Polizisten am Grenzübergang Nickelsdorf
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Umstrittene Kontrollen

Eine Grenze für alle Fälle

Fast 20 Jahre waren die Grenzen offen, seit 2015 wird wieder kontrolliert. Polizei und Bundesheer teilen sich die Aufgabe. Politisch sind die Kontrollen umstritten, natürlich auch Wahlkampfthema, die Meinungen über den Sinn gehen auseinander. Fakt ist: Die Bilder der Flüchtlingskrise sind noch sehr präsent, vor allem im Nordburgenland, wo auch an gewöhnlichen Tagen Hochbetrieb an der Grenze herrscht. Ein Lokalaugenschein.

Nickelsdorf, direkt an der Ostautobahn (A4): Auf dem Gelände vor dem Grenzübergang in Richtung Hegyeshalom parken zahlreiche Lkws. An die 1.000 Schwerfahrzeuge passieren die Grenze laut Auskunft der Polizei in umgekehrter Richtung aus Ungarn kommend pro Tag. Zwei Beamte kontrollieren an einem Mittwochvormittag die Identität der Lenker, Frachtpapiere und inspizieren die Laderäume. Der Pkw-Verkehr ist für einen Wochentag um die Mittagszeit beachtlich. Wartezeiten gibt es aber eher an Wochenenden.

Ein Stück weit vom Lkw-Parkplatz entfernt stehen zahlreiche Container. In einigen ist die Polizei untergebracht, in einigen das Bundesheer, eine ganze Reihe sind für den Fall reserviert, dass sich ein Szenario wie 2015 wiederholt und man das heute besser managen kann als damals: Personen geordnet kontrollieren und registrieren.

Erinnerungen an die Toten auf der A4

Nicht weit weg von den Containern von Polizei und Heer steht die alte Veterinärstation, seit Jahren nicht mehr in Betrieb. In einer der Hallen wurden Ende August 2015 die 71 Toten aus dem Klein-Lkw, die an der A4 bei Parndorf gefunden worden waren, geborgen, wie Oberstleutnant Helmut Marban von der Landespolizeidirektion (LPD) Burgenland bei einem Rundgang um das Gelände schildert. Das Flüchtlingsdrama bleibt kaum von einer Beamtin bzw. von einem Beamten, mit dem man im Nordburgenland spricht, unerwähnt.

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Gelagerte Grenzzaunelemente am Grenzübergang Nickelsdorf
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Zaunelemente lagern für den Bedarfsfall auf dem Gelände vor dem Grenzübergang in Nickelsdorf
Außenansicht des Containerdorfs am Grenzübergang Nickelsdorf
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Die „Registrierung“: Container mit unterschiedlichen Stationen samt Notquartieren
Durchsuchungsraum im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Erste Station: Durchsuchung, zur Sicherheit
Gang im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Mehrere „Straßen“ können im Bedarfsfall parallel für eine geordnete Registrierung besetzt werden
Muslimische Toiletten im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Getrennte Sanitärräume für Familien, Frauen und Männer
Bettenzimmer im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Notquartiere für längere Wartezeiten
Zimmer der Schlepper-Abteilung im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Dienstzimmer der Polizei in dem Containerkomplex. Im Fokus: Schlepperei.
Registrierungsstelle im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Scanner und Kameras
Registrierungsstelle im Containerdorf am Grenzübergang Nickelsdorf
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Fingerabdruckscanner, möglich ist auch ein Abgleich mit Datenbanken

Sehr präsent sind aber auch noch die Ereignisse wenige Tage später. Am 5. September 2015 seien, ohne viel Vorwarnung, plötzlich 180 Busse voll mit zuvor in Ungarn gestrandeten Menschen an der Grenze gestanden. Auch wenn viele vor allem die Bilder aus dem südsteirischen Spielfeld in Erinnerung haben, so Marban, begonnen hatte alles in Nickelsdorf. Erst später, im Oktober, verlagerte sich der Schwerpunkt an die südliche Staatsgrenze.

