Boris Johnson und Queen Elizabeth II
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Queen belogen?

Johnson weist Vorwurf strikt zurück

Der britische Premierminister Boris Johnson hat Anschuldigungen entschieden zurückgewiesen, er habe Königin Elizabeth II. für seine politischen Zwecke belogen. Das sei „absolut nicht“ der Fall, sagte Johnson am Donnerstag nach Angaben der BBC. Die Vorwürfe waren nach der von Johnson empfohlenen Zwangspause für das britische Parlament laut geworden, die schließlich von der Queen auch abgesegnet wurde.

Ein schottisches Berufungsgericht erklärte am Mittwoch die Zwangspause für unrechtmäßig. Johnsons Ratschlag an die Königin sei mit der Absicht erfolgt, die Parlamentarier im Brexit-Streit kaltzustellen, begründeten die Richter in Edinburgh ihre Entscheidung. Die Zwangspause sei daher „null und nichtig“. Die Regierung kündigte an, Berufung vor dem obersten britischen Gericht, dem Supreme Court in London, einzulegen. Dort wird am Dienstag über die Angelegenheit verhandelt.

Johnson wollte – so seine Darstellung – die Sitzungsperiode des Parlaments bis Mitte Oktober unterbrechen, um sein neues Regierungsprogramm vorzustellen. Anschuldigungen, er wolle damit die Abgeordneten daran hindern, einen Brexit ohne Abkommen abzuwenden, hatte er schon zuvor als „vollkommen unwahr“ bezeichnet. Das britische Parlament wurde in der Nacht zum Dienstag in die nun bis 14. Oktober verlängerte Herbstpause verabschiedet. Die Zeremonie im Unterhaus wurde von tumultartigen Szenen begleitet.

Regierung veröffentlicht „Chaos“-Papier

Für die Abgeordneten war zuvor eine Debatte rund um die weitere Vorgangsweise beim Brexit auf dem Programm gestanden, diese dauerte bis in die Nacht an und verlief ebenfalls turbulent, unter anderem wurde dabei auch Johnsons Neuwahlantrag abgeschmettert. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte hingegen für die per Antrag geforderte Herausgabe von für den Brexit relevanten internen Dokumenten der britischen Regierung. Am Mittwochabend legte die Regierung nun erste, durchaus brisante Brexit-Planspiele vor.

Konkret umfassen die dem Parlament übermittelten Regierungsdokumente Szenarien für den Fall eines „No Deal“-Brexits. Deutlich wird darin: Die britischen Vorbereitungen auf die Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen sind „auf einem niedrigen Niveau“.

„Planung für den schlimmsten Fall“

Schon im August waren die Dokumente zur „Operation Yellowhammer“, die Szenarien im Fall eines „No Deal“-Brexits durchspielen, an Medien durchgesickert. Für Aufsehen sorgte nun, dass offenbar die Titel geändert wurden. Hieß es vor wenigen Wochen noch „Grundlegendes Szenario“, werden die nun veröffentlichten Papiere mit „Planungsannahmen für den schlimmsten Fall“ betitelt, berichtete die „Sunday Times“-Journalistin Rosamund Urwin auf Twitter.

Durch die geänderte Überschrift könnte sich die Opposition in ihrer Vermutung bestätigt sehen, dass die Regierung die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts am 31. Oktober herunterspielt. Staatssekretär Michael Gove, der im Kabinett von Premierminister Boris Johnson für die „No Deal“-Brexit-Planung zuständig ist, betonte am Mittwoch, das Papier sei lediglich ein Szenario für den schlimmsten Fall und keine Vorhersage der wahrscheinlichen Entwicklung. Auch solle es noch aktualisiert werden. Auch Johnson war um Beruhigung bemüht. Es handle sich um eine Prognose für den schlimmstmöglichen Fall – er gehe aber davon aus, dass es nicht so kommen werde.

