Parlament London
APA/AFP/UK Parliament/Roger Harris
Britisches Parlament

Letztes Aufbäumen vor Zwangspause

Das britische Parlament wird ungeachtet des ungelösten Brexit-Streits noch am Montag in eine fünfwöchige Zwangspause geschickt. Das kündigte ein Regierungssprecher am Vormittag an. Derzeit ist das britische Unterhaus noch Schauplatz einer turbulenten Brexit-Debatte. Ausständig ist dabei auch noch die Abstimmung über eine vorgezogene Neuwahl. Die Queen billigte am Montag indes das Gesetz, mit dem ein „harter“ EU-Austritt Großbritanniens – ein „No Deal“-Brexit – verhindert werden soll.

Die nächste Parlamentsitzung ist dann erst am 14. Oktober angesetzt – also nur etwas mehr als zwei Wochen vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Premierminister Boris Johnson wollte am Montagabend noch vor Beginn der Zwangspause das Unterhaus ein weiteres Mal über eine Neuwahl abstimmen lassen.

Doch es ist extrem unwahrscheinlich, dass er die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten bekommt. Die Oppositionsparteien erteilten dem Vorstoß bereits im Vorfeld eine Absage. Schon in der vergangenen Woche war Johnson mit einem ersten Antrag auf eine Neuwahl durchgefallen.

Auch der Rückhalt der Partei Johnsons, der konservativen Torys, bröckelte zuletzt. Er warf 21 Parteirebellen aus der Fraktion, Johnsons Bruder Jo legte Amt und Mandat nieder, schließlich quittierte auch noch die einflussreiche Arbeitsministerin Amber Rudd aus Protest ihren Dienst. Johnson verfügt über keine Mehrheit im Unterhaus mehr.

Bercow kündigt Rücktritt an

Fest steht unterdessen eine Personalie im britischen Unterhaus: Dessen Sprecher John Bercow kündigte am Montag in einer emotionsgeladenen persönlichen Mitteilung seinen Rücktritt bis spätestens 31. Oktober an. Seine Amtszeit könnte allerdings auch früher enden, sollten die Abgeordneten über eine vorgezogene Neuwahl stimmen. Seine Amtszeit als Sprecher und als Abgeordneter enden, wenn dieses Parlament endet, wie Bercow dazu sagte.

Der Sprecher des britischen Unterhauses, John Bercow, mit Tränen in den Augen
APA/AFP/PRU

Bercow hatte sich in der Auseinandersetzung um den Brexit zwischen Regierung und Parlament immer wieder für die Rechte der Abgeordneten eingesetzt und legte die üblicherweise wenig bedeutungsvolle Rolle des Präsidenten sehr weit aus. So stoppte er Anfang des Jahres mit einem jahrhundertealten Gesetz den Versuch der damaligen Regierung, das Gesetz über den Vertrag für den EU-Ausstieg immer wieder dem Parlament vorzulegen. Zudem prägte Bercow die meist turbulent verlaufenen Brexit-Debatten der letzten Monate mit seinen Aufrufen zur Ordnung – sein „Order, Order“ wurde geradezu legendär.

Johnson wehrt sich gegen Verlängerung

Am Montag ist mit der Unterschrift von Königin Elizabeth II. auch das Gesetz gegen einen „No Deal“-Brexit in Kraft getreten, das vom Parlament am Freitag verabschiedet wurde und mit dem ein „harter“ EU-Austritt ohne Abkommen verhindert werden soll.

Das Gesetz verpflichtet Premierminister Johnson dazu, eine Brexit-Verschiebung zu beantragen, falls es bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU auf ein Abkommen geben sollte. Johnson lehnt eine Verlängerung jedoch kategorisch ab. Lieber wolle er „tot im Graben“ liegen. Über das Gesetz will er sich trotzdem nicht hinwegsetzen. Spekuliert wird, dass die Regierung versuchen wird, anderweitig ein Schlupfloch zu finden.