Die Lehren aus 2015

Heute gehe es im Wesentlichen darum, vorbereitet zu sein. Man habe die letzten Jahre daran gearbeitet, dass sich Szenen wie 2015 nicht wiederholten – die damals auch nicht anders hätten bewältigt werden können, wie der Oberstleutnant, bei der LPD Burgenland zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und internen Betrieb, hinzufügt. Inzwischen sei die Polizei allerdings, „glaube ich, schon vorbereitet, ein gewisses Szenario abarbeiten zu können“, wobei das nichts anderes heißt, als Chaos mitsamt möglicher Folgen zu verhindern und die Menschen in geordneten Bahnen zu halten.

Grenzübergang Nickelsdorf
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Nickelsdorf an der Ostautobahn (A4) ist der am stärksten frequentierte Grenzübergang nach Ungarn

In den letzten vier Jahren habe man seine Hausaufgaben gemacht und Vorbereitungen getroffen, sei es personell wie auch infrastrukturell, sagt Marban. In den Containern sind Stationen zur Prüfung der Identität und Registrierung eingerichtet. Im Bedarfsfall könnte man bis zu 16 „Straßen“ parallel betreiben. Daneben stehen Sanitäreinrichtungen, getrennt für Frauen, Männer und Familien, samt Notquartieren zur Verfügung. Zaun wie an der südsteirischen Grenze gibt es keinen, nur Zaunelemente, die für den Bedarfsfall auf dem Gelände (und anderswo) lagern – wiederum um Menschenmengen zu lenken. Marban zieht einen Vergleich mit einem Flughafen.

„Plötzlich bewegen sich da Massen an Menschen“

2015 sei versucht worden, die Menschen, die ankamen, entweder auf geordnete Weise von Nickelsdorf aus in Unterkünfte zu bringen oder ihre Weiterreise in Richtung Westen zu organisieren. Es habe Phasen gegeben, an einem Tag etwa, an dem etwa 20.000 Personen die Grenze passierten, „da war einfach auch die Struktur überfordert, keine Frage“. Hunderte Menschen machten sich entlang der Autobahn und der Bahnlinie auf den Weg, die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mussten streckenweise den Zugsverkehr einstellen.

Oberstleutnant Helmut Marban
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Marban über 2015: „Da war einfach die Struktur überfordert“

Es habe aber auch sehr viel Hilfsbereitschaft gegeben, „Lkw-weise“ seien Hilfsgüter verteilt worden, die vielen Menschen hätten aber auch für Überforderung in der Bevölkerung gesorgt. „Man kann wahrscheinlich diese Situation nur dann wirklich beurteilen, wenn man dabei war, wenn man vor Ort war und gesehen hat, was sich da abspielt. Ich glaube, Verunsicherung ist das bessere Wort als Fremdenfeindlichkeit“, sagt Marban. In solchen Situationen passiere einfach „Ungewohntes, plötzlich bewegen sich da Massen an Menschen, scheinbar unkontrolliert.“

„Man müsste ein Prophet sein“

Aktuell ist es im Vergleich zu damals eher ruhig. Nach etwa 295.000 Grenzübertritten 2015 müsse man die Frage „Viel los oder nicht?“ relativ sehen. Wenn man den Zehnjahresvergleich nimmt, „hatten wir sicher schon höhere Zahlen“. Auch 2016 noch. Heuer liege man „von der Tendenz her“ dort, dass die Gesamtzahl von 2018 (449) bereits zur Mitte des Jahres erreicht worden sei, zuletzt lag man bei etwa 600, im Burgenland gebe es jedenfalls eine leicht steigende Tendenz.

Flüchtlinge an der Grenze Spielfeld im Jahr 2015
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2015 in Spielfeld: Menschen drängen sich vor provisorischen Absperrungen an der Grenze

Auch wenn im Moment die Zahlen überschaubar seien, „müsste man ein Prophet sein“, um genau sagen zu können, wie es weitergeht. Marban verweist auf die zahlreichen nach wie vor akuten Krisenherde im Nahen Osten. Viel hänge auch von weltpolitischen Entscheidungen ab, außerhalb des Einflussbereichs der Polizei.

