Für die ÖVP wurde es zum Inbegriff des ländlichen Raums, den die Partei bei kaum einem Thema zu erwähnen vergisst. Gleichzeitig muss das Waldviertel aber auch für alle strukturschwachen Gegenden herhalten – insbesondere bei der Frage einer CO2-Steuer.
Geprägt wurde die Waldviertel-Metapher von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der bezeichnet sich im laufenden Wahlkampf auffällig oft und auffällig eindeutig als Waldviertler – obwohl er in Wien-Meidling aufgewachsen und in die Schule gegangen ist. „Ich komme ursprünglich aus dem Waldviertel“, der „Ort, wo ich herkomme, hat ungefähr 100 Einwohner“, sagte er am Mittwoch bei den ORF-TV-Duellen.
Die ÖVP und der ländliche Raum
Im Wahlkampf 2017 hatte Kurz auch auf den Bauernhof seiner Großmutter verwiesen, auf das Bild der ländlichen Idylle, in der er Wochenenden und Ferien verbracht habe. Gleichzeitig spielten damals aber auch sein Aufwachsen und seine Schulzeit in Wien-Meidling eine Rolle – und davon ist derzeit gar nichts zu hören.
Ein Zufall scheint das freilich nicht: Die ÖVP betont bei vielen Themen, von der CO2-Steuer über den Ärztemangel bis zu ihrer Initiative zum Schutz des Bargelds, die Bedürfnisse des ländlichen Raums. Angesichts der Ergebnisse der vergangenen Wahlen verständlich: Zwar gab es zuletzt für die ÖVP auch im urbanen Bereich Zugewinne, sie liegt dort aber weit unter den Ergebnissen, die sie auf dem Land erreicht. Und die Vormachtstellung genau dort will man ausbauen, um insgesamt ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das erklärt auch Spitzen gegen „die Stadt“, vor allem gegen die Stadt Wien, die von der ÖVP immer wieder gesetzt wurden – wenngleich die Partei hier zuletzt vorsichtiger wurde.
Keine U-Bahn, kein Zug, kein Bus
Eine besondere Rolle spielt das Thema CO2-Steuer. In Zogelsdorf, ebenjener Gemeinde im Waldviertel, die Kurz immer wieder erwähnt, gebe es keine U-Bahn, keinen Zug und „nicht einmal einen Bus regelmäßig in jede Himmelsrichtung“, so Kurz beim TV-Duell. „Diesen Menschen zu sagen: ‚Fahrt’s doch öffentlich‘, ist eine Verhöhnung.“ Die ÖVP lehnt eine CO2-Steuer ab, weil diese Menschen auf dem Land bestrafe. Die SPÖ argumentiert ähnlich, stellt aber freilich die Belastung für kleinere Einkommen in den Mittelpunkt.

Der Waldviertel-Pendler als Rechenbeispiel
Grüne und NEOS verweisen wiederum auf eigene Modelle, bei denen CO2 zwar bepreist würde, die aber mit Begleitmaßnahmen wie Steuersenkungen eine Mehrbelastung verhindern und zugleich für mehr Steuergerechtigkeit sorgen sollen.
Genau über die Treffsicherheit dieser Modelle stritten am Donnerstag SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im TV-Duell – und wieder musste das Waldviertel als Beispiel herhalten. Ein Pendler aus dem Waldviertel zahle beim NEOS-Modell drauf, während ein SUV-Fahrer aus Wien-Döbling profitiere, meinte Rendi-Wagner. Meinl-Reisinger verwies auf eigene Rechenbeispiele und meinte schließlich ironisch: „Ich weiß nicht, wieso das Waldviertel so populär ist.“
Mit Daten nur teilweise gedeckt
Tatsächlich ist das Waldviertel aus vielen Gründen eine gute Metapher, die reinen Zahlen sehen ein bisschen anders aus. Mit rund 40.000 erwerbstätigen Menschen ist das Waldviertel jene Hauptregion mit der geringsten Arbeitsbevölkerung Niederösterreichs – und hat zudem mit einer Auspendlerquote von rund 38 Prozent auch den geringsten Wert aller niederösterreichischen Regionen. In Sachen Verkehrserschließung, insbesondere bei öffentlichen Verkehrsmitteln, hinkt das Waldviertel zweifellos hinterher, auch wenn zuletzt etwa im Sommer das Busverkehrsnetz deutlich verbessert wurde – mehr dazu in noe.ORF.at.
An Fahrt aufgenommen hat aber auch das Thema Straßenbau: Die Gespräche in Sachen Waldviertel-Autobahn, neuerdings unter dem Namen „Europaspange“, wurden zuletzt intensiviert. Bei der ASFINAG rechnet man allerdings mit einer Umsetzungszeit von zehn bis 15 Jahren – wenn das Projekt überhaupt kommt. Fest steht: In den Bezirken Waidhofen/Thaya und Zwettl gibt es bundesweit die höchste Anzahl an Autos pro 1.000 Einwohner. Horn und Gmünd liegen ebenfalls im Spitzenfeld.
Die Bilder in den Köpfen
Dass aber das Waldviertel in der Politik immer wieder genannt wird – und eben nicht eine ähnlich infrastrukturschwache Region etwa in der Steiermark –, liegt wohl vor allem an den fest verankerten Bildern – und Vorurteilen – in den Köpfen: Das Waldviertel gilt als der „rohe Norden“, als Region, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und die vom frühen Herbst bis in den späten Frühling unter einer dichten Nebeldecke liegt.

Den Bildern des wirtschaftsschwachen Landes stehen einige Vorzeigebetriebe gegenüber: Die etlichen Brauereien und etwa Gea, der Ökobetrieb von „Heini“ Staudinger, dessen Image als „Finanzrebell“ sich ebenfalls ins raue Waldviertel-Bild einfügt. Und dann ist die Region auch Zufluchts- und Sehnsuchtsort genervter Städter, die wenigstens am Wochenende dem Stress des Urbanen entfliehen und in die Unkompliziertheit und Abgeschiedenheit des Landlebens eintauchen wollen.