Der irische Premierminister Leo Varadkar und der britische Premierminister Boris Johnson
Reuters/Niall Carson
Der irische Premier Leo Varadkar und Johnson geben einander die Hand – sind aber weiterhin geteilter Meinung

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger geht unterdessen davon aus, dass es in Großbritannien wegen der Brexit-Krise zu einer Neuwahl kommt. In diesem Fall könnte die EU auch das derzeit vorgesehene Austrittsdatum noch einmal verschieben, sagte der scheidende Hauslhaltskommissar am Montagabend bei der Digitalkonferenz DLD in Brüssel.

Johnson behält Plan weiter für sich

Bei einem Besuch in Irland betonte Johnson am Montag, dass er einen geregelten Brexit seines Landes zum 31. Oktober wolle. „Ich will einen Deal erreichen“, sagte Johnson bei dem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar in Dublin. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein. Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson aber nicht.

„Wir haben bis heute keine solchen Vorschläge erhalten“, sagte Varadkar am Montag. Bis eine Alternative gefunden sei, bleibe der „Backstop“ ein wesentlicher Bestandteil des Austrittsabkommens mit der EU, so Varadkar. Der irische Premier hatte sich bereits vor seinen Beratungen mit Johnson skeptisch gezeigt. Es könne keinen klaren Bruch geben, so Varadkar weiter. Eine mögliche Einigung mit London werde es „höchstwahrscheinlich“ erst auf dem EU-Gipfel Mitte Oktober geben.

Das Spiel mit dem Deal

Seine Botschaft sei, dass er „einen Deal finden, einen Deal machen“ wolle. Er habe die Folgen eines „No Deal“-Ausstiegs aus der EU genau geprüft. Das Vereinigte Königreich könnte einen solchen Schritt „sicherlich überstehen“, sagte Johnson. Aber das Ergebnis wäre ein Versagen der Staatskunst, für das alle verantwortlich wären, ergänzte er.

Varadkar sagte nach dem Treffen, dass es beim umstrittenen Punkt der Rückversicherung für die irische Grenze keinen Spielraum geben werde. Der „Backstop“ müsse juridisch verbindlich seien und könne nicht durch bloße „Versprechen“ ersetzt werden, betonte er. Was auch immer passiere: Beide Seiten müssten schnell wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. „Die ersten Punkte auf der Tagesordnung werden sein: Rechte von Bürgern, ein finanzieller Ausgleich und die irische Grenze“, so Varadkar. Für alle diese Punkte seien im Austrittsabkommen, das Johnsons Vorgängerin May mit der EU ausgehandelt hatte, Lösungen gefunden worden.

Kommentatoren – etwa bei der BBC – stuften Johnsons Ton ein wenig moderater ein als in der Vergangenheit. Die EU und ihr Mitglied Irland fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige EU-Regeln gelten und ganz Großbritannien in der EU-Zollunion bleiben.

Wie sieht Johnsons Plan aus?

Johnson drängte wiederholt zur Eile und machte auch innerhalb der Torys Druck. Wie Großbritannien aber im Rahmen seiner Strategie mit Abkommen aus der EU ausscheiden soll, darüber herrschen große Zweifel. Auch Rudd kritisierte nach ihrem Rücktritt Johnsons Kurs scharf: „Die Regierung steckt viel Energie in die Vorbereitungen für einen ‚No Deal‘, aber ich habe nicht das gleiche Maß an Intensität in den Gesprächen mit der Europäischen Union gesehen (…).“ Sie habe von Downing Street auf ihre Frage, wie der Plan für einen Deal denn nun aussehe, lediglich eine einseitige Zusammenfassung bekommen, berichtete Rudd am Sonntag in einem BBC-Interview.

Darüber, wie Johnsons Plan aussehen könnte, gibt es zahllose Spekulationen. Er könnte etwa laut dpa versuchen, doch noch eine Einigung mit der EU zu finden. In der Kürze der Zeit wären kaum größere Änderungen möglich. Immer wieder wurde auch spekuliert, ob der Premier das Gesetz gegen den „No Deal“ einfach so lange ignorieren könnte, bis Großbritannien aus der EU gleichsam herausfällt. Kürzlich sagte er vor Reportern, das Gesetz sehe nur „theoretisch“ eine Brexit-Verschiebung vor. Theoretisch könnte Johnson auch versuchen, ein Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern, indem er sich weigert, es der Queen zur Billigung vorzulegen. Beide Optionen würden wohl vor Gericht landen.