Schüler der NMS Liefering: Why war Rap
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Ars Electronica

Aufwachsen im „Fake News“-Zeitalter

Das Ars Electronica Festival in Linz widmet sich heuer der Midlife-Crisis des digitalen Zeitalters. Künstliche Intelligenz, virtuelle Realität und die Debatten über „Fake News“ und Klimaschutz stehen im Vordergrund. Dabei bringen sich vor allem auch die Jungen und Jüngsten ein – was Hoffnung für die Zukunft macht.

Ein wenig erinnert die Ars Electronica jedes Jahr an einen mittelalterlichen Jahrmarkt. Allerorten quietscht und düdelt es, Menschen scharen sich um die neuesten Attraktionen, Kraftprotze zeigen, was sie zu bieten haben, in einer finsteren Ecke stehen selbst ernannte Propheten und kündigen den Weltuntergang an, und irgendwo wuseln die Kinder herum, sie lassen ihrem Spieltrieb freien Lauf.

Bei der Ars Electronica fängt es dystopisch an, die graue, dunkle Rampe zur abbruchreifen ehemaligen Logistikhalle der Post verheißt nichts Gutes. Doch gleich hebt sich die Stimmung, von rechts kommt Kaffeegeruch aus der Kantine und links flaniert man an der VR-Welt vorbei, wo ein Mädchen mit Headset auf einem Hometrainer durch eine fremde Stadt radelt, zwei Burschen in der Hängematte gamen und ein paar Meter weiter jemand mit zwei Joysticks und Datenbrille herumhüpft, als würde er wirklich um sein Leben kämpfen. Hier herrscht der aufgekratzte Spirit japanischer VR-Hallen.

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Künstlergruppe Q.R*3: “Trans*Plant: Connecting with Mycorrhiza Intranet“
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Künstlergruppe Q.R*3: “Trans*Plant: Connecting with Mycorrhiza Intranet“; wenn Messgeräte Daten von Pflanzen übermitteln, kann man diese Daten in Signale umwandeln; so spricht die Natur zu uns
Constanza Pina: “Khipu"
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Constanza Pinas „Khipu“ ist ein Open-Source-Elektro-Textilcomputer; astronomische Khipus waren technische Instrumente der Inkas; hier werden sie auf ein Zitat von Pythagoras bezogen: „Es gibt eine Geometrie im Summen der Saiten. Es gibt Musik im Zwischenraum der Sphären.“
So Kanno: „Lazermice"
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So Kanno: „Lasermice“; die Laser-Mäuse sind auf Schwarmverhalten programmiert; ob sie sich gegenseitig abschießen oder kooperieren, ist auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich
Roxolana Roslak, Opernsängerin und Weggefährtin des Jahrhundertpianisten Glenn Gould; aus einer Doku der Yamaha Foundation
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Die Yamaha Foundation hat eine Künstliche Intelligenz programmiert, die im Stile Glenn Goulds Klavierspielen kann. Zu Tränen gerührt hat das Roxolana Roslak, Opernsängerin und Weggefährtin des Jahrhundertpianisten.
Ai-Da: Laut Herstellern die erste „ultrarealistische“ Roboterkünstlerin der Welt
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Ai-Da: Laut Herstellern die erste „ultrarealistische“ Roboterkünstlerin der Welt. Rein künstlerisch gesehen müssen humane Künstlerinnen noch nicht um ihre Jobs zittern.
Thom Kubli mit der Künstlergruppe ZHAW und Sven Hirsch: „Radiosands“
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Thom Kubli mit der Künstlergruppe ZHAW und Sven Hirsch: „Radiosands“: Radioroboter, die lokale Radiosignale auf algorithmisch berechnete Schlagworte scannen und daraus eine Soundinstallation machen; aus Überwachungstechnologie wird Kunst
C-Lab – Howard Boland, Laura Cinti: “Living Mirror"
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Howard Bolands und Laura Cintis „Living Mirror“ ist ein interaktives Bio-Display, das magnetische Bakterien, Elektronik und Photomanipulationen vereint
Ronan Barrot, Robbie Barrat: “ArtJaws AI"
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„ArtJaws AI“: Robbie Barrat programmierte eine Künstliche Intelligenz darauf, so zu malen wie der Künstler Ronan Barrot. Das Ergebnis ist überzeugend.
Ars Electronica: “Covfefe"
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Slogans, Slogans, Slogans bei der Ars Electronica, auch die Kult-Twittermeldung „Covfefe“ von Donald Trump darf nicht fehlen

