Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vor einer Karte mit dem Jordantal
APA/AFP/Menahem Kahana
Nahost-Konflikt

Scharfe Kritik an Annexionsplan

Die Ankündigung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu im Wahlkampffinale, im Falle eines Sieges das Jordantal im besetzten Westjordanland zu annektieren, hat international scharfe Kritik ausgelöst.

Genau eine Woche vor der Knesset-Wahl hatte Netanjahu am Dienstag medienwirksam für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt, umgehend Israels Souveränität auf das Gebiet an der Grenze zu Jordanien auszudehnen. Saudi-Arabien, Jordanien und die Türkei warnten am Mittwoch vor einer Eskalation der Lage im Nahen Osten.

Die Palästinenser beanspruchen das Westjordanland als Teil eines künftigen eigenen Staates. Mit einer Annektierung von Gebieten dort würde dieses Ziel noch unwahrscheinlicher. Die USA wollen in Kürze einen Friedensplan zur Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern präsentieren.

Jordanien warnt vor „mehr Gewalt“

Der jordanische Außenminister Aiman Safadi schrieb auf Twitter, es handle sich bei Netanjahus Ankündigung um einen gefährlichen Schritt, der alle Friedensbemühungen untergrabe. „Er wird zu mehr Gewalt und Konflikt führen“, schrieb er. Eine solche Maßnahme sei rundherum null und nichtig und eine gefährliche Eskalation gegenüber dem palästinensischen Volk, teilte auch das saudische Königshaus in Riad mit, wie die staatliche saudische Nachrichtenagentur SPA meldete.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, Netanjahu verbreite vor der Wahl weiter „illegale, rechtswidrige und aggressive“ Botschaften. Die Rechte ihrer „palästinensischen Geschwister“ werde die Türkei „bis zum Ende verteidigen“.

Grafik zur geplanten Annexion des Jordantals
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/New York Times

EU: Untergräbt Chance auf Frieden

Auch die EU verurteilte Netanjahus Ankündigung. Das Vorhaben untergrabe „die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden“ in Nahost, sagte ein EU-Sprecher am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP in Brüssel. Die EU-Außenminister hätten wiederholt erklärt, dass die EU „keinerlei Änderungen an den vor 1967 geltenden Grenzen anerkennen wird“, außer Israel und die Palästinenser einigten sich darauf. Das angekündigte Vorgehen Netanjahus untergrabe auch die Zweistaatenlösung, die die EU weiterhin als Voraussetzung zur Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts betrachtet.

Netanjahu wiederholt Wahlkampftrick

Schon vor der Parlamentswahl im April hatte Netanjahu die Einverleibung israelischer Siedlungen im Westjordanland angekündigt. Nun versucht er erneut, vermehrt Stimmen im rechten Spektrum der israelischen Wählerschaft zu bekommen. Netanjahu dürfte insbesondere auf zusätzliche Stimmen von Siedlern hoffen.

In Umfragen liegt Netanjahu mit seiner Mitte-rechts-Partei Likud derzeit Kopf an Kopf oder leicht hinter seinem größten Rivalen, Benni Ganz und seiner Mitte-links-Partei Blau-Weiß. Beide brauchen mehrere Parteien für die nötige Mehrheit von 61 Mandaten. Zünglein an der Waage dürfte Ex-Außen- und -Verteidigungsminister Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) sein, die vor allem russische Immigranten anspricht.

Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu
APA/AFP/Menahem Kahana
Netanjahu versteht es wie kein anderer in Israel, die Themen vorzugeben

Aufreger aus unterschiedlichen Gründen

International sorgt die Ankündigung Netanjahus für große Aufregung, ja Empörung. In Israel selbst ist aber eine Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Akteure dafür, dass die Grenze zu Jordanien unter israelischer Kontrolle bleibt, egal in welcher Form.