„Stoßzeit“ für viele Tagespendler

Kontrolliert wird auch in Klingenbach, etwa 70 Kilometer oder eine Autostunde entfernt und neben Nickelsdorf und Heiligenkreuz im Süden einem der drei Hauptgrenzübergänge im Burgenland. An besagtem Mittwoch versehen dort drei Polizeibeamte ihren Dienst, der Pkw-Verkehr reißt – auch an einem Wochentag am frühen Nachmittag – kaum ab. Ausweise werden aber nicht lückenlos geprüft. „Permanent, aber stichprobenartig“ und „lageangepasst“, erklärt Oberstleutnant Marban.

Grenzkontrolle am Übergang Klingenbach
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Klingenbach: Auch außerhalb der „Stoßzeit“ reißt die Kolonne kaum ab. Kontrolliert wird immer, aber nur stichprobenartig.

Würde lückenlos kontrolliert, würde das wahrscheinlich sehr rasch zu Verzögerungen führen, lässt das Verkehrsaufkommen erahnen. An Wochenenden staut es sich zumindest in Nickelsdorf regelmäßig bei der Einreise nach Österreich. „Stoßzeit“ sei in Klingenbach zwischen 4.00 und 8.00 Uhr, erläutert ein Beamter, wenn vor allem die vielen Tagespendler über die Grenze nach Österreich kommen. Am Nachmittag sind viele österreichische Ausflügler unterwegs.

Die grüne Grenze und der Sinn von Kontrollen

Eine Frage, die immer wieder auftaucht, nicht nur im Burgenland, sondern etwa auch an der südsteirischen Weinstraße, ist die nach dem Sinn punktueller Kontrollen, wenn die grüne Grenze scheinbar problemlos passiert werden kann. Bei Spielfeld steht noch der Grenzzaun, der bei seiner Errichtung viele Debatten ausgelöst hatte, etwa neben dem kleinen Grenzübergang Zieregg. Dort verläuft er über einen guten Teil durch Wald und unwegsames Gelände und ist mittlerweile verwachsen. Anderswo gibt es keine Zäune.

Grenzzaun im Wald bei Spielfeld
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Der Grenzzaun beim Placki vrh, dem Platschberg, nahe Spielfeld und der südsteirischen Weinstraße auf slowenischer Seite

Maßgebliche Unterstützung erhält die Polizei durch das Bundesheer, das seit 2015 wieder zurück im Assistenzeinsatz ist. Die Soldaten stehen direkt an der Grenze, hauptsächlich an Straßenverbindungen von und nach Ungarn und (in der Südsteiermark) nach Slowenien, sind aber auch im Hinterland unterwegs. Insgesamt seien es an die 70 Grenzübergänge von groß bis klein über eine Länge von etwa 350 Kilometern, die man gemeinsam mit der Polizei überwache, schildert Oberst Raimund Wrana, Stabschef und stellvertretender Militärkommandant für das Burgenland, im Gespräch mit ORF.at.

Anders als nach 1990

Das Schlagwort laute „grenznah“, erklärt Wrana, überwacht werde aber auch „in der Tiefe“, wie es im Militärjargon heißt, etwa an der Grenze zur Slowakei. Dort gilt Schengen, das heißt, es gibt aktuell keine Kontrollen im herkömmlichen Sinn. Auch die Beobachtungsposten wie im ersten Assistenzeinsatz zwischen 1990 und 2011 gibt es noch immer, wenn auch weniger davon und sie nicht permanent besetzt sind. Dafür würden heute zusätzlich technische Mittel eingesetzt, vom Nachtsichtgerät über die Wärmebildkamera bis hin zu Radarsystemen. Zuletzt seien bundesweit 855 Soldaten im Assistenzeinsatz gewesen, davon 431 im Burgenland: 222 Milizsoldaten, 270 Grundwehrdiener und 363 Aktive, wie Wrana vorrechnet. Vor 2011 standen über 2.000 Mann an den Grenzen.

