Ursula Stenzel, 2015
APA/Herbert Pfarrhofer
FPÖ-Stadträtin

Stenzel bei Rechtsextremen-Aufmarsch

Die nicht amtsführende Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel ist Samstagabend bei einem Aufmarsch der rechtsextremen Identitären in der Wiener Innenstadt aufgetreten. Die ÖVP forderte daraufhin am Sonntag den Rücktritt Stenzels.

Das berichteten zunächst mehrere Userinnen und User auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Auch die APA und die Website Oe24.at berichteten über Stenzels Auftritt. Stenzel habe sich unter die Rechtsextremen begeben und eine Fackel getragen. Außerdem hielt sie eine Rede, in der sie sich unter anderem beklagte, dass der Aufmarsch seitens der Polizei vom Kahlenberg in die Innenstadt verlegt wurde.

Die frühere ÖVP-Europaabgeordnete verwies in diesem Zusammenhang auch auf die jüngsten Aussagen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die EU in der Flüchtlingsfrage „unter Druck setzt“. Das sei „ein Symptom für die Bedenkenlosigkeit vieler europäischer Regierungen“, mahnte die FPÖ-Politikerin.

Gegenproteste: „Kein Recht auf Nazi-Propaganda“

Gegendemonstrantinnen und -demonstranten protestierten gegen die Rechtsextremen und skandierten unter anderem: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“. Laut Polizei nahmen 200 bis 300 Personen an der Veranstaltung der Rechtsextremen teil. Es habe keine Vorfälle gegeben, an der Gegendemonstration hätten 80 Menschen teilgenommen. Nachdem sich die Demonstranten zunächst an der Mölker Bastei versammelt hatten, fand am späten Abend die Abschlusskundgebung am Karl-Lueger-Platz, statt.

Der Journalist und Autor eines kritischen Buches über die FPÖ, Michael Bonvalot, verfolgte den Aufmarsch und berichtete auf Twitter laufend darüber – so auch über Stenzels Ansprache:

Auch Anhänger der Identitären posteten zum Aufmarsch. Die Spitzenkandidatin der burgenländischen Grünen, Irmi Salzer, postete eine Audioaufnahme eines Teils von Stenzels Rede:

Querschlag für FPÖ-Wahltaktik

Stenzels Auftritt bei den Rechtsextremen kommt für ihre Partei, die FPÖ, denkbar ungelegen. Die Freiheitlichen versuchen sich – nach dem Aufkündigen der Koalition durch die ÖVP wegen der „Ibiza-Affäre“ – im Wahlkampf gerade wieder für die Volkspartei als Koalitionspartner anzudienen.

Nächster „Einzelfall“

Der neue FPÖ-Parteichef Norbert Hofer hat sich selbst in den letzten Wochen von den Rechtsextremen distanziert und angekündigt, künftig bei rechtsextremen „Ausrutschern“ radikaler durchgreifen zu wollen. So kündigte er an, sich vom FPÖ-Parteitag am 14. September ein Durchgriffsrecht bei Parteiausschlüssen geben zu lassen. Während der eineinhalb Jahre ÖVP-FPÖ-Koalition hatte es immer wieder rechtsextreme, rassistische und nationalistische Sager von FPÖ-Funktionären gegeben, die von ÖVP und FPÖ jeweils zu „Einzelfällen“ erklärt wurden. Am meisten in Erinnerung ist wohl das „Rattengedicht“ des in der Folge zurückgetretenen Braunauer FPÖ-Vizebürgermeisters Christian Schilcher.

Hofer wirbt in rechtsextremem Blatt

Die FPÖ hatte sich nach dem Christchurch-Attentat in Neuseeland – der Attentäter hatte E-Mail-Kontakt mit dem Identitären-Chef und spendete den Identitären Geld – um eine Abgrenzung und Distanzierung bemüht. Auch zwei Mietverhältnisse, die zuvor kein Problem darstellten, wurden aufgelöst. Hofer betonte im April im Magazin „News“ auf die Frage nach der Abgrenzung zu den Identitären, es sei „für mich unvorstellbar, dass jemand, der bei uns aktiv ist – egal auf welcher Ebene –, sagt: ‚Ich spende etwas oder ich gehe zu einer Veranstaltung oder Demo.‘“

Eine klare Trennlinie zu den Rechtsextremen hat die FPÖ bisher jedenfalls nicht gezogen. So kritisierte die NGO SOS Mitmensch erst diese Woche, dass die FPÖ ein ganzseitiges Inserat mit Hofer im rechtsextremen Magazin „Info-Direkt“ geschaltet habe.