Engpässe und Unruhen erwartet

In dem sechsseitigen Dokument wird unter anderem vor Protesten und Störungen der öffentlichen Ordnung gewarnt, die eine „erhebliche Menge“ an Polizeikräften in Anspruch nehmen würden. Außerdem könnte es aufgrund langer Wartezeiten am Ärmelkanal zu Lieferengpässen bei Medikamenten kommen.

In der Folge könnten Krankheiten bei Tieren ausbrechen, die auch die menschliche Gesundheit beeinträchtigen könnten. Auch bestimmte Lebensmittel dürften dem Dokument zufolge knapp werden, verschlimmert durch Hamsterkäufe. In Teilen des Landes könnte es zu Treibstoffengpässen kommen.

„Unangemessene“ Forderung

Mit den Veröffentlichungen blieb die Regierung weit hinter den Forderungen des Parlaments zurück. Neben der Herausgabe sämtlicher Dokumente zur „No Deal“-Planung forderten die Abgeordneten auch die komplette Korrespondenz dazu an, inklusive E-Mails und Kurznachrichten wichtiger Regierungsmitarbeiter und Berater.

Chaos nach Brexit möglich

Interne Dokumente, die die britische Regierung veröffentlicht hat, sagen schlimmstenfalls Chaos voraus.

Gove wies die Forderung als „unangemessen und unverhältnismäßig“ zurück. Die Regierung müsse die Privatsphäre ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen. Hintergrund der Forderung nach der Korrespondenz war die Vermutung, Johnson wolle das Parlament mit der Zwangspause schlicht kaltstellen, um einen „No Deal“-Brexit durchziehen zu können.

Johnson droht weiter mit Austritt ohne Abkommen

Der Premier droht offen damit, sein Land ohne Abkommen aus der EU zu führen, sollte sich Brüssel nicht auf seine Forderungen nach Änderungen am Austrittsabkommen einlassen. Dabei hat das Parlament inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das ihn zum Beantragen einer Verlängerung in Brüssel zwingt, sollte nicht rechtzeitig ein Deal mit der EU zustande kommen.

EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier
Reuters/Francois Lenoir
EU-Brexit-Unterhändler Barnier informiert am Donnerstag das EU-Parlament

Am Donnerstag sprach der europäische Brexit-Unterhändler Michel Barnier mit den Spitzen des EU-Parlaments über den Stand der Gespräche über den britischen EU-Austritt. Laut EU-Parlamentspräsident David Sassoli machte die britische Regierung bisher keinen neuen Vorschlag für die Modalitäten des Austritts aus der EU. Das EU-Parlament sei zu einer weiteren Verschiebung des Austrittsdatums bereit, falls London dafür gute Gründe nenne, wiederholte Sassoli die Position der EU: „Leider zeigen die Signale, die wir bekommen, nicht, dass es irgendeine Initiative gibt, die die Verhandlungen wieder eröffnen könnte.“

EU-Paralament beharrt auf „Backstop“

Nicht zur Debatte stehe allerdings ein Verzicht auf einen „Backstop“, mit dem Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland vermieden werden sollen. „Es kann keinen Vertrag ohne Backstop geben“, sagte Sassoli: „Und wenn man darüber nicht reden mag, dann bedeutet das, dass man überhaupt nicht reden mag.“

Der „Backstop“ sieht vor, dass Großbritannien für den unwahrscheinlichen Fall, dass es nicht zu einem Abkommen über die künftigen Beziehungen kommt, in der Zollunion mit der EU bleiben muss. Sassoli wiederholte die Bereitschaft des Parlaments, auch wieder über die ursprüngliche Idee der EU-Kommission zu reden, die die Zollunion nur für Nordirland vorsah. Dieser Gedanke war aber von der britischen Regierung von Theresa May abgelehnt worden, weil dadurch eine Zollgrenze zu Nordirland entstehen würde.

Das Europaparlament wolle in der kommenden Woche eine Resolution beschließen, in der die Position der EU noch einmal klargemacht werde. „Diese ganze Sache ist, was uns angeht, extrem schmerzhaft“, sagte Sassoli: „Aber wir haben einen Moment erreicht, an dem wir wirklich unsere Haltung entschlossen und klar formulieren müssen.“