Die israelische Opposition kritisierte daher auch nicht die Ankündigung an sich. Sie warf dem Regierungschef vielmehr vor, das nur als Wahlkampfjoker zu missbrauchen. Netanjahu hatte eine Annexion schon öfter angekündigt – und das immer mitten im Wahlkampf: zuletzt heuer im Frühjahr, davor auch 2014. Netanjahu hatte sich in der Vergangenheit auch schon für die Einrichtung eines entmilitarisierten Palästinenserstaates ausgesprochen.

Im Wahlkampf beinahe untergegangen

Im Wahlkampfgetöse wäre die Ankündigung allerdings beinahe untergegangen: Wenige Stunden nach der Aussage hatte Netanjahu einen Wahlkampfauftritt in Aschdod, einer Stadt rund 30 Kilometer nördlich des Gazastreifens. Kurz nachdem Netanjahu seine Rede begonnen hatte, heulten die Sirenen wegen Raketenalarms auf. Sicherheitskräfte brachten Netanjahu daraufhin in einem Bunker in Sicherheit, während das Gros der Zuschauerinnen und Zuschauer aus Mangel an Platz im Bunker im Saal bleiben musste.

Wenige Minuten später kehrte Netanjahu zurück. Doch die Opposition wirft diesem nun indirekt Feigheit vor. Ex-Generalstabschef Ganz betonte prompt, er wäre auf der Bühne geblieben. Die Regierung versicherte, die Sicherheitsvorschriften hätten Netanjahu dazu verpflichtet, in den Bunker zu gehen.

Seit Tagen spitzt sich die Lage an der Grenze zum Gazastreifen erneut zu. Immer wieder gibt es Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel, auf den Israels Armee mehrmals mit Beschuss reagierte. Beide Seiten, Israel wie die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas, sind aber derzeit – aus unterschiedlichen Gründen – bemüht, eine Eskalation zu vermeiden.

Netanjahu setzt voll auf Trump-Plan

Netanjahu hatte am Dienstag betont, der angekündigte US-Friedensplan „ist eine historische Gelegenheit, israelische Souveränität auf Siedlungen in Judäa und Samaria (Westjordanland) auszudehnen“. Er werde damit allerdings bis zur Präsentation des Friedensplans warten, der nach der Wahl vorgestellt werden soll. Im Jordantal könne er jedoch direkt aktiv werden, sagte Netanjahu.

Jordanien ist neben Ägypten das einzige arabische Land, das einen Friedensvertrag mit dem benachbarten Israel hat. Zwischen Saudi-Arabien und Israel gibt es hingegen offiziell keine diplomatischen Beziehungen. Zuletzt kam es aber hinter den Kulissen zu einer Annäherung, da das sunnitische Saudi-Arabien wie Israel den schiitischen Iran als Erzfeind betrachtet.

Israels Ex-Militärchef Benni Ganz vom oppositionelle Bündnis der Mitte, Blau-Weiß, hält eine Rede
APA/AFP/Jack Guez
Ganz kommt selten in die Offensive, muss oft auf Netanjahus Wahlkampf-Spins reagieren

Abbas droht seinerseits mit Annexion

Das Jordantal verläuft entlang der Grenze zu Jordanien. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem macht es insgesamt rund 30 Prozent des Westjordanlandes aus. 90 Prozent des Jordantales stehen entsprechend den Osloer Friedensverträgen unter israelischer Verwaltung. Insgesamt leben im Jordantal rund 60.000 Palästinenser und rund 5.000 israelische Siedler. Israel hatte in der Vergangenheit bereits auf die strategische Bedeutung des Jordantales für die eigene Sicherheit verwiesen.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas drohte nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Wafa, mit der Annektierung von Teilen der besetzten Palästinensergebiete würden alle Vereinbarungen mit Israel enden.

Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland und Ostjerusalem erobert. Dort leben heute laut einem EU-Bericht von 2018 mehr als 630.000 israelische Siedler in mehr als 200 Siedlungen und Vorposten.