Heinz Christian Strache, Ursula Stenzel und Norbert Hofer, 2016
APA/Robert Jaeger
Stenzel 2016 während der Bundespräsidentenwahl mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (l.) und Hofer

Aus FPÖ-Kreisen hieß es laut APA am Samstagabend, die Partei habe mit der Veranstaltung „nichts zu tun“. Dabei wurde auch in Zweifel gezogen, dass es sich um eine Identitären-Veranstaltung handle. Es fände nämlich jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung zur Türkenbelagerung statt, und möglicherweise hätten sich neben Identitären auch Türken daran beteiligt, hieß es ironisch.

ÖVP-Generalsekretär fordert Rücktritt

Am Sonntag forderte ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer den Rücktritt Stenzels. „Der Auftritt der FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei den rechtsextremen Identitären ist inakzeptabel. Parteichef Norbert Hofer kann nun unter Beweis stellen, wie ernst es ihm mit dem Durchgriffsrecht in seiner Partei ist. Wir erwarten uns den Ausschluss von Ursula Stenzel aus der FPÖ und ihren Rücktritt“, so Nehammer in einer Aussendung.

Die ÖVP hatte zuletzt immer mehr Skepsis bezüglich einer möglichen Neuauflage des bisherigen Bündnisses zu erkennen gegeben und der FPÖ jedenfalls verschiedene Auflagen gemacht. So will die ÖVP das Vereinsgesetz so ändern, dass die Identitären verboten werden. Diese Forderung wiederholte Nehammer am Sonntag ebenso wie die Auflösung der rechtsextremen Identitären: „Wir fordern, dass die Identitären aufgelöst werden können. Wir müssen zum Schutz unserer Gesellschaft hart gegen radikale und extremistische Bewegungen vorgehen“, so Nehammer.

Ein Verbot wird allerdings nicht nur von der FPÖ abgelehnt. Es gibt auch von Expertinnen und Experten verfassungsrechtliche Bedenken. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Justizminister Clemens Jabloner zeigten sich skeptisch. Innerhalb der ÖVP soll – so berichteten mehrere Medien, darunter auch die „Presse“, zuletzt – der Widerstand gegen eine Neuauflage der Koalition mit der FPÖ stark gestiegen sein.

Scharfe Kritik von Wiener SPÖ, JETZT und NEOS

Auch die Wiener SPÖ kritisierte den Auftritt Stenzels. Die FPÖ zeige damit, dass sie „nicht regierungsfähig“ sei, so Landesparteisekretärin Barbara Novak. „Rechtsextreme und antidemokratische Ideologien“ hätten „in Wien einfach nichts verloren“, so Novak. Sie forderte einen Rücktritt Stenzels. JETZT-Gründer Peter Pilz schrieb unterdessen in einer Aussendung, dass FPÖ-Chef Hofer „die Kontrolle über die FPÖ verloren“ habe. NEOS-Wien-Klubobmann Christoph Wiederkehr forderte ebenfalls den Rücktritt Stenzels: „Wer mit den Rechtsextremen marschiert und dort auch noch Reden hält, hat in der Politik nichts verloren“, so Wiederkehr.

Vilimsky: Vorwurf der Nähe zu Identitären „absurd“

Ganz anders sieht den Auftritt Stenzels die FPÖ. In einer Aussendung bezeichnete Generalsekretär Harald Vilimsky den Vorwurf der Nähe zu den rechtsextremen Identitären gegenüber Stenzel als „absurd“. „Richtig“ sei nur, dass Stenzel an der Veranstaltung teilnahm und dort das Wort ergriffen habe. „Alles andere“ sei „böswillige Unterstellung“, so Vilimsky. Auf die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer habe Stenzel „nicht den geringsten Einfluss“ gehabt.

Ideologische Gemeinschaft mit Christchurch-Attentäter

Hintergrund für den Rechtsextremen-Aufmarsch am Samstag ist die Erinnerung an den Sieg über das Osmanische Reich im Jahr 1683 und das Ende der Belagerung Wiens. Sie wird von Rechtsextremen weltweit hochgehalten, unter anderem vom norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik und dem Christchurch-Attentäter.

Der Aufmarsch der Rechtsextremen war vom Kahlenberg, wo die entscheidende Schlacht zwischen den osmanischen Truppen und dem deutsch-polnischen Entsatzheer stattfand, in die Innenstadt verlegt worden. Die Polizei berichtete zuvor von einem Zwischenfall: Gegendemonstrantinnen und -demonstranten hätten Wanderer für Teilnehmer des Identitären-Aufmarsches gehalten. Details zu dem Vorfall gab es zunächst keine.