Nur mal schnell die Welt retten

Dann wieder eine Rampe, dorthin, wo über breite Rutschen früher Pakete transportiert wurden. Kindergarten- und Volksschulkids rutschen, was das Zeug hält, sie haben ihre Hauptattraktion gefunden. Rundherum sind jene Projekte junger Menschen angeordnet, die bereits im Vorfeld von der Ars Electronica prämiert wurden. Man merkt: Es wird an den Schulen durch engagierte Lehrerinnen und Lehrer Bewusstsein geschaffen für gesellschaftspolitische und ökologische Themen von Relevanz. Und die Älteren greifen das dann auch ganz von selbst auf.

Einer davon ist Christoph Grubits, Schüler der Fachhochschule St. Pölten im dritten Semester der Masterklasse Audiodesign. Er will Tontechniker werden, vor allem Interviews akustisch zu perfektionieren ist seine Passion. Folgerichtig hat er gar nicht so wenige Menschen im Alltag zum Thema Klimawandel interviewt. Sie sollten sagen, was sie bewegt. Diese Snippets aus dem Umweltalltag muss man durchhören, will man „Earth“ gewinnen und ihr die bunten Farben zurückgeben.

Christoph Grubits, Schüler der Fachhochschule St. Pölten, Masterklasse Audiodesign, 3. Semester
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Christoph Grubits, Schüler der Fachhochschule St. Pölten im dritten Semester der Masterklasse Audiodesign, hat ein „Fake oder Fakt“-Spiel zum Klimawandel entworfen

Die Lügenmaschine

Ein Mann empört sich da etwa, es könne doch nicht sein, dass fleischlose Ernährung so teuer sei. Eine junge Frau erklärt, ihr Motto sei es, so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Wieder eine andere geht auf den Hauptpunkt der Debatte ein. Sind nun die Konzerne – getrieben von aktiver Klimapolitik – am Zug oder die Konsumenten? Sie hat eine pragmatische Antwort parat: Da von der einen Seite zu wenig kommt, und das zu langsam, müsste man eben als Konsumentin Zeichen setzen.

Zu jedem Thema hört man sich auch durch eine Sammlung wissenschaftlicher Fakten – und muss dann das richtige Match zum jeweiligen Interview finden. Manches von dem, was da Grubits ins Mikro geredet wurde, wird dadurch untermauert, anderes relativiert, und zwar so smart, wie man es nur selten liest. Bio, heißt es da etwa, elaboriert erklärt, diene sehr oft nur der Gewissensberuhigung. Das, so Grubits, sehe man an der SUV-Sammlung auf den Parkplätzen vor Biosupermärkten.

„Hirn einschalten!“

Grubits sagt, es helfe alles nichts, solange die Menschen sich nicht aktiv entscheiden würden, das Hirn einzuschalten und Quellen kritisch zu hinterfragen. Dazu muss schon bei den jüngsten Bewusstsein geschaffen werden, sonst kopieren die wieder nur die „Wird schon“-Attitüde der Eltern. „Fake News“ zu erkennen, sich nicht so leicht betrügen zu lassen durch Industrielobbys auf der einen und Pseudo-Öko-Gurus auf der anderen Seite, scheint die größte Challenge der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Man kann nur hoffen, dass viele die Herausforderung so beherzt annehmen wie Grubits.

Schülerinnen der NMS Liefering: “Why war Rap"
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Im Wahlpflichtfach „CyberWerkstatt“ an der Neuen Mittelschule (NMS) Liefering wurden Schülerinnen und Schüler mit dem Schicksal von Flüchtlingen konfrontiert, haben deren Perspektive übernommen und darüber gerappt

„Überall Blut, Menschen mit Wunden“

Nächstes Projekt, nächstes „Fake News“-anfälliges Thema: Flucht und Asyl. Schülerinnen und Schüler der Neuen Mittelschule Liefering wurden mit dem Schicksal von Flüchtlingen konfrontiert – so sie nicht ohnehin selbst Fluchterfahrung hatten – und wurden dann dabei unterstützt, zum Thema zu rappen. Wenig berührt so sehr, wie plötzlich die Stimmen jener zu hören, die man 2015 als Kinder im Fernsehen gesehen hat, deren Existenz vom Online-Mob damals geleugnet wurde, weil ja angeblich nur junge Männer gekommen sind, die es sich wirtschaftlich verbessern wollten.

