David Cameron
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Kritik an Johnson

Cameron für zweites Brexit-Referendum

Der frühere britische Premierminister David Cameron hält ein zweites Brexit-Referendum für möglich. „Ich glaube, man kann es nicht ausschließen, weil wir in der Klemme stecken“, sagte der konservative Politiker in einem Interview der „Times“ (Samstag-Ausgabe). Gleichzeitig kritisierte Cameron das Vorgehen des aktuellen Regierungschefs Boris Johnson – und lässt dabei kein gutes Haar an seinem Nachfolger.

Er unterstütze weder die von Johnson auferlegte Zwangspause des Parlaments noch den Fraktionsrauswurf von 21 Tory-Abgeordneten, die gegen die Regierung gestimmt hatten, sagte Cameron. Beides sei „nach hinten losgegangen“. Auch einen EU-Austritt ohne Abkommen, wie von Johnson angedroht, halte er für keine gute Idee.

Die beiden Männer verbindet eine langjährige, von starker Konkurrenz geprägte Beziehung. Sie kennen einander bereits aus Schultagen im Eliteinternat Eton – und die Rivalität scheint noch immer nachzuwirken. Erst vor Kurzem war ein aktuelles Regierungsdokument an die Öffentlichkeit gelangt, in dem Johnson seinen Vorvorgänger als „mädchenhaften Streber“ bezeichnet.

Der damalige britische Premier David Cameron und Londons Bürgermeister Boris Johnson
Reuters
Johnson und Cameron kennen einander seit Schulzeiten – und können sich offenbar nicht ausstehen. Hier auf einem Bild von 2014.

Cameron verkalkulierte sich bei Wahlversprechen

Cameron war nach dem Brexit-Votum der Briten im Jahr 2016 zurückgetreten. Er hatte das Referendum im Wahlkampf 2015 versprochen, um dem Euro-skeptischen Flügel der Konservativen sowie den EU-Gegnern der UKIP den Wind aus den Segeln zu nehmen. Cameron hatte für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union geworben, unterlag aber knapp den Befürwortern eines Austritts, zu deren Wortführern Johnson gehörte. In der kommenden Woche will Cameron seine Memoiren mit dem Titel „For the Record“ („Fürs Protokoll“) veröffentlichen.

Cameron verteidigt darin nach eigenen Angaben seine Entscheidung, das Volk über die britische EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen. „Die Frage musste geklärt werden, und ich dachte, das Referendum kommt (sowieso).“ Auch mehr als drei Jahre nach seinem Rücktritt vergehe kein Tag, an dem er nicht über die verlorene Volksabstimmung nachdenke, räumte er ein. „Ich mache mir große Sorgen darüber, was als Nächstes passieren wird.“

„Eigene und Zukunft des Landes aufs Spiel gesetzt“

Die „Times“ geht in derselben Ausgabe mit Cameron hart ins Gericht: „David Camerons Pech besteht darin, dass er einer jener Premierminister war – wie auch Anthony Eden und Neville Chamberlain –, deren Karriere von einer einzigen Fehlentscheidung geprägt ist.“ Was immer er in seinen sechs Jahren als Premierminister erreicht habe, werde überschattet durch seine Entscheidung, das Referendum über Großbritanniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union anzuberaumen und es dann zu verlieren.

„Die Wahrheit ist, dass Cameron seine eigene Zukunft und die Zukunft des Landes aufs Spiel setzte. Er hatte das Referendum über Schottlands Unabhängigkeit gewonnen und meinte nun in überheblicher Art und Weise, er könne dasselbe beim Thema EU erreichen. Wäre ihm das gelungen, hätte er allerdings beanspruchen können, als ein ausgezeichneter Premierminister angesehen zu werden“, schreibt die „Times“ über Cameron.

Johnson hatte sich am Freitag bei einer Rede in Nordengland „vorsichtig optimistisch“ gezeigt, was die Chancen auf ein Abkommen mit der EU in letzter Minute betrifft. Er will sich am Montag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu einem Arbeitsessen in Luxemburg treffen.

DUP dementierte „Times“-Bericht

Hartnäckig halten sich Berichte über eine mögliche Annäherung zwischen London und Brüssel im Brexit-Streit. Die Londoner „Times“ hatte am Freitag unter Berufung auf Parteikreise berichtet, die nordirisch-protestantische DUP habe ihren Widerstand gegen eine mögliche Lösung im Brexit-Streit teilweise aufgegeben. Der Bericht wurde umgehend von der DUP dementiert.

Knackpunkt ist die Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Falls das nicht gelingt, wird ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands und mehrheitlich protestantischen Loyalisten befürchtet.

Varadkar: Kluft noch sehr groß

Der irische Regierungschef Leo Varadkar sagte dem irischen Rundfunksender RTE am Freitag, die Verhandlungsteams beider Seiten seien in Kontakt. „Wir loten aus, was möglich ist“, so Varadkar. Die zu überwindende Kluft sei aber noch sehr groß. Johnson zeigte sich bei seinem Auftritt in Nordengland „vorsichtig optimistisch“, dass noch ein Deal möglich sei. Juncker sagte dem Deutschlandfunk am Freitag hingegen, er sei nicht optimistisch, was alternative Vereinbarungen zum „Backstop“ angehe, also zur Garantieklausel für eine offene Grenze. Er hoffe weiter auf Alternativvorschläge, so Juncker, aber „die Zeit wird knapp“.

Johnson lehnt den im bisherigen Austrittsabkommen vereinbarten „Backstop“ kategorisch ab. Er sieht vor, dass ganz Großbritannien so lange einen gemeinsamen Außenzoll mit der EU gegenüber Drittstaaten beibehält, bis eine andere Lösung gefunden ist. Dadurch wären jedoch bilaterale Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Drittländern wie den USA zunächst unmöglich. Unter anderem deshalb war das Abkommen dreimal im britischen Unterhaus abgelehnt worden.

Spekuliert wird nun über einen Ausweg aus dem Brexit-Streit, demzufolge nur das verhältnismäßig kleine Nordirland eng an EU-Regeln gebunden bliebe. Dadurch wären jedoch Kontrollen für Waren notwendig, die aus Großbritannien nach Nordirland kommen. Das lehnte die DUP bisher strikt ab, von deren Stimmen die Minderheitsregierung der im Juli zurückgetretenen Premierministerin Theresa May im Parlament abhing. DUP-Brexit-Experte Sammy Wilson dementierte auch den „Times“-Bericht umgehend in einem BBC-Interview am Freitag. Es habe bloß einen Fortschritt in Form einer veränderten Einstellung gegeben, erklärte Wilson.