Britischer Pfund
Reuters/Leonhard Foeger
Wirtschaft verunsichert

Der Brexit und die „verbrannten“ Milliarden

Die Verunsicherung der britischen Wirtschaft ist groß: Die Aussicht auf einen Brexit ohne Vertrag bremst Investitionen britischer Unternehmen. Milliarden könnten für einen „No Deal“-Brexit, der so vielleicht gar nicht stattfinden wird, quasi „verbrannt“ werden. Denn die Unternehmen wappnen sich mit milliardenschweren Vorsichtsmaßnahmen für einen ungeregelten EU-Austritt, wie der britische Industrieverband CBI am Donnerstag erklärte.

„Bis eine Vereinbarung getroffen ist, werden die Unternehmen weiter Milliarden Pfund aus Investitionen in die Produktion abziehen und stattdessen in No-Deal-Vorbereitungen stecken“, sagte CBI-Geschäftsführerin Carolyn Fairbairn: „Und internationale Investoren werden weiterhin infrage stellen, ob Großbritannien ein stabiler, offener Ort ist, um Geschäfte zu machen.“

Es zeigt sich bereits, dass die britische Wirtschaft – die fünftgrößte weltweit – schwächelt und in eine Rezession rutschen könnte. Die Industrieproduktion ist einer Umfrage des Handelsverbandes Make UK zufolge im Abschwung, da Aufträge und Investitionen wegen der weltweiten Konjunkturflaute und des Brexits ausbleiben. Auch der Kurs des britischen Pfunds zeigt ungesunde Ausschläge.

Britischer premierminister Boris Johnson in Dover
APA/AFP/Chris Ratcliffe
Der britische Premier Boris Johnson informiert sich bei einer Visite in Dover über die Brexit-Vorbereitungen

Johnson verspricht zwei Brexit-Milliarden

Die britische Regierung von Premierminister Boris Johnson kündigte zur Bewältigung der Brexit-Folgen zusätzliche Ausgaben in Höhe von zwei Milliarden Pfund (2,2 Mrd. Euro) an. Die Gelder sollen etwa in den Grenzschutz und die Hafeninfrastruktur fließen. Mitten im Brexit-Showdown im Parlament verkündete die britische Regierung auch ein Ende der jahrelangen Sparpolitik im Königreich.

Finanzminister Sajid Javid versprach am Mittwoch bei der Vorstellung der Haushaltspläne mehr Geld „für die Prioritäten der Menschen“. So wolle er die staatlichen Ausgaben für das Gesundheits- und Bildungswesen stark erhöhen. Zudem solle die Zahl der Polizisten auf den Straßen des Landes erhöht werden.

„Wir können jetzt ein neues Kapitel aufschlagen und die Sparpolitik hinter uns lassen“, sagte Javid bei der Vorstellung der Regierungspläne für den Haushalt 2020/21 im Parlament. „Wir können von einem Jahrzehnt der Erholung in ein Jahrzehnt der Erneuerung schreiten.“ Konkret versprach der Finanzminister unter anderem 20.000 neue Stellen bei der Polizei, sowie 6,2 Milliarden Pfund (6,85 Milliarden Euro) zusätzlich für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS.

Zentralbank stärkt Johnson den Rücken

Javids Rede wurde von oppositionellen Abgeordneten immer wieder mit Spott und Buhrufen bedacht. Sie warfen der Regierung vor, jetzt schon mit dem Wahlkampf für eine mögliche vorgezogene Neuwahl zu beginnen.

Rückenwind bekam Johnson für seinen Kurs durch die britische Zentralbank. Diese erklärte, die Risiken eines „No Deal“-Brexits wären inzwischen „weniger schlimm“ als bisher gedacht, weil die Vorbereitungen verbessert worden seien. Auch die EU-Kommission verstärkte ihre Vorbereitungen. Für den „No Deal“-Fall stellte sie 780 Millionen Euro an Finanzhilfen für die Mitgliedsstaaten bereit.

UNO: Mindestens 16 Mrd. Exportverlust für Briten

Ein Brexit ohne Austrittsabkommen führt einer UNO-Untersuchung zufolge zu Exportverlusten von mindestens 16 Milliarden Dollar in Großbritannien. Allerdings dürfte der Schaden wahrscheinlich noch viel größer ausfallen, da indirekte Auswirkungen dazukommen dürften, heißt es in einem Bericht der UNO-Handelsorganisation UNCTAD von Mittwoch.

Für den Fall eines ungeregelten Brexits plant die Europäische Kommission Finanzhilfen für die EU-Mitgliedsstaaten. Die Behörde erstellte nach AFP-Informationen vom Montag dazu einen Änderungsvorschlag für den EU-Solidaritätsfonds, der eigentlich für Naturkatastrophen geschaffen wurde.

Über ihn sollten Mitgliedsstaaten künftig auch Unterstützung erhalten können, um die „hohen finanziellen Belastungen“ im Falle eines Brexits ohne Vertrag zu bewältigen, hieß es in einer Zusammenfassung des Vorhabens. Der Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF) wurde nach den schweren Überschwemmungen in Mitteleuropa im Sommer 2002 geschaffen. Seitdem wurde der Fonds in rund 80 Katastrophenfällen in Anspruch genommen, darunter auch Waldbrände, Erdbeben, Stürme und Dürren. Der Kommission zufolge wurden bisher rund fünf Milliarden Euro über den Fonds ausgezahlt. Zuletzt stand jährlich rund eine halbe Milliarde Euro bereit.