Grenzsoldaten in Nickelsdorf
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Posten an der alten Straße (P71) neben der A4 in Nickelsdorf

Seither hat sich auch einiges am Einsatz geändert, nicht nur die Zahl der Soldaten im Einsatz. Die grüne Grenze sei in den Hintergrund getreten, erklärt Wrana. Heute versuchten zumeist größere Gruppen mit Hilfe von Schleppern über die Grenze zu kommen. Das passiere vor allem auf der Straße, heißt es auch von der Polizei. Es gebe derzeit keine größeren Gruppen, „die sich selbst auf den Weg machen“ und versuchten, über die grüne Grenze zu gelangen. „Sich-Durchschlagen durch Felder und durch Wälder, das passiert nicht mehr“, so Wrana. Der Versuch erfolge in der Regel organisiert, meist handle es sich um größere Gruppen von zwölf bis 22 Personen. Trotzdem wird auch die grüne Grenze überwacht, allerdings nur schwerpunktmäßig. „Mehr geht mit dieser Stärke nicht.“

Was das Heer darf und tut

Stichwort Überwachung und Grenzkontrollen: Das Bundesheer führe keine Grenzkontrollen im eigentlichen Sinn durch, betont der Oberst. Es sei nicht Aufgabe des Heeres, Visa und dergleichen zu prüfen. Es gehe rein um die Feststellung der Identität. Fahrzeuge würden lediglich „im Fall eines Verdachtsmomentes“ kontrolliert.

Oberst Raimund Wrana
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Wrana: Grüne Grenze steht heute nicht mehr im Fokus

Das Heer hat ein Anhalterecht auf Basis des Fremdenpolizeigesetzes. „Wenn die Identität zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist die Sache für uns erledigt", so Wrana. Erhärtet sich ein Verdacht, wird die Polizei verständigt, die die weiteren Erhebungen durchführt.“

Trotzdem sei oft von Grenzkontrollen durch das Heer die Rede, weil das subjektiv so wahrgenommen werde und es dem Betroffenen „egal, ob die Uniform grün oder blau ist“. Beschwerden über die Kontrollen gebe es aber so gut wie keine, heißt es auch von der Polizei. Ein ähnliches Ergebnis brachten kurze „Umfragen“ an Ort und Stelle dazu.

Ein umstrittener Ausnahmefall

Seinen rechtlichen Auftrag hat das Bundesheer von der Behörde, im konkreten Fall der LPD Burgenland. Die Umsetzung ist Sache des Militärkommandos. „Der Behördenauftrag ist ein Unterstützen der Grenzkontrollen.“ Die Einsatzbefehle würden basierend auf diesen Auftrag erteilt, „so funktioniert das System“, erklärt Wrana. Auch anders als früher im Assistenzeinsatz: Das Sturmgewehr (STG77), früher Standardwaffe an der Grenze, bleibt heute in den Stützpunkten verstaut. Die Soldaten sind „nur“ mit Pistole bewaffnet – die sei für die Erfüllung ihres Auftrags besser geeignet, wie der Oberst erklärt. Außerdem versehen Soldaten heute bereits nach drei Monaten Ausbildung Dienst an der Grenze. Früher war das erst später möglich.

Polizist kontrolliert die Ladung eines LKW
ORF.at/Christian Öser
Kontrolle eines Lkw bei der Einreise nach Österreich

Für die Polizei sind laut Oberstleutnant Marban pro Tag zwischen 120 und 130 Beamte und Beamtinnen im Burgenland in Zwölfstundenschichten „mit Aufgaben im Grenzdienst befasst“: an den großen und kleinen Grenzübergängen und bei „Ausgleichsmaßnahmen“ als Alternative im Hinterland.

Für die Grenzkontrollen wurde das (von Österreich 1995 ratifizierte) Schengener Abkommen über den freien Personenverkehr bisher mehrfach außer Kraft gesetzt – zuletzt bis zum 12. November 2019. Bedingung dafür ist, dass ein Land seine öffentliche Ordnung bzw. innere Sicherheit gefährdet sieht. Die Fortsetzung der Kontrollen ist politisch umstritten.