die Krise alleine zu lösen, betonte sie.

Damit versuchte sie einer zuvor geleakten Tonaufnahme gegenzusteuern. Darauf ist Lam vor einer Runde von Unternehmern vor wenigen Tagen zu hören, wie sie Rücktrittswünsche andeutet und von sehr beschränkten Möglichkeiten spricht, da die Krise in Hongkong für die Regierung in Peking eine Angelegenheit nationaler Sicherheit und Souveränität geworden sei.

Brief an Merkel

Unterstützung erhoffen sich die Demonstranten nun auch von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Einer der Anführer der Proteste, Joshua Wong, schrieb einen Brief an sie: „Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sind in der DDR aufgewachsen. Sie haben Erfahrungen aus erster Hand über den Schrecken einer diktatorischen Regierung gemacht“, zitierte die „Bild“-Zeitung aus einem Schreiben Wongs und weiterer Aktivisten.

Aktivist Joshua Wong
AP/Chiang Ying-Ying
Aktivist Joshua Wong bittet die deutsche Kanzlerin Merkel um Unterstützung

„Die Deutschen haben im Kampf gegen den Autoritarismus während der 80er Jahre mutig an vorderster Front gestanden. Wie die gewaltfreien Demonstranten der Montagsdemos bringen wir unser Anliegen in die breite Öffentlichkeit und plädieren für demokratische Prinzipien“, so Wong. Er forderte Deutschland auf, den Demonstranten beizustehen.

„Wir wünschen uns, dass Sie den Mut und die Entschlossenheit gegen autoritäre Unrechtsregime zeigen, der Deutschland und Europa vor dem Ende des Kalten Krieges inspiriert hat und den Europa heute zeigt“, zitierte das Blatt aus dem Brief. „Deutschland sollte zudem auf der Hut sein, mit China Geschäfte zu machen, da China das internationale Völkerrecht nicht einhält und wiederholt seine Versprechen gebrochen hat.“

Wirtschaft kämpft mit Protesten

Schon die Ankündigung, dass das Gesetz zurückgezogen wird, wirkte sich positiv auf die Aktienmärkte aus. Der Börsenindex stieg um mehr als drei Prozent. Die Proteste hatten zuletzt die Wirtschaft allerdings stark in Bedrängnis gebracht. „Hongkongs Wirtschaft flirtet mit der Rezession“, sagte ein Ökonom.

Für die Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific wirken sich die Unruhen auch auf die Managementebene aus. Der Druck aus Peking steigt offenbar. Das Unternehmen war in Kritik geraten, als sich einige Mitarbeiter an den Demonstrationen beteiligten. Erst Mitte August trat der bisherige Chef Rupert Hogg ab. Es sei Zeit, ein neues Management einzusetzen, argumentierte Cathay-Verwaltungsratschef John Slosar. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Slosar selbst zurücktritt.