Britischer Premierminister Boris Johnson im Unterhaus
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Gesetz gegen „No Deal“-Brexit

Regierung gibt sich geschlagen

Der Weg zu einem Gesetz, das einen „No Deal“-Brexit verhindern soll, scheint geebnet. Nach der herben Niederlage des britischen Premiers Boris Johnson im Unterhaus am Mittwoch dürfte die Regierung nun ihren Widerstand gegen das eingebrachte Gesetz aufgegeben haben.

Befürchtet wurde, dass das Oberhaus durch Verfahrenstricks wie eine Flut von Anträgen und Dauerreden (Filibuster), das Gesetz so lange verzögert, dass es vor der kommende Woche startenden Zwangspause des Parlaments nicht mehr rechtzeitig beschlossen werden kann. Das hatten einige Brexit-Hardliner bereits am Mittwoch versucht.

In der Nacht auf Donnerstag gab es dann laut BBC einen Durchbruch. Lord Ashton of Hyde versprach nach Verhandlungen mit der Opposition, dass das Gesetz bis Freitagnachmittag das Oberhaus passieren werde. Zudem habe das Unterhaus zugesichert, Abänderungsanträge des Oberhauses noch am Montag zu berücksichtigen. Die Regierung beabsichtige sicherzustellen, dass das Gesetz bereit sein werde für die königliche Zustimmung, so Lord Ashton laut BBC. Die führende Labour-Vertreterin im Oberhaus, Baronin Angela Smith, bestätigte die Einigung im Oberhaus. Sie hoffe, dass es keine weiteren Ärgernisse geben werde.

Mögliche Fristverlängerung

Der Gesetzesentwurf hatte am Mittwoch gegen den Willen von Johnson alle drei Lesungen im Unterhaus passiert. Er sieht vor, dass der Premierminister einen Antrag auf eine dreimonatige Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist stellen muss, sollte bis zum 19. Oktober kein EU-Austrittsabkommen ratifiziert sein. Johnson wollte Großbritannien „ohne Wenn und Aber“ am 31. Oktober aus der EU führen.

Britischer Premierminister Boris Johnson diskutiert im Unterhaus
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Das Unterhaus versetzte Premier Johnson am Mittwoch zwei herbe Niederlagen

Der langjährige Tory-Abgeordnete und Alterspräsident des Unterhauses, Kenneth Clarke, appellierte an Johnson, mit Spielchen aufzuhören und „eine ernsthafte Lösung für diese unerträglichen Probleme zu finden“. Clarke hatte am Dienstag wie 20 weitere Tory-Rebellen gegen die Regierung gestimmt und war von Johnson aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Das harsche Vorgehen gegen die Abweichler stieß auf starke Kritik bei gemäßigten Konservativen.

Die gemäßigte One-Nation-Gruppe in der Tory-Fraktion veröffentlichte eine Erklärung, in der sie Johnson dazu aufforderte, die verbannten Fraktionsmitglieder wieder aufzunehmen. „Die Maßnahmen in den vergangenen Tagen, die Fraktion von gemäßigten Mitgliedern zu säubern, sind prinzipiell falsch und schlechte politische Praxis“, hieß es in dem Schreiben. Medienberichten zufolge droht die Stimmung selbst in Johnsons Kabinett zu kippen.

Neuwahlantrag auch abgelehnt

Johnson erlitt am Mittwoch eine doppelte Niederlage. Denn am späten Abend scheiterte er auch mit seinem Antrag auf eine Neuwahl. Johnson reagierte im Unterhaus wütend: „Das ist ein Gesetzesentwurf, der dazu gemacht ist, das größte demokratische Abstimmungsergebnis in unserer Geschichte umzudrehen, das Referendum von 2016.“

Zwei Drittel der Abgeordneten hätten zustimmen müssen, um dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen – was Johnson bei Weitem verfehlte. Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei kündigte an, er werde einer Neuwahl erst zustimmen, wenn das Gesetz gegen den „No Deal“ in Kraft getreten ist. Die notwendige Unterstützung der Opposition bei einem Neuwahlantrag könnte auch mit ein Grund gewesen sein, warum sich die Regierung dem Gesetz gegen einen „No Deal“-Brexit nun doch nicht mehr verschließen will.

Johnson: Verrat an Wählern

In einer Reaktion am Donnerstag pochte Johnson auf eine vorgezogene Wahl. Eine Verlängerung der britischen EU-Mitgliedschaft wäre „ein Verrat an den Wählern“. Die Weigerung Corbyns, einer Neuwahl zuzustimmen, sei „eine feige Beleidigung der Demokratie“: „Es ist klar, dass die einzige Aktion nun ist, zurück zu den Menschen zu gehen und ihnen die Möglichkeit zu geben zu entscheiden, was sie wollen.“

EU bereit zu Zusammenarbeit mit Johnson

Die EU-Kommission will weiter mit der Regierung von Johnson zusammenarbeiten. Trotz des jüngsten Hin und Her und obwohl Johnson die Parlamentsmehrheit verloren habe, habe Großbritannien eine Regierung, und man sei bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten, sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch. Johnson bleibe Ansprechpartner für Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

Im Falle eines „No Deal“-Brexits will die EU besonders hart getroffenen Mitgliedsstaaten, Unternehmen und Arbeitnehmern mit bis zu 780 Millionen Euro helfen. Das Geld soll aus zwei bestehenden Hilfsfonds kommen. Diesem Vorschlag der EU-Kommission müssten das Europaparlament und die Mitgliedsstaaten allerdings noch zustimmen. Auch die britische Regierung kündigte zusätzliche Ausgaben in Höhe von zwei Milliarden Pfund (rund 2,2 Mrd. Euro) an, um die Brexit-Folgen zu bewältigen.

Brüssel sieht geringe Chancen auf spontanen Deal

Die Chancen für einen spontanen Brexit-Deal beim EU-Gipfel im Oktober sind nach Einschätzung von EU-Diplomaten gering. „Die Annahme, dass in nur wenigen Tagen ein Vorschlag gemacht, verhandelt, vom Gipfel unterstützt sowie vom Europaparlament und dem britischen Parlament ratifiziert werden könnte, scheint eine eher heldenhafte Annahme, um es vorsichtig auszudrücken“, hieß es am Mittwoch aus EU-Kreisen.

Die EU-Botschafter ließen sich am Mittwochnachmittag über den Stand der Gespräche mit Großbritannien unterrichten und unterstützten anschließend ausdrücklich die Verhandlungsführung von Chefunterhändler Michel Barnier, wie ein anderer EU-Diplomat sagte.

Einwanderungsregeln für Europäer nach „No Deal“

Das britische Innenministerium stellte indes Regeln für künftige Einwanderer aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor. Diese können eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis beantragen. Dann wird die Identität der Antragsteller festgestellt und eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt. Damit will die Regierung die Einwanderung von Fachkräften sicherstellen und zugleich die „Kontrolle über unsere Grenzen zurückgewinnen“. Mittelfristig plant die Regierung nach eigenen Angaben die Einführung eines Punktesystems für Einwanderer.