Ankathie Koi
Johannes Jelinek
Ankathie Koi

Exzentrik, Pop und goldenes Handwerk

Ankathie Koi gehört zu den schillerndsten Figuren der österreichischen Musikszene. Mit „Prominent Libido“ legt die aus Bayern stammende Wahlwienerin nun ihr zweites Soloalbum vor. In zehn Tracks bewegt sich die Künstlerin frei durch die vielen Spielarten des Pop, mal verträumt, mal tanzbar, und stets mit einem Schuss Exzentrik.

Wer an zeitgenössischen exzentrischen Pop aus Österreich denkt, dem kommt wohl als Erstes Tom Neuwirth alias Conchita Wurst in den Sinn. Die Diva mit Vollbart und Hang zur Extravaganz hat das Spiel mit Geschlechterrollen und -klischees zur Perfektion gebracht. Mit dem Gewinn des Song Contests 2014 stieg Neuwirth, der sein künstlerisches Alter Ego mittlerweile in Conchita und Wurst getrennt hat, zur Ikone der weltweiten LGBTI-Bewegung auf.

Kathie Winklbauer, wie Ankathie Koi bürgerlich heißt, macht ganz andere Musik als Neuwirth. Ihr Faible für die Klangwelten der 1980er Jahre und der damit verbundene Einsatz alter Synthesizer verleihen ihren Songs einen gewissen Retrocharme. Über den Synthieflächen bewegt sich die Drei-Oktaven-Stimme der studierten Jazzsängerin von rauen, wilden Tiefen in zerbrechliche Höhen; facettenreich, aber stets wiedererkennbar. Auch was die Mode betrifft, lässt Koi die 80er hochleben – was beim hautengen Latexeinteiler beginnt und bei der Frisur, irgendwo zwischen Vokuhila und Nena zu „99 Luftballons“-Zeiten, endet.

In Sachen Exzentrik sind Koi und Neuwirth dafür Schwester und Bruder im Geiste. Abseits der Bühne verbindet die beiden – wenig überraschend – eine tiefe Freundschaft. Koi trat bei Conchitas Geburtstagsgala im Wiener MuseumsQuartier auf und vermittelte der Diva einen Modeschöpfer, der ihr einen Catsuit im Discokugellook auf den Leib schneiderte. Und noch eine Parallele gebe es, wie Koi im ORF.at-Interview erklärt: „Wir kommen beide vom Land, er vom oberösterreichischen, ich vom bayrischen. Da ist man irgendwie ähnlich. Diese ländliche Herzlichkeit haben wir beide, verbunden mit dieser großstädtischen Superexzentrik.“

Der Hass auf Störgeräusche

Koi wuchs in Burghausen unweit der österreichischen Grenze auf. Die Kleinstadt mit ihren 25.000 Bewohnerinnen und Bewohnern rühmt sich mit der längsten Burganlage der Welt und der internationalen Jazzwoche, die alljährlich stattfindet. Alles eh sehr schön – zwischen 19 und 21 Jahren werde einem freilich „kurz langweilig“ in der pittoresken Gemeinde an der Salzach, wie Koi sagt.

Szene aus dem Video „Cats & Diamonds“ von Ankathie Koi
Sarah Kreuz
Grelle Farben, sexy Katzen und Ankathie Koi am Steuer: Szene aus dem Musikvideo zu „Cats & Diamonds“

So zog die Bayerin 2003 zum Jazzstudium nach Linz. Später verschlug es sie nach Wien, wo sie mit Judith Filimonova das Popduo Fijuka gründete, das sich mit energetischen Liveshows rasch einen Namen machte. 2016 kuratierte Koi gemeinsam mit dem „Falter“-Journalisten Gerhard Stöger das Popfest Wien, ein Jahr später brachte sie ihr erstes Soloalbum „I Hate The Way You Chew“ heraus.

