Schild zeigt „No Entry“ vor dem britischen Parlament
Reuters/Toby Melville
Brexit-Streit

Parlamentspause beschäftigt Supreme Court

Das oberste britische Gericht, der Supreme Court, hat am Dienstag mit seiner Anhörung zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments begonnen. Die elf Richter und Richterinnen müssen entscheiden, ob das Gericht zuständig ist und, falls sie diese Frage bejahen, ob Johnson mit der Schließung des Parlaments gegen die Verfassung verstoßen hat.

Die Aufgabe sei, „schwierige und ernste Fragen des Gesetzes“ zu entscheiden, so Brenda Hale, die Vorsitzende des Gerichts, zu Beginn der Verhandlung. Hale war die erste Frau, die am Supreme Court tätig wurde. Sie ist damit auch die höchstrangige Richterin in der Geschichte der britischen Justiz.

Vergangene Woche hatte das schottische Höchstgericht die fünfwöchige Parlamentsschließung für rechtswidrig erklärt. Nach Dafürhalten des schottischen Gerichts wollte Johnson die Abgeordneten im Streit über einen ungeregelten Brexit kaltstellen. Die Regierung legte gegen das Urteil Berufung ein. Johnson bezeichnete die Kritik an seinem Vorgehen noch am Montag in einem BBC-Interview als „Mumbo Jumbo“, also als Schwindel.

Er fügte hinzu, das Parlament habe durch die Zwangspause lediglich eine Handvoll Tage verloren und werde in der Lage sein, den Brexit-Deal unter die Lupe zu nehmen, den er hoffentlich noch abschließen könne. Falls es nicht zu einer Einigung mit Brüssel komme, werde das Land am 31. Oktober trotzdem austreten, versicherte er nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Luxemburg.

Stück Papier mit „Silenced“ im britischen Parlament
Reuters/Social Media
Der Sitz von Parlamentssprecher John Bercow

Auch weitere Klagen werden überprüft

Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren abgelehnt worden. Auch diese Entscheidungen sollen vom Supreme Court überprüft werden. Der Londoner High Court hatte die Klage mit der Begründung für unzulässig erklärt, es handle sich um eine politische, nicht um eine rechtliche Frage. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der High Court in Belfast. Erwartet wird, dass der Supreme Court auch am Mittwoch und Donnerstag tagt und am Freitag eine Entscheidung verkündet.

Der Streit berührt den Kern der britischen Verfassung. Anders als in Österreich und in vielen anderen Ländern handelt es sich dabei nicht um ein einzelnes Dokument, sondern um eine ganzen Reihe von Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Konventionen. Sie entwickelt sich durch Gesetzgebung und neue Interpretationen bestehender Regeln ständig weiter und wird neuen Verhältnissen angepasst. Manchmal ist daher auch die Rede von einer politischen Verfassung.

Kritiker sehen Regelverstoß von Johnson

Das Funktionieren dieses Systems ist davon abhängig, dass sich alle Akteure an bestimmte ungeschriebene Regeln halten. Aus Sicht seiner Kritiker hat Johnson gegen dieses Prinzip verstoßen, weil er die Parlamentsschließung als politisches Mittel eingesetzt hat, um notfalls einen EU-Austritt ohne Abkommen gegen den Mehrheitswillen der Abgeordneten zu erreichen.

Die Richterinnen und Richter müssen nun entscheiden, ob sich das Parlament beispielsweise durch neue Gesetzgebung selbst gegen die angebliche Grenzüberschreitung der Regierung zur Wehr setzen kann oder ob ein Einschreiten der Justiz geboten ist. Gegebenenfalls müssten sie selbst auch noch einmal bewerten, ob Johnson das Mittel der Parlamentspause verfassungswidrig eingesetzt hat.

„Schande über euch“

Begonnen hatte die Zwangspause in der Nacht auf den 10. September. Bei der Schließungszeremonie kam es zu tumultartigen Szenen. Oppositionsabgeordnete hielten Protestnoten mit der Aufschrift „zum Schweigen gebracht“ in die Höhe und skandierten „Schande über euch“ in Richtung der Regierungsfraktion. Das Parlament soll erst am 14. Oktober – etwa zwei Wochen vor dem geplanten Brexit – wieder zusammentreten.

Gesetz verpflichtet Johnson zu Verlängerungsantrag

Trotz Zwangspause konnte Johnson nicht verhindern, dass die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedeten, das den Premierminister zum Beantragen einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist verpflichtet. Sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein, müsste Johnson einen entsprechenden Antrag nach Brüssel schicken. Der Regierungschef will sich dem jedoch nicht beugen. Wie das gehen soll, ohne das Gesetz zu brechen, erklärte Johnson bisher nicht. Gut möglich, dass auch dieser Streit wieder vor Gericht landen wird.

Weber lässt kein gutes Haar an Johnson

Der CSU-EU-Politiker Manfred Weber widersprach Johnson auf ganzer Linie. „Es gibt keinen Fortschritt, das ist absolut klar“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament am Dienstag in Straßburg. Johnson hatte schon vor einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Montag in Luxemburg große Fortschritte auf dem Weg zu einem geänderten Brexit-Abkommen gemeldet und anschließend gesagt, er sei nun noch ein bisschen optimistischer. Die EU-Seite wartet indes immer noch auf konkrete britische Vorschläge.

Weber kritisierte auch Johnsons Absage einer Pressekonferenz in Luxemburg wegen einer Gegendemonstration. Wer wie Johnson provokant seine Positionen vertrete, müsse Widerspruch aushalten, so der CSU-Vize. „Insofern ist das schon etwas dünnhäutig.“

„Volk wird in einem Parlament vertreten“

Weber widersprach zudem der Sicht, Johnson setze mit seinem harten Brexit-Kurs den Willen des Volkes durch. Die EU respektiere zwar den Ausgang des Referendums für den EU-Austritt 2016. Aber: „Das Volk insgesamt wird nicht durch eine Ja-Nein-Entscheidung vertreten. Das Volk insgesamt wird vertreten in einem Parlament.“ Das Argument, man müsse Volkes Willen notfalls sogar gegen den Willen des Parlaments durchsetzen, „ist eine Entwicklung, die sorgenvoll stimmen müsste“.