Protestteilnehmer mit Mundschutz passiert eine mit Graffiti beschmierte Wand in Hongkong
Reuters/Amr Abdallah Dalsh
Proteste in Hongkong

Regierung will ramponiertes Image retten

Seit Monaten protestieren die Menschen in Hongkong für mehr Freiheit und Unabhängigkeit von China. Präsidentin Carrie Lam sieht deshalb das Image der Metropole schwer angekratzt. Eine PR-Firma müsse her, die alles wieder ins Reine bringen könnte, meint sie. Doch das Problem: Es findet sich niemand, der diesen Job machen will.

Dabei scheut Lam keine Kosten und Mühen und wandte sich sogar an internationale Agenturen. Doch den acht Firmen, die angefragt wurden, erschien die politische Situation in Hongkong zu heikel, um einen Auftrag der Regierung anzunehmen. Sie haben Bedenken, ihr eigenes Firmenimage könnte Schaden nehmen.

„Vier der Firmen sagten sofort ab, da sie einen beschädigten Ruf befürchten, wenn sie die Hongkonger Regierung unterstützen“, gab Lam Ende August laut einem Reuters-Transkript in einer Runde von Geschäftsleuten zu. Zwei weitere Agenturen sagten später ab. Auch die übrig gebliebenen zwei Firmen hätten keine Lust, wie der „Guardian“ am Dienstag berichtete. In einem Statement hieß es von der Regierung in Hongkong: „Die Abgabefrist ist abgelaufen, da bis zum Ende des Angebotszeitraums kein Gebot eingegangen ist.“

Vermummte Protestteilnehmer in Hongkong in einer Wolke aus Tränengas
Reuters/Amr Abdallah Dalsh
Demonstrierende und Polizei liefern sich seit Wochen Straßenschlachten – schlecht für Hongkongs Ruf, meint die Regierungschefin

Eine der Werbeagenturen, die Hongkong eine Absage erteilt hatte, ist Ogilvy & Mather. In einer E-Mail an den „Guardian“ begründete die Firma ihre Entscheidung: „Nach einer Bewertung der Verfügbarkeit unserer internen Ressourcen, um die im RFP (Request for Proposal) angegebenen erforderlichen Fristen einzuhalten“, habe man sich dagegen entschieden, eine Hongkong-Kampagne zu erarbeiten. Ogilvy & Mather ist eine der international renommiertesten Werbeagenturen mit nahezu 500 Büros in 171 Städten auf der ganzen Welt und rund 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

„Schaden rückgängig machen“

Die Regierung sagte nach den Absagen, es gebe keinen unverzüglichen Plan, wie nun weiter vorgegangen werden solle. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag bestätigte Lam noch einmal die Bemühungen der Regierung, gab aber zu, dass „jetzt nicht die Zeit ist“, das Image von Hongkong wieder aufzubauen. „Aber Hongkongs Grundsätze sind nach wie vor sehr solide. (…) Es wird an der Zeit sein, eine große Kampagne zu starten, um einen Teil des Schadens, der Hongkongs Ansehen zugefügt wurde, wieder rückgängig zu machen.“

Sie sagte außerdem, sie gehe nicht d’accord mit der Ratingagentur Moody’s, die die Kreditwürdigkeit Hongkongs Anfang September von stabil auf negativ herabgesetzt hatte. Die Schuld für das Downgrading sieht Lam jedenfalls in den Protesten – und nicht etwa in der Reaktion der Regierung darauf: „Gewalttätige Handlungen“ bei Demonstrationen würden „zwangsläufig die internationale Wahrnehmung des Geschäftsumfelds in Hongkong untergraben und beeinflussen“.

Diese Äußerung zeigt deutlich, worum es der Regierungschefin geht – nicht etwa um das Image der Stadt in der eigenen Bevölkerung oder bei Touristinnen und Touristen, sondern insbesondere bei Geschäftsleuten. Hongkong gilt als eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt. Mit geringen Importbestimmungen und –zöllen, Englisch als Geschäftssprache und einem prinzipiell funktionierenden Rechtssystem stellt Hongkong ein Tor für Firmen aus aller Welt in Richtung China und Asien dar. Lam sagte bei der Pressekonferenz auch, man sorge sich um die Sicherheit von Geschäftsreisenden.

Ein Staat, zwei Systeme

In der Anfrage an PR-Firmen heißt es dem „Holmes Report“, einem Branchenbericht, zufolge, die Regierung wolle „die negative Wahrnehmungen auf Schlüsselmärkten in Übersee angehen, um das Vertrauen in Hongkong aufrechtzuerhalten“ und „die Stärken und Eigenschaften hervorzuheben, die Hongkong von anderen Städten in der Region unterscheidet“. Ein PR-Team sollte außerdem herausfinden, wie man „einen Staat mit zwei Systemen“ besser vermarkten könne.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam
Reuters/Amr Abdallah Dalsh
Regierungschefin Lam will Hongkongs Image einen neuen Anstrich verpassen

Wohl auch weil der Plan der Imagepolitur nicht aufging, will Lam nun mit einem öffentlichen Dialog die andauernden Proteste in den Griff bekommen. Ab nächster Woche würden sie und ihr Team Gesprächsrunden mit der Bevölkerung anbieten, kündigte die Regierungschefin an. Die Veranstaltungen sollen ihren Worten zufolge „so offen wie möglich sein“. Gleichzeitig betonte sie, die Gewalt müsse ein Ende haben.

Am Wochenende war es bei den Protesten der Regierungskritikerinnen und -kritiker erneut zu Ausschreitungen gekommen. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm 89 Menschen fest. „Die Gewalt vor unseren Augen zu unterdrücken ist immer noch die Priorität“, sagte Lam. Die Plattform zum Dialog bedeute nicht, dass keine entschlossenen Maßnahmen mehr ergriffen würden.

Forderungen der Demonstranten weiteten sich aus

Seit 1997 ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und innerer Autonomie. Ein Erhalt dessen – und keine Einflussnahme mehr von China – fordern auch die Demonstrantinnen und Demonstranten, die seit Juni täglich auf die Straße gehen.

Anfang 2019 brachte die Regierung ein Gesetz ein, das Auslieferungen von Verdächtigen von Hongkong nach Festland-China ermöglicht hätte, was die Proteste ursprünglich ausgelöst hatte. Lam nahm dieses Vorhaben zwar vor zwei Wochen offiziell zurück, mittlerweile weitete sich der Protest aber aus. In der Bevölkerung stauten sich auch viele wirtschaftliche, soziale und politische Themen auf, wie etwa der knappe Wohnraum und ein genereller Mangel an Demokratie in der Sonderverwaltungszone.