In den Songs verarbeitete sie ihre Misophonie. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Intoleranz gegen gewisse alltägliche Geräusche. Das „geräuschvolle Kauen“ ihrer Schwester etwa habe sie zum Wahnsinn getrieben, vertraute die Künstlerin einmal der „Presse“ an. Die musikalische Beschäftigung mit der eigenen Leidensgeschichte fiel äußerst tanzbar aus. Störende Kau- und Kratzgeräusche sind auf dem Album nicht zu finden, dafür allerhand abstrakte Klänge aus Keyboard und Synthesizer.

Alptraumurlaub als Inspiration

Musikalisch und thematisch ist „Prominent Libido“ breiter aufgestellt als sein Vorgänger. Tanzbaren Tracks mit 80er-Flair wie „Cats & Diamonds“, „Adriana“ und „With my Naked Eyes“ stehen Dreampopballaden wie „Anna is Free“ und der Lamourhatscher „The Light“ gegenüber. Auf „Shanghai Mazes“ gibt es Reggaerhythmen und Timbalesolos zu hören.

Albumhinweis

„Prominent Libido“ von Ankathie Koi ist bei Radicalis erschienen. Live zu sehen ist die Künstlerin das nächste Mal am 26. September in der Postgarage Graz.

Die Texte haben sehr starken persönlichen Bezug. In „Anna is Free“ geht es um zwei von Kois Freundinnen. Die eine, Anna, sei mit 33 Jahren tödlich verunglückt, sagt die Künstlerin, „die andere ist in mein Leben dazugekommen und sehr präsent“.

Inspiration lieferte auch eine Reise nach Mexiko, wo Teile des Albums entstanden. „Mein Freund und ich haben gesagt: Wir hatten schon lange keinen Urlaub mehr, wir müssen eine Woche ans Meer“, erzählt die Sängerin. Dabei ging so gut wie alles schief, was schiefgehen kann: Brechdurchfall, ein Kran, der in der Billigabsteige den Blick auf den Ozean verbaut und saufende US-amerikanische Jugendliche auf Spring Break. Den Alptraumurlaub hat Koi im titelgebenden Track „Prominent Libido“ verarbeitet. Das Albumcover zeigt die Sängerin umgeben von nackten Körpern. Mit Facebook brachte das Probleme: Das Cover wurde gesperrt, obwohl die Künstlerin und ihr Team sehr genau darauf achteten, dass keine Geschlechtsteile zu sehen sind.

„Es geht sich aus“

Seit dem Vorjahr unterrichtet Winklbauer Gesang an der Wiener Musikuni. Obwohl sie eine der meistgefragten weiblichen Acts in Österreich sei, intensiv toure und auch gute Gagen bekomme, könne sie nicht von der Musik leben, sagt sie. Zumindest nicht so, wie sie mit fast 36 Jahren gerne leben möchte.

Ankathie Koi
Kerstin Musl
Schulterpolster, Samt und die blonde Matte: Ankathie Koi lässt die 80er hochleben

Sie ist stolz darauf, dass sie das richtige Singen wie ein Handwerk gelernt hat. Auf der Bühne aber hat die Musiktheorie nichts verloren. Hier geht es der Künstlerin um Energie und Exzess, dem Publikum präsentiert sie sich als wilde Mischung aus Macho und Vamp. Trotz aller Exzentrik will sie eine „greifbare Künstlerin“ sein, „die Rolle einer unnahbaren Gottheit“ passe einfach nicht zu ihr.

Kois Schlüsselsatz zu ihrer musikalischen Entwicklung, aber auch den vielen Facetten ihrer Persönlichkeit lässt sich mit „Es geht sich aus“ zusammenfassen. „Man kann outgoing sein und verrückt, und trotzdem straight im Job. Man kann bisexuell sein, aber ein konservatives Leben führen. Es geht sich heute viel mehr aus“, sagt die Sängerin. Dasselbe gilt für sie in der blühenden österreichischen Musikszene, wo es möglich sei, „dass viele Stile nebeneinander existieren. Und alle ihre Berechtigung haben.“