Jetzt sind sie Jugendliche. Und in ihrem Namen rappen die Kids der NMS: „Überall Blut, Menschen mit Wunden – ich hab’ meine Familie nicht mehr gefunden“ und „Überall nur noch Waffen – egal wo man hingeht in den Straßen – alles voller Blut“. Jugendliche machen hier für andere Jugendlich das Schicksal von Jugendlichen nachvollziehbar und entreißen sie so dem Ausgeliefertsein der herzlosen Ignoranz, die – getrieben von der Lust nach Action im Kulturkampf der Nationen und von Gier – vielleicht mancherorts im Elternhaus (und von Politikern) vermittelt wird.

Kreislauf aus Datenklau und Datenverfütterung

Wieder andere Kids (NMS Hittisau) inszenieren einen Prozess gegen die großen Datenklauer („Digitaler Mordversuch“), gegen Konzerne, die ihre Produkte gerne als die Zepter eines gelungenen Feel-good-be-good-Lifestyles verkaufen, deren Algorithmen aber in Wahrheit gnadenlos das Datengras abmähen und als Humus für Werbung verwenden, die sie dann wiederum beinhart durchkalkuliert an ihre Userschaft ausspielen, ein ewiger Kreislauf aus Datenklau und Datenverfüttern mit dem einzigen Zweck der Gewinnmaximierung, getarnt als digitaler Altruismus.

Das so trotzig und gleichzeitig lieb vorgeführt zu bekommen von jungen Menschen ist eine Wohltat. Es gibt da draußen mehr als Fortnite und YouTube, auch in den Kinder- und Jugendzimmern. Da schallt es sarkastisch in Kinderstimme aus dem Screen: „Wir haben es geschafft, wir können sie ausspionieren und ihre Daten klauen. Hahahaha!“ Wieder andere haben in einem kurzen Spielfilm „Die Welle“ auf heutige Zeiten umgelegt. Die böse Faschistenpartei heißt da passenderweise NLP.

Benjamin Aster: Plottegoino
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Benjamin Aster: „Plottegoino“; ein Plotter aus Legosteinen – so kindlich entstehen Messages; die Kids sind fasziniert

Glenn Gould, wiederauferstanden

Abseits der jungen Schiene dominieren heuer die Themen Schwarmintelligenz („Lasermice“, siehe Slideshow), Virtual Reality (alles dreht sich, alles bewegt sich) und Artificial Intelligence. Ein überaus berührendes und faszinierendes Projekt zu letzterem Thema präsentiert die Yamaha Foundation. Sie hat in jahrelanger Kleinarbeit einer künstlichen Intelligenz beigebracht, so Klavier zu spielen, wie der verstorbene Jahrhundertpianist Glenn Gould.

Hinweis

Die Ars Electronica findet noch bis inkl. Montag in der Post City Linz (neben dem Hauptbahnhof) von 10.00 Uhr bis 19.30 Uhr statt und wird von zahlreichen Veranstaltungen an unterschiedlichen Locations (auch am späteren Abend) begleitet.

Dann haben sie seine Interpretation von Stücken, die der echte Gould eigentlich nie gespielt hat, engen Wegbegleitern vorgespielt. Man sieht eine Opernsängerin, der zuerst die Kinnlade herunterfällt, und dann muss sie weinen. Denn durch sein einzigartiges, schräges Klavierspiel hat Gould damals seine Persönlichkeit offenbart. Und die war plötzlich wieder da, wie ein Gruß aus dem Jenseits.

Midlife-Crisis, halb so wild

Sie emotional berührbar zu machen ist die Klammer rund um viele der Projekte bei der Ars Electronica. Denn die Durchpragmatisierung der Welt durch neue Technologien hinterlässt eine Lücke, die dann schnell einmal mit „Fake News“-getriebener Pseudoempörung gefüllt wird. Aber die digitale Welt ist auch in Zeiten ihrer Midlife-Crisis per se keine kalte, sondern immer genauso wohl oder unwohl temperiert wie die Menschen, die sie programmieren. In dieser Hinsicht darf man sich freuen, wenn die kommende Generation übernimmt. Das ist die Erkenntnis der heurigen Ars.